Mar 29, 2016


THE MAHAVISHNU ORCHESTRA - The Inner Mounting Flame 
(Columbia Records KC 31067, 1971)
 
Mit diesem 1971 erschienenen Album, dem ersten unter dem Banner seines Mahavishnu Orchestras, hat John McLaughlin wohl den Begriff "Fusion" komplett neu definiert. Diese Mélange aus gleichwohl Jazz- und Rock-Mustern war bis dato nicht mit dieser Intensität gespielt worden. Meist wurde der Anteil Rock noch eher stiefmütterlich behandelt, und ausser Frank Zappa, der schon mit seinen Mothers Of Invention den Fusion-Sound quasi zum erklärten Anti-Stil proklamierte, oder der Band Colosseum, die den Rock-Anteil allerdings stärker betonte und den Jazz in den Rock eingeflochten hatte (quasi also den umgekehrten Weg ging), war John McLaughlin's neue Band auch stilistisch etwas Neues, weil hier die Grenzen zwischen Jazz und Rock zum erstenmal stilübergreifend fest ineinander verzahnt waren und nicht mehr als solche wahrgenommen wurden: Energetisches Spiel auf allerhöchstem musikalischen Niveau.

Alleine die personelle Zusammensetzung des Mahavishnu Orchestras war ein Stelldichein der ganz Grossen: Der Gitarrist John McLaughlin spielte zuvor bei Miles Davis und der Tony Williams Lifetime. Statt klassische Jazzmuster spielte er hier eine durchaus vom virtuosen Rock eines Jimi Hendrix inspirierte harte und effektreiche Leadgitarre: schiere Wucht, die heute - rückwirkend betrachtet - auch durchaus an den Jam Rock beispielsweise von Grateful Dead erinnert, allerdings ohne deren cooler Lässigkeit. Der Geiger Jerry Goodman war vorher als prägendes Mitglied der fantastischen Brass Rock Band THE FLOCK beschäftigt und brachte ein grandios loderndes Feuer in diese brodelnde Fusion-Küche mit seinen bissigen Geigenattacken, bisweilen in den höchsten Tönen und von allen Schemata und Abläufen befreit. Der Keyboarder Jan Hammer, bis dato sehr stark im Jazzbereich verwurzelt, brachte mit seinem virtuosen Keyboardspiel mit hohem Wiedererkennungswert die auf jeden Fall jazzigste Komponente mit in den Gesamtsound hinein. Dazu gesellte sich mit Rick Laird am Bass ein eher unauffällig agierender Bassist, der als Sessionmusiker eher im Hintergrund operierte, in seiner Eigenschaft allerdings eine erstklassige, rhythmisch anspruchsvolle Arbeit lieferte. Und schliesslich der Weltklasse-Schlagzeuger Billy Cobham, der sowohl im Jazz, im Soul und im Funk gleichermassen zu Hause war, auch mit Miles Davis gespielt hatte, und hier die Rolle des vorwärtstreibenden Rhythmikers einnahm und mit seinen harten Rock Grooves seine Mitstreiter zu Höchstleistungen antrieb. Mit seinem individuellen Stil war er der Masstab für viele nachfolgende Schlagzeuger, die sich an seiner unglaublich dynamischen Rhythmik orientierten.

"The Inner Mounting Flame", das gemeinsame Werk dieser hochkarätigen Musiker, gilt heute als eines der ungekrönten Meisterwerke unter Musikfans und als musikalische Referenz dieses Genres. Die Momentaufnahme einer Eruption, eines Befreiungsschlags, als Jazz und Rock aufeinanderprallten wie bei keiner Platte oder Band zuvor. Dieses perfekt aufeinander abgestimmte Zusammenspiel von absoluten Hochklasse-Musikern, welche die bisweilen rasend zu nennenden Läufe gemeinsam intonieren. Das klingt manchmal wie nicht von dieser Welt, wenn sich in einer Art offenem Schlagabtausch McLaughlin's Gitarre, Goodman's Geige und Jan Hammer's Keyboards aufstacheln, um schliesslich gemeinsam eine Melodie, respektive ein gemeinsames Thema zu finden und sich darin harmonisch nebeneinander zu setzen. Titel wie "Meeting Of The Spirits", "The Noonward Race", "Vital Transformation" oder "Awakening" sind längst Genre-Klassiker und gelten auch heute noch als Referenz des Fusion Sounds. Neben all der Jazz- und Rock-Hektik bietet die Platte aber durchaus auch ruhigere, ja fast meditative Momente, etwa im Stück "A Lotus On Irish Streams", in welchem die Musiker vor allem auf akustische, unverstärkte Instrumente setzen. Gerade auch an der akustischen Gitarre wusste John McLaughlin stets zu brillieren, nachzuhören etwa auf seinen Akustik-Trio Aufnahmen, die er einige Jahre später mit Al Di Meola und Paco De Lucia aufgenommen hat.


Diese Platte ermöglichte letztlich vielen Rockmusik Fans den Zugang zum vielleicht zuvor eher wenig beachteten Jazzbereich und war mit dafür verantwortlich, dass sich bis Mitte der 70er Jahre ein eigentlicher Fusion-Boom entwickelte, der in etlichen abgewandelten Variationen bis heute gepflegt wird seine Spuren in der Musik eindrücklich und nachhaltig hinterlassen hat. Man darf bei diesem hervorragenden Werk daher durchaus von einem Pionieralbum des Jazz Rock sprechen. Allerdings blieb die schiere Wucht, die ungeheure Dynamik dieser Musik später bei den meisten Jazz Rock Epigonen auf der Strecke. Die Urgewalt wich einer unterschwelligen Mainstream-Attitüde, evolutionierte quasi aus einer Gewaltattacke eine zum vornherein ungefährliche, wenn auch gleichsam weiterhin anspruchsvolle und bisweilen fordernde Interaktion zwischen dem Musiker/den Musikern und dem Musikhörer.

Zwei weitere Alben sollten diesem Meisterwerk folgen: "Birds Of Fire" und "Between Nothingness And Eternity" (beide 1973), bevor sich das Mahavishnu Orchestra durch wechselnde Besetzungen auch stilistisch weiterentwickelte, gleichsam aber konsequent auf hohem Niveau weiterspielte. Musiker wie der Geiger Jean-Luc Ponty, der Schlagzeuger Narada Michael Walden, der Keyboarder Stu Goldberg oder der Saxophonist Bill Evans hielten das Qualitätslevel über viele Jahre gleichbleibend hoch, auch als John McLaughlin vermehrt seine religiöse Neigung in seiner Musik mal stärker, mal weniger stark zum Ausdruck brachte. Alles in allem aber bleibt das Debutalbum des Mahavishnu Orchestra ein Meilenstein in John McLaughlin's Schaffenswerk.

1 comment:

  1. Würde ich die Band nicht kennen und ebenso schätzen, würde ich mir diese Platte und vermutlich alle weiteren nach der Lektüre dieser Zeilen blind kaufen!

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