Jun 27, 2016


HERBIE HANCOCK - Mwandishi (Warner Brothers Records WS 1898, 1971)

Nach seinem recht funky ausgefallenen Album "Fat Albert Rotunda" zwei Jahre zuvor ging der Keyboarder und Multi-Instrumentalist Herbie Hancock einen weiteren bis dato nicht beschrittenen musikalischen Weg, indem er die sogenannte Mwandishi Band gründete, mit welcher er in den folgenden zwei Jahren auf zwei Alben vor allem eine afrozentrische Sensibilität entwickelte, was sich unter anderem schon darin sichtbar manifestierte, dass sich die Musiker, mit denen er teils schon auf dem Vorgänger Album zusammengearbeitet hatte, ganz spezielle und bedeutungsvolle afrikanische Beinamen gaben. Mwandishi, wie Hancock sich nannte, ist Swahili. Alle Musiker des aktuellen Sextetts, gaben sich einen solchen Beinamen: Mchezaji (Buster Williams), Jabali (Billy Hart), Mganga (Eddie Henderson), Mwile (Bennie Maupin), Pepo Mtoto (Julian Priester) aund Ndugu (Leon Chancler). Mit dieser Mwandishi Band experimentierte Hancock mit vielen verschiedenen Spielformen des Jazz und suchte nach neuen expressiven Mitteln, indem er etwa afrikanische Rhythmik und neue Möglichkeiten von Sound und Technologie geschickt nutzte, um zwischen Beat und Abstraktion zu pendeln und damit eine völlig neuartige musikalische Mélange zu kredenzen. Das Album "Mwandishi" geriet wie der ungleich bekanntere Nachfolger "Crossings" (1972) zu einem der bedeutendsten und wichtigsten Werke Hancocks, weil hier erstmalig musikalische Eigenheiten zweier Kontinente derart geschickt miteinander verwebt wurden, dass eine Verschmelzung von typischen Afrikanismen und einem spätestens durch den innovativen Jazzmusiker Miles Davis nach allen Seiten geöffneten Jazz der Neuen Welt entstand, der so noch nicht zu hören war und den Weg zur sogenannten World Music durchaus mitgestaltete.

Hancock's neue Band bildete sich im Herbst 1970, während der Musiker zuerst einige Zeit an der Westküste der USA engagiert war und danach während eines Monats in einem Club in Chicago spielte. Während dieser Monate experimentierten er und seine Mitmusiker an neuen Ausdrucksformen, die der Jazz-Pianist schon einige Zeit früher mit Miles Davis diskutiert hatte: Teils komplexe afrikanische Rhythmen mit den neuen elektronischen Möglichkeiten erster Synthesizer und Modulationsgeräten geschickt zu verbinden und daraus eine nachwievor im Jazz und dem typischen Fusion Sound verankerte neue Spielweise zu entwickeln, die in dieser Art und Weise bislang nicht zu hören gewesen war. Hancock's Partnerschaften mit dem Produzenten David Rubinson, der die Fillmore Corporation leitete und dem sehr bekannten Toningenieur Fred Catero führten schon kurze Zeit später zu ersten Probeaufnahmen im Tonstudio, die den Werks-Titel "Mwandishi" erhielten und drei längere Stücke, meist ausgedehnte Improvisationen als Grundlage für ein neues Album präsentierten. 

Die erste dieser drei expansiven Improvisationen war "Ostinato (Suite For Angela)", eine intensive instrumentale Kollaboration der Musiker, die sich gegenseitig unterstützten, aber auch konträr zu einander jammten. Zu diesem, sich über 13 Minuten erstreckenden Jam gesellten sich später als Gastmusiker der später als Rockgitarrist äusserst erfolgreiche Gitarrist Ronnie Montrose, de zu dem Zeitpunkt noch als Geheimtipp galt, sowie der Congas und Timbales spielende José "Cepito" Areas aus der Band SANTANA. Diesen Jam widmete Herbie Hancock der Polit-Aktivistin Angela Davis, die sich für die Bürgerrechte insbesondere der Schwarzen Mitbürger einsetzte und Mitglied der bekannten Black Panther Organisation war. 

Als zweites Stück präsentierten die Musiker mit "You'll Know When You Get There" eine Jazz Ballade, wie sie eigentlich typisch war für Herbie Hancock, die aber dank des ausgeklügelten Arrangements, das viele Reminiszenzen an die afrikanische Musik aufwies, ebenfalls neu und aussergewöhnlich klang. Insbesondere hier gerieten die instrumentalen Darbietungen zu wundervoll atmosphärischen Momenten und die ätherischen Stimm-Spielereien von Hancock wirkten mystisch-fremdartig, spannend und ungewöhnlich zugleich.

Der über eine Laufzeit von 21:20 Minuten ausgebreitete Jam "Wandering Spirit Song" schliesslich als dritte Einspielung dieses Albums zeigt eine grossartige Improvisation, die über mehrere musikalische Ebenen läuft, zeitweise in freier Form die Grenzen auslotet, einen Jazz-Walzer integriert und über phänomenal gespielte Einzeldarbietungen der hervorragenden Musiker verfügt, die sich an verschiedenen Stellen des Jams immer wieder finden, um sich danach wieder voneinander zu entfernen und mit individuellen freien Formen und teils abstrakten, aber enorm spannenden Soli zu begeistern. Der "Wandering Spirit Song" entstammt einer Idee des Trombonen-Spielers Julian Priester, der hier einen relativ grossen Spielraum erhält, sich jedoch nicht in den Vorrdergrund spielt, sondern zumeist im Zusammenspiel mit den anderen Musikern zu brillieren weiss.

Gemessen am Umstand, dass "Mwandishi" lediglich drei grosse Jams zeigt, die fast ausschliesslich freien Improvisationen entstammen, wirken sie beim Anhören erstaunlich auskomponiert, zumindest aber perfekt durcharrangiert. Wieviele von diesen Arrangements dem Zufall geschuldet sind, also auf der Inspiration der Musiker und der Fähigkeit, aufeinander spontan einzugehen basieren, kann vielleicht nicht schlüssig beantwortet werden, doch ist durchaus davon auszugehen, dass die Musiker sich einfach enorm gespürt haben, als sie diese Improvisationen spielten. Die eigentlich nur als Vorproduktion geplanten Aufnahmen in Fred Catero's Studio wurden kurze Zeit später in den professionellen Wally Heider Sound Studios in San Francisco in einem Guss noch einmal wiederholt und quasi als Live-Ereignis auf Band festgehalten. "Mwandishi" ist nicht das bekannteste Werk im umfangreichen Schaffen des Jazz Pianisten und Fusion-Meister Hancock, es zeigte aber eine weitere interessante, bis dato nicht gehörte Spielweise eines sich öffnenden Musikstils, der von jeglichem alten Muff längst befreit war. Für mich bis heute eines der herausragenden Werke aus dem Bereich Fusion.



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