GEORGE HARRISON - Gone Troppo (Dark Horse Records 9 23734-1, 1982)
Im Oktober 1982 veröffentlichte George Harrison mit "Gone Troppo" (australischer Ausdruck für "verrückt geworden") seine letzte Platte für die nächsten 5 Jahre. Neun Harrison-Kompositionen und ein Cover Song aus dem Jahre 1961 sind hier zu finden. "Dream Away" stammt aus dem Jahre 1981, die anderen Lieder wurden im Frühling und Sommer 1982 in Harrisons Heimstudio aufgenommen. George Harrison gab zur Veröffentlichung keinerlei Interviews, es wurde nur eine erfolglose Single "Wake Up My Love", mit der B-Seite "Greece" veröffentlicht und die Plattenfirma legte auch nur äusserst geringes Engagement an den Tag. So war die LP kommerziell absolut erfolglos, erreichte in England und den USA nicht einmal die Top 100. Neben "Electronic Sound" ist "Gone Troppo" damit Harrisons grösster Ladenhüter.
Ich habe sie mir einige Jahre nach der Veröffentlichung trotzdem gekauft, Ladenhüter haben auch Vorteile - sie werden mitunter recht preiswert angeboten. Allerdings konnte ich recht wenig mit der Scheibe anfangen, sie klang nicht wie "While My Guitar Gently Weeps" oder "Savoy Truffle", nicht wie "All Things Must Pass" oder die sehr schöne "Extra Texture" und leider hatte sie auch so gut wie nichts mit dem Vorgänger, dem nur etwas mehr als einem Jahr zuvor veröffentlichten "Somewhere In England" (bis heute meine Lieblingsplatte von Harrison) gemeinsam. Als Beatles-Fan mit einem Hang zu George Harrison habe ich sie mir immer mal wieder angehört, aber ehrlich gesagt: wäre sie nicht von ihm gewesen, sie wäre auch bei mir in der Versenkung verschwunden. Und natürlich habe ich sie, abgesehen von einem engen Freund (auch ein Beatles-Fan), niemandem vorgespielt. Irgendwie klang die Platte peinlich, uncool.
Was sollte das überhaupt sein ? Sicher kein Rock oder guter Pop. Kein New Wave, nicht mal eine zeitgenössische 80er Jahre-Platte, trotz der vielen Synthesizer-Einsätze, keine gefühlvollen Gitarrensongs, irgendwie verschroben und süsslich. Aber nicht so verschroben wie "It`s All Too Much" oder "Long Long Long" und nicht so süsslich wie viele andere Songs von ihm. Es gab einige wenige Ausnahmen, "Wake Up My Love" hatte was, eigentlich ein cooler Riff, allerdings waren da diese kalten Keyboards und der ungewohnt theatralische Gesang. Bei dem überwiegend instrumentalen "Greece" mochte ich vor allem, wie Harrison das Wort "Greece" singt. "Dream Away" hatte auch was, wirkte auf mich jedoch zunächst etwas wirr. Im Laufe der 80er Jahre stiess ich dann auf den sehenswerten Film "Time Bandits", produziert von Harrisons Film-Firma "Handmade Films", mit dem Titelsong "Dream Away". Die Nummer wurde mir noch etwas sympathischer. Harrisons Verbindung zu den Pythons wurde mir irgendwann bewusst. Der Humor der Platte, der sich auf das Platten-Publikum 1982 nicht übertragen hatte, begann bei mir zu wirken. Die Platte wirkt in grossen Teilen etwas überproduziert, allerdings nicht pathetisch, sondern eher mit einem Augenzwinkern, humorig, süsslich-tropisch. Harrison scheint das Ganze selbst nicht ernst zu nehmen und trotzdem dabei Spass zu haben.
Wurde George Harrison häufig vorgeworfen immer den ernsten, schwermütigen, spassfreien und moralinsauren Prediger zu geben, so präsentiert er sich hier als das exakte Gegenteil. Da geht fast flöten, dass hier eigentlich ein Strauss schöner, melodiöser Songs zu finden ist. Ich habe dies auch erst nach und nach entdeckt, hinter viel Humor und Synthesizer-Spielereien (Auf der remasterten Version von 2004 gibt es einen Bonus-Track, eine sehr schöne akustische Version von "Mystical One"). Der Coversong "I Really Love You" ist zum Beispiel eine herrliche Doo Wop-Nummer, in Harrisons Arrangement klingt sie aber eher so, als ob Eric Idle für "Der Sinn des Lebens" einen pythonesken Filmsong geschrieben habe. "Mystical One" und "Unknown Delight" würden mit anderem Sound sehr gut auf "George Harrison", seinem Album von 1978 passen. Zwei sehr schöne und melodiöse Songs. "Wake Up My Love", ein ernster Text mit selbst-ironischen Spitzen, dargeboten mit übertrieben theatralischem Gesang. Auf "Living In The Material World" hätte das noch anders geklungen. "That`s The Way It Goes", ein schönes Lied, ein guter Text. Der damalige US-Präsident und ehemalige B-Movie-Schauspieler Ronald Reagan sprach oft von den USA als 'Shining City On A Hill'. Der Titel "There's An Actor Who Hopes To Fit The Bill Sees A Shining City On A Hill" als schon fast zynische Anspielung auf den Mann, der das gelobte Land mit "some krugerrand" erwirbt, ist perfekt gelungen.
Der Titelsong ist ein einziger Spass, eine tropische Laune, zum Schluss wird dann noch das Fade-out-Abrocken auf den Arm genommen. "Baby Don`t Run Away" könnte ein sehr schöner und einschmeichelnder Song sein, und teilweise ist er das auch. Ich mag unter anderem die weibliche Background Stimme. Aber die technischen Spielereien drehen uns hier auch wieder eine lange Nase. Der Time Bandits-Song "Dream Away" ist für mich vielleicht der beste Song. Sehr interessant arrangiert, schöne Melodien, ausgefeilt. Das Lied benötigt aber Zeit, um zu wirken. Das abschliessende schwermütig-gospelige "Circles" fällt aus dem Rahmen. Ein spiritueller Text, schleppend langsames Tempo, wenn Gewinn und Verlust, Oben und Unten gleich sind, dann hören wir auf im Kreis zu gehen. Nach dem beschwingten "Dream Away" holt uns "Circles" schön herunter. Ich denke immer, "Dream Away" wäre eigentlich der passendere Song für den Schluss des Albums gewesen. Aber es passt zu dieser Platte, dass am Schluss noch so eine Nummer nachgereicht wird, mit der man eigentlich nicht gerechnet hätte.
In fast jedem Track werden zwei Synthesizer eingesetzt. Insgesamt gibt es hier sehr viele elektronische Spielereien zu hören und ich habe den Eindruck, dass Harrison sich nicht für eine Sekunde damit beschäftigt hat, eine erfolgreiche Platte zu produzieren. Sowohl bei der Original-LP als auch bei der remasterten CD von 2004 findet sich im Booklet - and now for something completely different - eine ausführliche Anweisung, wie man Zement anmischt. Das Bild von Harrison auf dem Frontcover stammt aus dem Jahre 1974 und das zweite Foto zeigt Harrison mit geschmacklos tropischem Hemd im Kreise von drei durchgeknallten Typen (die neuen Fab Four ?) in behämmerter Pose. Art Direction und Sleeve Design stammen von Georges altem Freund Legs Larry Smith und die Hülle ist so schrecklich bunt und kitschig-geschmacklos, dass sie schon wieder gut ist.
Müssig zu erwähnen, dass auch für "Gone Troppo" einige der besten Studiomusiker und Top-Künstler im Tonstudio ihre musikalischen Begabungen auslebten: Neben Herbie Flowers, Henry Spinetti, Ray Cooper und Mike Moran als Harrison's damalige Stammband, wirkten als Gäste auch so illustre Musiker wie Billy Preston, Jon Lord, Jim Keltner, Gary Brooker, Neil Larson und Willie Weeks mit. Also auch musikalisch ist die Platte qualitativ hervorragend eingespielt und klingt makellos.
Dass "Gone Troppo" kommerziell absolut erfolglos war, ist nicht überraschend. Ich hätte die Platte, wäre sie nicht von einem meiner Lieblingsmusiker gewesen, auch schnell ins Regal abgeschoben. Mittlerweile mag ich sie aber sehr. Viel schräger, typisch britischer Humor, einige treffsichere und schöne Songs, überdrehte, spleenige Spielereien, ein grellbuntes Cover und nicht zu vergessen: eine Anleitung für guten Zement. Herrlich!
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