THE TALLEST MAN ON EARTH - There's No Leaving Now
(Dead Oceans Records DOC068, 2012)
The Tallest Man On Earth ist das Pseudonym des Folkrock-Musikers Kristian Matsson und gleichzeitig eine humorvolle Anspielung auf seine geringe Körpergrösse. Matsson wurde am 30. April 1983 in Dalarna, Schweden geboren. Seine Musik wird häufig mit der des frühen Bob Dylan verglichen. Matsson selbst, der bereits im Alter von 15 Jahren live auf der Bühne stand, zählt neben Dylan jedoch auch die eher modernen Musiker und Bands Feist, Bon Iver, Okkervil River, sowie die Avett Brothers als wichtige Einflüsse für seine musikalische Entwicklung auf. Sein erstes Album war die 2006 erschienene EP "The Tallest Man On Earth". Doch erst 2008 wurde Matsson durch eine Rezension seines Debütalbums "Shallow Grave" bei Pitchfork sowie durch seine daran anschliessende Tour als Vorgruppe für Bon Iver einem grösseren Publikum bekannt. Im April 2010 folgte die Veröffentlichung seines zweiten Albums "The Wild Hunt". Die Aufnahmen für dieses Album entstanden fast ausschliesslich auf seinen Konzertreisen und wurden nicht professionell produziert, sondern an wechselnden Orten ohne Tonstudio vor Ort ungefiltert aufgenommen. Während er seine beiden vorhergehenden Alben beim schwedischen Independent Plattenlabel Gravitation veröffentlichte, beauftragte er für den Vertrieb von "The Wild Hunt" das amerikanische Label Dead Oceans Records. Kristian Matsson ist ausserdem der ehemalige Sänger der Band Montezumas, mit der er 2006 ein Album mit dem Titel "Montezumas" veröffentlichte.
Drei Alben und zwei EP's veröffentlichte Matsson innerhalb von nur vier Jahren und mauserte sich damit zum vielschreibenden Musiker, der damit als recht produktiver Künstler gilt. Dabei versucht er stets, dem frühen akustischen Folk von Anfang der 60er Jahre immer wieder einen modernen Approach zu verleihen. Dabei zeigt er sich immer wieder als sehr vielseitiger und kreativer neuer Vertreter dieses seit einigen Jahren bereits wiederbelebten Genres, das so beweglich früher nie gewirkt hat. Matsson liebt die Stille in den Songs genauso wie die dramatische Steigerung mit einfachsten Mitteln. Oft hebt er seine Stimme, um im nächsten Moment wieder in leisen Singsang zurückzugleiten, ein auf und ab der Gefühle, mal als Drang, dann wieder als Reduktion. Spielte er anfangs noch eher den klassischen gezupften Troubadouren-Stil etwa der 60er Jahre Musiker aus England auf seiner akustischen Gitarre, so setzte er spätestens bei seinem zweiten Album "The Wild Hunt" vermehrt auch flüssig gleitende und lässig rollende Rhythmen ein, die seine Geschichten genauso schmeichelnd umgarnten.
Matsson spielt mit seinen vielen Ichs, nimmt aberwitzige Erzählpositionen ein und öffnet sich dabei vom manchmal eher sperrigen, bisweilen etwas eigenbrötlerisch wirkenden und spröden Folk auf dem Album "There's No Leaving Now" hin zu einem wesentlich fliessenderen Folk, der manchmal sogar eine durchaus wohlig empfundene Nähe zum Pop erreicht. Stets ist bei dem Musiker alles Bewegung, eine Reise durch die Zeit, die Welt und in das Ich: "If you could reinvent my name, if you could redirect my day, I wanna be the king of spain", singt Matsson.
"There Is No Leaving Now" setzt die Serie mit wunderschönen Naturbildern seiner Albumcovers fort. Aufnahmen aus dem Hohen Norden möchte man meinen. Schön und verträumt wie die Musik, in denen doch eine innere Unruhe lebt, ein Gefühl von Aufbruch, kurz vor der Extase manchmal. Vier jahre nach seinem Debütalbum singt Matsson seine Lieder immer noch inbrünstig, schweissgebadet im Scheinwerferlicht, voller Ehrlichkeit und kommt dabei ganz ohne Pathos aus. Beinahe sentimental klingen seine Lieder auf diesem wundervollen Album, die musikalisch stets der alten Zeit würdigen. Holzbläser, Pedal Steel Guitar, Baritongitarre und Klavier umrahmen die Kompositionen. Die dabei eingesetzten Stilmittel, den Traditional und den Folk, ehrt dieser Ausnahmekünstler konsequent und das lyrische Ich verortet sich unweit jenem von Bob Dylan: in einem Nirgendwo falscher Identitäten und Scheinwirklichkeiten.
Er singt zum Beispiel im Titelsong "There Is No Leaving Now" seine zauberhaftesten Zeilen. Sie sind weitaus weniger spektakulär, als man vielleicht annehmen möchte und beinahe untypisch von einem eleganten Klavier getragen. Und er singt eine Parabel über Krieg und Frieden, die sich im Kampf des Erzählers mit seinem Ich widerspiegelt. "There Is No Leaving Now" wirkt wie eine Atempause in einer atemlosen Welt, ein Moment der Ruhe in einer musikalischen Welt, die von unbedingter Dringlichkeit gekennzeichnet ist. Und doch zieht Kristian Matsson auf diesem wunderschönen und einnehmenden Werk seine ganze Virtuosität, seine Dynamik und Kunstferttigkeit stets aus der Nähe zur Live Performance. Nicht zuletzt deshalb wirkt die Platte umso intensiver und lässt den Zuhörer staunend und beeindruckt zurück. Eine Platte zum immer wieder auflegen, weil es keine bestimmte Stimmungslage voraussetzt. Ein überragendes Werk, das es nicht verdient hat, übergangen zu werden.
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