BOB DOWNES OPEN MUSIC - Electric City (Vertigo Records 6360 005, 1970)
1970 startete Bob Downes ziemlich extrem durch, zumindest was seine unbändige Komponierfreude und seine enorme Produktivität angetrifft. In diesem Jahr veröffentlichte er gleich vier Alben (!), von denen jede eine etwas andere musikalische Grundausrichtung aufwies. Das erste Produkt, "Open Music" betitelt, erschien im Frühjahr 1970 auf Philips Records und klang wie eine damals ziemlich zeittypische Jazz Rock Mélange, ähnlich jener etwa von den gerade aufkommenden COLOSSEUM. Er kokettierte da schon mit vielen freien Formen des Spiels, die allerdings noch so konkret klangen, dass man sie nicht in die Free Jazz Ecke stellen konnte. Als nächstes reichte er eine LP nach, die auf einem Billigsampler-Label (dem bekannten mfp-Label "Music For Pleasure" Records) vor allem in den Kaufhäusern als Ramsch-Platte im niedrigen Preissegment zu finden war (!). Unfassbar, angesichts der hohen Qualität der gebotenen Musik auf "Deep Down Heavy", das sein enorm vielfältiges Betätigungsfeld nun in Richtung verzerrte Gitarren, leichten progressiven Rock und recht psychedelische Abenteuer steuerte. Als wäre dies nicht genug, kam der umtriebige Musiker in der Folge auch beim von Philips lancierten Progressiv-Label Vertigo Records unter Vertrag, wo er im Sommer desselben Jahres die Platte "Electric City" veröffentlichte. Noch im gleichen Jahr reichte er schliesslich mit dem auf JW Theme Music erschienenen Album "Bob Downes' New Sounds For Flute, Percussion And Synthesizer" ein extrem abstraktes, kaum konsumierbares sperriges Werk nach, das kaum Käufer fand und wohl auch eher eine Art Werbung darstellte, was für Soundveränderungen man inzwischen mittels elektronischer Gerätschaften erzeugen kann. Ich selber habe diese LP nie gesehen, geschweige denn gehört. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass von der Platte viele Exemplare im Umlauf gekommen sind. Gerne würde ich da allerdings einmal reinhören.
Die weitaus interessanteste dieser vier Veröffentlichungen war die Platte "Electric City", dessen gleichnamiges Stück der Künstler zuvor bereits auf dem Album "Open Music" veröffentlicht hatte (sehr ungewöhnlich). Das Album spielte Downes mit einer wahren Armada von Mitmusikern ein, insgesamt waren nicht weniger als 17 Musiker an dem LP-Projekt beteiligt, eine Mehrheit davon Bläser. Darunter befanden sich durchaus auch bekannte Grössen, wie etwa der Gitarrist CHRIS SPEDDING ("Motorbikin'", "Jump In My Car"), der bereits auf dem stilistisch ähnlich ausgelegten Werk CENTIPEDE von KEITH TIPPETT, das ebenfalls ein Mammut-Stelldichein von nicht weniger als 50 Musikern bot, mitwirkte. Ausserdem der Trompetenspieler KENNY WHEELER, die sehr bekannten Trompeten- und Flügelhorn-Spieler IAN CARR (Nucleus) und HAROLD BECKETT, sowie der Bassist HERBIE FLOWERS und der Schlagzeuger CLEM CATINI, um nur einige zu nennen. Produziert hatte Bob Downes dieses Werk selber, was dazu führte, dass er die alleinige Kontrolle besass und dadurch völlig freie Hand sowohl in kompositorischer, wie in instrumentaler Hinsicht hatte. Etwas, das heutzutags praktisch nicht mehr möglich wäre. Dank dieser uneingeschränkten künstlerischen Freiheit entstand ein Werk, das man getrost als Downes' Meisterstück bezeichnen kann.
"Electric City" in seiner Gesamtheit zu erfassen wirkt auf den Zuhörer, als würde er mit einer Art Rundumschlag der verschiedensten musikalischen Facetten der frühen 70er Jahre Progressive Rock/Jazz und Fusion-Aera konfrontiert. Die Platte zeichnet sich durch eine enorme Vielfältigkeit aus. Es gibt allerdings zwei auffällige Merkmale, welche die Stücke auf dem Album gemeinsam haben: Sie sind entgegen der üblichen Songlängen in diesem musikalischen Bereich eher kurz bis sehr kurz. Das eröffnet natürlich eine neue Betrachtungsweise beim anhören: Statt ellenlanger Einleitungen wird relativ rasch auf den Punkt gespielt, die Dynamik der Songs ist entweder nur von kurzer Dauer oder reisst gleich von Beginn weg alles nieder: Hier wird auf allen Songs kurz und knapp gepowert, atemlos vorwärtsgeprescht und nie auch nur ansatzweise in ein Thema eingeleitet. Das ist bemerkenswert, zumal bei solch einer massiven Manpower von 17 Musikern. Alle Achtung!
Das erste Stück "No Time Like The Present" zeigt diese Arbeitsweise ganz hervorragend und weist bereits im Songtitel klar darauf hin: Hier, jetzt und sofort. Der Song wurde auch als Single veröffentlicht, natürlich ohne jeglichen Erfolg. Welches Publikum, das sich gerne Singles kauft, würde schon so einen energischen Fusion-Brocken mehrfach zuhause runternudeln wollen ? Heute sind ja so einige Singles-Auskoppelungen von Vertigo Records aus ihrer frühen Swirl-Phase nicht mehr ganz nachvollziehbar, zumal auch die Firmenstrategie damals klar auf Album-Kunst ausgelegt war. Man erhoffte sich indes vielleicht, auch auf dem Singles-Markt mittun zu können. Zählbare Erfolge boten da jedoch letztlich nur die ebenfalls bei Vertigo veröffentlichenden Black Sabbath, Uriah Heep oder Status Quo. Alle anderen Swirl Singles sind eher als Kuriosa anzusehen. So auch dieses Tück von Bob Downes, das mit der B-Seite "Keep Off The Grass" ausgestattet war, dem zweiten Song auf dieser LP.
Ausser einem eher befremdlich wirkenden Bossa Nova Rhythmus, der im Song "West II" wie eine Art Filmmusik aus den späten 50er Jahren anmutet, gibt es bei praktisch allen anderen Songs Assoziationen zu den typischen Fusion- und Jazz Rock-Vertretern jener Zeit zu hören. Seien dies COLOSSEUM oder IAN CARR's NUCLEUS, PASSPORT oder auch JOHN McLAUGHLIN: Die Einflüsse sind hörbar, und trotzdem spielt Bob Downes in einer ziemlich eigenen Liga. Nicht immer qualitativ, dafür umso mehr auf recht exzentrische Art und Weise. Denn ein grosser Sänger ist Downes nicht, hat aber viel Dynamik und eine helle, klare Stimmfarbe, die durchaus passend wirkt und die instrumentalen Orgien, die manchmal schon an der Grenze zum Erträglichen sind, was ihre Opulenz anbetrifft, angenehm herunterzureissen vermag. Man muss sich natürlich schon vergegenwärtigen, dass hier zeitweise bis zu sechs Bläser in einem einzigen Song zu hören sind. Das tendiert dann zum Brass Rock, wenn noch die verzerrte Rockgitarre von Chris Spedding dazu kommt. Spedding war zu jener Zeit ja auch bei Ian Carr's Nucleus eingesetzt. Dieser wiederum setzt klare Akzente, die an die Nucleus-Werke "Solar Plexus" und - noch stärker - an "Belladonna" erinnern. Die Titel wie "Don't Let Tomorrow Get You Down", "Go Find Time" oder "Crunch Hour" sind hierfür schöne Beispiele.
Am extremsten klingt Bob Downes immer in jenen Momenten, in denen er seine Freiheiten an Flöte und Saxophon auslebt. Er quiekt und malträtiert vor allem sein Saxophon, bleibt dabei aber stets kompakt in der Linienführung und rastet jeweils nur wenige Momente lang aus, was sich aufgrund der Songlängen von zwischen lediglich 2:15 und 4:30 Minuten eindrücklich nachempfinden lässt. Einziger Ausreisser ist der Schlusstitel "Gonna Take A Journey", das bei aller Exaltiertheit irgendwie doch herrlich fliesst und man erhält bei dem Stück auch eine Ahnung, wie bequem Bob Downes aus seinen knappen Dynamik-Shorties der LP jederzeit auch hätte ausufernde Variationen präsentieren können. Auch als längere Varianten mit vielleicht total ausgeflippten instrumentalen Ausbrüchen hätte diese Musik super funktioniert, das kann man sich gut vorstellen, wenn man seine Musik anhört. Bloss hätten das Album dann vielleicht noch weniger Hörer für sich entdeckt. Wer weiss.
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