THE MOTORS - 1 (Virgin Records V2089, 1977)
Die erste LP der britischen Rock Band THE MOTORS gehört zu jenen ungeschliffenen Rohdiamanten des Rock, die heute leider weitgehend vergessen sind. Sehr zu Unrecht, denn die mit einer umwerfend knalligen Mischung aus frühem Riff Rock und knochenhartem Pub Rock'n'Roll ausgestattete Platte ist eine Granate, auch heute noch. Wenn sich heute überhaupt noch Jemand an die Motors erinnert, dann wahrscheinlich höchstens wegen ihres Radio Hits "Airport", der 1978 die Top 10 erklomm und auch heute noch regelmässig am Radio gespielt wird. Da waren sie aber bereits entschärft worden, die böse beissenden Zähne wurden ihnen bereits gezogen. Ihr Plattendebut indes war noch von ganz anderem Schrot und passte zeitlich recht gut in die dynamische Aufbruchsphase des riffigen Rocks, zumindest was die Rohheit im Sound und die Direktheit der Stücke anbetrifft. Punker indes waren die Motors nicht. Allerdings auch keine Dr. Feelgood-Epigonen, denn dafür waren sie wiederum zu hart und forsch in der musikalischen Umsetzung ihrer brillianten Rock Songs, die näher am klassischen Rock waren als am harten Rhythm'n'Blues. Und qualitativ waren sie den frühen Punk-Helden weit voraus, welche jedoch auch gar nie irgendeinem anbiedernden qualitativen Anspruch genügen wollten.
Die Motors wurden im Herbst 1976 von Nick Garvey und Andy McMaster gegründet. Die Wurzeln ihrer Musik lagen im klassischen Pub Rock der 70er Jahre und damit verbunden einer Band namens Ducks Deluxe, welche diesen Stil entscheidend mitprägte. Ducks Deluxe entstanden 1972 und Nick Garvey spielte in der Band den Bass. Geboren 1951 und aufgewachsen im britischen Stoke On Trent arbeitete Nick Garvey eine zeitlang als Roadie bei den Flamin' Groovies und später in diversen Formationen als Bassist. Er meinte schnippisch: "I like the bass because it has less strings". Als im Jahre 1974 das zweite Album von Ducks Deluxe mit dem Titel "Taxi To The Terminal Zoo" aufgenommen wurde, gesellte sich der Keyboarder Andy McMaster zur Truppe. Der 1941 in Glasgow geborene Musiker spielte seit den 60er Jahren in verschiedenen Formationen, darunter THE SABRES, bei welchen ein Sänger namens Frankie Miller das Mikrophon schwang. Als sich diese Band 1966 trennte, machte Andy McMaster mit Frankie eine zeitlang weiter Musik unter dem Bandnamen The Motors.
Zu Ende des Jahres 1975 verliessen Garvey und McMaster die Gruppe Ducks Deluxe aufgrund bandinterner Querelen (die Gruppe löste sich schliesslich im Folgejahr endgültig auf). Andy McMaster begann Songs zu schreiben, während Nick Garvey mit einer Band namens The Snakes Konzerte gab. Das Repertoire umfasste 50er Jahre Rhythm'n'Blues Titel etwa von Chuck Berry, aber auch Flamin' Groovies Songs. Rasch verlor Garvey allerdings die Lust, ständig nur Coversongs zu spielen und tat sich daher erneut mit Andy McMaster zusammen, dessen inzwischen komponierte, aber noch nicht innerhalb einer Band umgesetzten Songs er sofort mochte. Im November 1976 war es soweit: McMaster und Garvey gingen ins Tonstudio und spielten die ersten Songs ein. Dazu gesellten sich ab Anfang 1977 nach und nach die Musiker Richard Wernham, der ehemalige Schlagzeuger der Snakes, der sich fortan das Pseudonym Ricky Slaughter zulegte, sowie der Gitarrist Rob Hendry, der allerdings schon im Mai gegen den versierteren Bram Tchaikovsky (bürgerlicher Name Peter Bramall) ausgewechselt wurde. Mit Hendry spielte die Band drei Stücke im Studio ein, die später allerdings mit Bram Tchaikovsky noch einmal komplett neu eingespielt wurden ("Emergency", "Bring In The Morning Light" und "Dancing The Night Away").
Am Freitag, dem 13. Mai 1977 unterzeichneten die Motors einen Plattenvertrag bei Virgin Records, wurden anschliessend als Supporting Act für die Band THE HEAVY METAL KIDS auf Tournee geschickt, und Ende Juni begannen die Aufnahmen zum ersten Album, unter der Leitung des renommierten Produzenten Robert John "Mutt" Lange (City Boy, Supercharge, Graham Parker, The Boomtown Rats). Im September erschien die Vorab-Single "Dancing The Night Away" mit der B-Seite "Whiskey And Wine", und diese stieg sogleich in die Charts und erreichte den respektablen Rang 42. "Dancing The Night Away" erschien als gekürzte Version, während das Stück auf der LP in Originallänge 6 1/2 Minuten lang war und später in den USA auch als 12" Maxi Single erschien. Das dazugehörige Album "The Motors 1" erschien kurz darauf und wurde ebenfalls zu einem grossen Achtungserfolg für die Gruppe. Ein Platz 46 in den britischen Charts, sowie einen Rang 30 in den Melody Maker Jahrescharts liessen auf eine grosse Zukunft hoffen.
Das Fabelhafte an der Band war schon nur der Albumtitel "1" und natürlich das tolle Cover, das kompromissloser nicht hätte ausfallen können. So, wie die Band sich auf dem Albumcover in Szene setzte, so klang die Gruppe auch auf der Platte, diesem Meisterstück aus knalligem Rock'n'Roll oder wie es der britische Musikjournalist Mick Wall äusserst kreativ beschrieb "New Wave of British Heavy Pop". Mit Zutaten wie dem harten Boogie von Status Quo, welche diesen auf ihrem 72er Album "Piledriver" präsentiert hatten, und amerikanischem Pop Metal im Stile von Cheap Trick (die den Titel "Dancing The Night Away" später auch coverten) überraschten die Motors mit einem vorwärtstreibenden Rock-Rohdiamanten, der wie ein bis dato nicht gehörtes musikalisches Bindeglied zwischen Rock'n'Roll und dem späteren New Wave of British Heavy Metal wirkte. Auch die Gruppe SAMSON coverte später einen Song dieses ersten Motors Albums: "Phoney Heaven" wurde von SAMSON regelmässig live aufgeführt.
Es folgte die erste Tournee als Headliner im September 1977, sowie zahlreiche Auftritte mit grossen Bands wie etwa Wishbone Ash, bevor die Band um Nick Garvey und Andy McMaster im Folgejahr mit der Single "Airport" ihren einzigen Top 10 Hit landen konnte. Danach stieg der geniale Gitarrist Bram Tchaikovsky aus der Band aus, um eine Solokarriere aufzubauen, und der Rocksound der Motors wurde wesentlich glattgebügelter, was ihnen das Publikum allerdings nicht allzu sehr übel nahm, denn live waren die Motors auch weiterhin ein sicherer Garant für harten und trockenen Party Rock, der sich noch bis zum finalen dritten Album "Tenement Steps" 1980 halten konnte, auf welchem inzwischen zwei ehemalige Musiker der Gruppe MAN, nämlich der Bassist Martin Ace und der Schlagzeuger Terry Williams mit von der Partie waren. Danach waren die Motors Geschichte. Ihr erstes Album "1" gehört für mich zu den unterschätztesten Rockalben überhaupt und so mancher würde heute durchaus ein grossesAha-Erlebnis erfahren, wenn er sich diesen rohen Diamanten einmal auflegen würde. Die Musik auf dieser Platte kann Dir auch heute noch bei adäquater Lautstärke das Hirn wegblasen. Geil!
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