THE LONELY BOYS - The Lonely Boys (Parlophone Records PRO 4176, 1996)
Nun ist es natürlich nicht so ganz einfach, einem Musiker aus einer Popband den rohen und ungeschliffenen 60er Jahre Rock'n'Roll abzunehmen, denn die Pop-Fans machen einen weiten Bogen und die 60's Fans hören gar nicht erst rein, wenn sie wissen, wer da dahinter steht. Daher mein ganz persönlicher Aufruf hier. Liebe Freunde der echten Bauch-, Bein- und Herzmusik: Bitte hört hier mal eben kurz rein und vergesst dabei den Namen Roxette! Hier empfehle ich Euch echt eine feine Platte. Sie erschien bereits im Jahre 1996, und ich denke jetzt mal, man findet das Teil nicht mehr grad an jeder Ecke. Wühl- und Grabbeltische dürften aber noch ab und an ein unabgegriffenes Exemplar freilegen, bei welchem auch höchstens brettharte Sammler mit einer Affinität zu nach 60er Jahren stinkenden Coverbildern zugreifen.
Der Musiker Per Gessle erklärte 1996 seine Lonely Boys-Platte auf die Frage eines Musikjournalisten, wer die Lonely Boys denn wären, folgendermassen: "Who are The Lonely Boys ? Good question. The Lonely Boys was from the beginning the name of a novel written by the Swedish writer Mats Olsson. The story was about a young rhythm'n pop band located in the south of Sweden circa 1965. Mats asked me and a mutual friend Nisse Hellberg if the two of us could provide a soundtrack for this book, writing and recording what could in fact be The Lonely Boys' debut album. What a wonderful idea. A soundtrack to a book. It must be a first."
Na also, zumindest einmal eine schlüssige Erklärung für ein eher ungewöhnliches musikalisches Projekt: Ein Buch vertonen. Zumal eines, dessen Geschichte in einer Zeit spielt, in welcher der Rock fröhliche Urständ feierte. Natürlich ist so eine Idee auch im Jahre 1996 nicht mehr neu, aber wenn sie gut gemacht ist, ist sie doch immer wieder unterhaltsam. Darum ging Per Gessle hin, trommelte einige Musikerfreunde zusammen und nahm mit ihnen innerhalb von sechs Tagen und Nächten 14 selbstverfasste Songs auf, die verdammt authentisch nach dem klassischen 60's Mod Rock klangen und wählten als einzigen zusätzlichen Titel, der nicht aus eigener Feder stammte, den Jagger/Richards-Titel "So Much In Love". Diesen Titel spielten die Rolling Stones selber nie ein, dafür die Rock'n'Roll-Combo The Inmates, deren Sound durchaus bei dem Lonely Boys-Projekt von Per Gessle Pate stand.
Der Authentizität geschuldet, verwendeten die beteiligten Musiker ausschliesslich Equipment aus den 60er Jahren. Von überall her trommelten sie Instrumente zusammen aus den 60er Jahren, bis sie sich soweit eingedeckt hatten, dass sie anfangen konnten zu musizieren. Das ging weit über die eingesetzten Instrumente wie Gitarren oder Bässe hinaus bis zu originalen Mikrophonen, Verstärkern, Echo- und Hallgeräten und einer rein analogen Aufnahmetechnik mit dem Einsatz von herkömmlichen Mehrspur-Bandmaschinen und einem alten, ausgeleierten Mischpult. Wer nun befürchtet, dass das Ganze eher schlecht klingt, hat verdammt recht. Aber was bedeutet denn jetzt schlecht, wenn der Musikhörer staunend vor seiner Musikanlage Stücke hört, von denen er im Leben nicht glauben würde, dass sie nicht mindestens 50 Jahre auf dem Buckel haben ?
Gemäss Per Gessle sollte das Ganze am Ende klingen wie das Debutalbum einer schwedischen Rhythm'n'Pop-Band 1965. Also das kann man hundertprozentig bestätigen: Genauso klingt dieses Album. Finanziert hat Per Gessle dieses Projekt übrigens ausschliesslich mit seinen Einkünften aus der Arbeit mit Roxette. Da legt er grossen Wert drauf, denn es entsprach wohl exakt seinen Vorstellungen, wie das Ganze zu klingen hat, falls er wirklich mal die Zeit aufbringen kann, sich an ein Solowerk heranzuwagen. So ist das dann ein Werk geworden, das quasi mittels Zeitmaschine in der Vergangenheit realisiert und in der Gegenwart veröffentlicht wurde: "We planned it to stay that way. This was a one-off project that we enjoyed enormously. Lots of laughs, lots of beer and a lot of love for the '60s" (Per Gessle im März 1996 in Stockholm)
So klingt denn diese CD wirklich und echt wie eine jahrzehntelang verschollen gebliebene Langspielplatte von 1966. Und es passte wirklich alles perfekt zusammen: Tolle, vor allem recht kurze Songs, eingespielt und aufgenommen unter Verwendung von ausschliesslich antiquarischem Equipment und abgemischt auf rohe, ungeschliffene und süffige 60's Art. Die Stilbandbreite der Songs auf dem Album würde ich in etwa so umschreiben: The Kinks (einen Kaffeelöffel voll), The Yardbirds (eine Prise), The Beatles (wenig), The Rolling Stones (etwas mehr), The Who (noch etwas mehr). Erschienen war das Werk standesgemäss auf Parlophone (Danke an EMI - so wirkt sogar das Cover authentisch!), und mit viel Liebe für's Detail im Booklet hergerichtet. Ein Festschmaus also - nicht nur für Garage-Fans. Zum Schluss aber doch noch mein ganz persönlicher Anspieltipp: "Pretty Little Devil". Tja, früher wusste man halt noch, wie man der Liebsten huldigt...you're my pretty little devil with angel eyes. Herrlich!
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