Aug 16, 2016


RORY GALLAGHER - Blueprint (Polydor Records 2383 189, 1973)

Wer etwas über Rory Gallagher schreibt, trägt eigentlich immer Eulen nach Athen. Er war der Rockmusiker schlechthin: Virtuos und ungestüm, aber auch bescheiden und freundlich. Er trat lieber mit seinen eigenen Stücken unter eigenem Namen auf als in einer Band wie den Rolling Stones, Cream oder Deep Purple zu spielen: alles Bands, die ihn nach dem Weggang ihrer Gitarristen bei sich haben wollten. Er liebte vor allem den Blues in all seinen Schattierungen. Vom gezupften Folkblues bis zum rumpelnden Blues Rock beherrschte er alles so überzeugend und leichthändig, dass man glaubte, er hätte die Stile alle selbst erfunden. Es war nicht so, und das wusste er auch. Er stand einfach in der Tradition zwischen Big Bill Broonzy und Jimi Hendrix, und er wollte ganz offenbar nur das. Dem Blues gab er die typisch irische Melancholie hinzu, die augenzwinkernd den Tod besingen kann, aber auch dem Leben zu Ehren einen Tanz aufführt. Sein Tanz war der mit den Fingern über das Griffbrett seiner berühmten Fender Stratocaster von 1961, einem offensichtlich schwer geschundenen Instrument, das er nie gegen ein anderes auswechselte. Mit ihr konnte er seinen persönlichen Sound erzeugen, und etwas anderes interessierte ihn nicht. Er war ein Musiker ohne jegliche Allüren, aber auch ein typisch irischer Sturkopf, der nie den einmal eingeschlagenen Weg verliess.

"Blueprint" ist tatsächlich eine Art Blaupause seines Schaffens, denn in diesem Album ist alles vereint, was ihn vorher und nachher ausgemacht hat. Es enthält sanfte Balladen wie das göttlich schöne "Daughter Of The Everglades", fast poppige Hymnen wie "If I Had A Reason", angenehm bluesige, aber äusserst rhythmische Rocker wie "Walk On Hot Coals", eine Hommage an eines seiner Vorbilder mit "Banker's Blues", und nicht zuletzt diese düstere Geschichte über einen Wunderheiler, der seine Kräfte verliert, weil er sich vermarkten lässt: "Seventh Son Of A Seventh Son". Seine Texe sind realistisch, ohne jemals politisch zu werden, poetisch, ohne gebildet zu wirken, und sie schöpfen aus Lebenserfahrungen, ohne mahnend den Zeigefinger zu heben. Sicher, er hat tatsächlich wenig verändert, dieser irische Vollblutmusiker. Er blieb beim Blues und er engagierte sich nur für seine Musik. Aber damit hat er überzeugende Perlen der Ehrlichkeit geschaffen, die bleiben werden. "Blueprint" war zu seinen Lebzeiten sein kommerziell erfolgreichtes Album, wenn auch andere vielleicht mehr Aufmerksamkeit erregt haben. Der Sound ist noch nicht so geschliffen und klar wie beispielseweise auf seinen späteren Werken "Against The Grain" oder "Calling Card", aber dafür intimer, persönlicher und auf eine angenehme Weise dunkel. Verglichen mit anderen Produkten aus der Zeit um 1973 klingt das Werk sicher sehr traditionell. Das ist Rory aber auch später geblieben, ohne dass ihm das jemand vorgeworfen hätte. Dafür war einfach zu gut darin.

Rory Gallaghers Power Trio wurde 1972 für die Aufnahmen zur Platte "Blueprint" um den Keyboarder Lou Martin erweitert, einen Kumpel des neuen Drummers Rod De'Ath. Und das war ein Schritt vorwärts, wie gleich der überlange Opener "Walk On Hot Coals" eindrücklich unter Beweis stellte. Power und Spielfreude sind bei diesem Titel gleich von Beginn weg im Übermass vorhanden. Einen akustischen Gegensatz bietet "Unmilitary Two-Step". So pendelt das Album zwischen Delta-Blues und Power-Bluesrock. Leider ist bei "Daughter Of The Everglades" der Gesang etwas zu leise abgemischt, ansonsten ist das ein makelloses Album und wohl eines seiner wichtigsten, denn es zeigte Rory, dass er auf dem exakt richtigen Weg war. Die Bandbesetzung, wie sich auf "Blueprint" erstmals präsentierte, blieb bis 1976 konstant. Rory war Zeit seines Lebens ein begnadeter, sympathischer und integerer Musiker. Er hatte sogar das Angebot abgelehnt, als Nachfolger für den geschassten Mick Taylor bei den Rolling Stones einzusteigen, bloss um seine Unabhängigkeit von den Zwängen der grossen Musikindustrie zu bewahren.

Mit seinem langjährigen Bassisten Gerry McAvoy und dem Schlagzeuger Rod De'Ath, sowie dem neu hinzu gekommenen Keyboarder Lou Martin, der auch eine zusätzliche Gitarre beisteuerte, hatte Rory Gallagher für die nächsten paar Jahre eine konstante Besetzung, mit der er seine wahrscheinlich besten und wichtigsten Alben aufnehmen konnte. Alle drei Musiker konnten sich in die musikalischen Ideen ihres Chefs perfekt einbringen, gaben jedem in dieser Zeit produzierten Song den idealen Background. Das war umso erfreulicher, als dass Rory als Mensch und vor allem als sein eigener Manager mitunter relativ schwierig sein konnte. Gerry McAvoy hatte in seiner Biographie schön beschrieben, wie enervierend das manchmal sein konnte, wenn man am Freitagmorgen ein Telephon von Rory bekam, dass man am selben Abend Hunderte von Kilometern entfernt einen Auftritt bestreiten würde. Wie die Musiker allerdings dahin gelangen sollten, war ihre Sache. Ausserdem hielt Rory seine Musiker auch finanziell eher an einem sehr bescheidenen Tropf und nicht selten erwuchsen über die schlechte Bezahlung ihres Chefs ziemlich heftige Diskussionen. Letztlich standen die Musiker aber trotz alledem immer wieder treu an Rory's Seite und halfen auf jeden Fall mit, seinen Status als brillianten Gitarristen in alle Welt zu tragen. In der heutigen Zeit der Geldmacherei und des Egoismus wäre so etwas kaum mehr möglich.

Ganz egal, für welche Platte von Rory Gallagher man sich entscheidet: Es wird immer eine gute Wahl sein, denn Rory war sein ganzes Leben lang ein äusserst glaubwürdiger Musiker, der keinerlei mittelmässige oder gar schlechte Musik produziert hat. Seine ureigene Art, den Blues zu spielen, ist bis heute nie kopiert worden, weil Rory vor allem in der Interaktion zwischen seinem manchmal etwas nuschelnden und nölenden Gesang und seiner geliebten Gitarre perfekt harmonierte. Was er seinen Saiten nicht entlockte, trug er mit seiner Stimme zum Song bei, und das waren manchmal schlicht ergreifende Momente, die es zuhauf von ihm zu hören gibt. Alle seine Werke bieten Highlights, auf die jeder andere Gitarrist stolz wäre, hätte er sie verfasst. Die "Blueprint" ist letztlich eine genauso schöne Platte wie eigentlich alle anderen, die der leider viel zu früh verstorbene Musiker der noch immer staunenden Nachwelt hinterlassen hat.



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