Aug 1, 2016


BOB DYLAN - Self Portrait (Columbia Records C2X 30050, 1970)

Von all seinen kontrovers diskutierten Werken ist "Self Portrait" wohl das umstrittenste. Immer noch gilt die Platte bei vielen an Bob Dylan interessierten Musikhörern als sein grösster Fehlgriff, noch vor dem selbstbetitelten "Dylan", "Knocked Out Loaded", "Down In The Groove", Chrostmas In The Heart" und "Shadows In The Night", Dylan's erst vor kurzem veröffentlichter Platte. Bei all diesen Platten covert Bob Dylan ausschliesslich oder zumindest grössenteils Fremdmaterial. Den Reaktionen auf "Shadows In The Night" kann man entnehmen, dass einer der wohl grössten und einflussreichsten Musiker der heutigen Zeit es immer noch schafft, die Gemeinde zu spalten. 1970 war der Schock auf die Veröffentlichung des Doppelalbums "Self Portrait" allerdings noch deutlich grösser als heutzutage. Am bekanntesten ist sicherlich die "What is this Sh** ?"-Kritik des Dylan-Fans und Kritikers Greil Marcus. Ich persönlich habe die "Self Portrait" erst relativ spät für mich entdeckt, als ich damit begonnen hatte, mir regelmässig Platten von ihm zu kaufen, vor allem, um die stetige musikalische Entwicklung, die der ehemalige Folkbarde gemacht hat, mitzuverfolgen.

Von den 24 Songs, die sich auf diesem Doppelalbum finden, sind es vor allem die Titel "Early Morning Rain", "Let It Be Me", "Copper Kettle" oder "Take A Message To Mary", die ich als persönliche Favoriten ausmachte. Speziell "Copper Kettle" war schon rasch und bis heute eines meiner Lieblingslieder geworden. Ich finde, das Dylan den Song fantastisch interpretiert und auch singt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es Dylan-Platten gibt, die ich vom ersten Hören an bis heute sehr mag, andere Werke hingegen verlieren für mich mit der Zeit an Gehalt. Es gibt von Bob Dylan Platten, die für mich anfangs nicht besonders zündeten, nach und nach aber einen festen Platz in meiner Hörergunst gefunden haben. Hierzu zählen für mich neben dem brillianten "Street Legal" etwa auch die "Planet Waves" und die "Modern Times", mit einigen Abstrichen auch die "Slow Train Coming". Vom gesamten folkigen Frühwerk hingegen hat sich die "Self Portrait" für mich über all die Jahre zu einem der grossen Favoriten entwickelt.

Die "Self Protrait" ist eine sorgfältige Produktion, an der neben Dylan und seinem damaligen Produzenten Bob Johnston zwischen April 1969 und März 1970 nicht weniger als fünfzig Musiker beteiligt waren. Kritisiert wurde neben Dylan's Songauswahl vor allem die Produktion von Johnston, der nach Ansicht vieler Fans und Kritiker die Songs mit zuckerpuderigen Streichern, Bläsern und Frauenchören zukleisterte. Von Dylan hatte man so etwas damals trotz "Nashville Skyline" nicht erwartet. Die County-Platte voller Liebeslieder war ja schon Soundwechsel genug, um seine hartgesottenen Folk-Freunde zu irritieren, doch nun kam Dylan auch noch mit kitschig arrangierten Popsongs und Countrystücken daher, dazu veröffentlichte er wenig neue eigene Songs, nahm vier Titel vom seltsamen Isle of Wight-Auftritt mit auf die Platte, nahm Instrumentalstücke (wo blieb der Dichter?) auf und gab zudem viele Traditionals als eigene Songs aus. Dazu sang er die meisten Stücke mit seiner erstmals bei "Nashville Skyline" erprobten Country Crooner-Stimme. Während viele Soldaten im Urwald Vietnams einen falschen Krieg führten und sinnlosen Tod starben, veröffentlichte die Stimme einer Generation, der Dichter der Gegenkultur eine solche Platte und biederte sich gleichzeitig beim verhassten Establishment und den Rednecks des Hinterlandes an. Entsprechend waren die Reaktionen auf dieses Album.

Über die Gründe, warum Dylan "Self Portrait" einspielte und unter diesem Namen veröffentlichte, kann man spekulieren. Der Musiker selber gab an, dass er sich von seinem Image, eben jener Dichter einer Generation zu sein, verabschieden wollte. Ausserdem seien damals viele Bootlegs seiner Musik im Umlauf gewesen, da habe er eben eine eigene offizielle Bootleg-Platte herausgebracht. Einige Kritiker und Fans empfanden die Platte jedoch auch als durchaus gelungenen Versuch, sein Publikum vor den Kopf zu stossen. Dass Dylan etwa ein Jahr an dieser Platte arbeitete und die Produktion sorgfältiger und aufwändiger als viele seiner anderen Werke gelang, spricht meiner Ansicht nach aber nicht dafür, dass er die Platte nur als Witz oder Publikumsbeschimpfung auffasste. Ich glaube, dass die "Self Portrait" eben einen genauso echten Dylan präsentiert, wie seine politischen Folksongs "Like A Rolling Stone" oder "Love And Theft". Robert Shelton äusserte in seiner sehr lesenswerten und für mich unverzichtbaren Bob Dylan-Biographie die Ansicht, dass der Musiker mit der Veröffentlichung des Albums "Self Portrait" den typischen Amerikaner von 1970 bei seinen typischen Bedürfnissen erreichen wollte. Schaut man sich die Innenseite des Plattencovers an, sieht man Dylan vor einem langwirtschaftlichen Gebäude und in Begleitung eines Huhns. Zu Zeiten von "Blonde On Blonde" konnte sich wohl kaum Jemand vorstellen, dass Bob Dylan schon kurze Zeit später den sanften Family Man vom Lande geben würde. Dylan war im Herbst 1969 mit seiner mittlerweile grossen Familie zwar wieder von Woodstock nach New York gezogen, dennoch klingen viele Songs sowohl auf der "Self Portrait" als auch auf dem Nachfolger "A New Morning" nach dem provinziellen, ländlichen Amerika.

Viele empfinden "Self Portrait" als abgeschlaffte und sehr schlechte Platte, bestenfalls als Witz auf Kosten des Publikums. Auf mich wirkt die Platte in grossen Teilen sanft und entspannend. "All The Tired Horses", "Early Morning Rain", "Let It Be Me", "Belle Isle", "Copper Kettle", "Take A Message To Mary" oder "Wigwam" höre ich mir noch heute immer wieder gerne an. Ich mag auch "Alberta 1 & 2", einmal als langsamer bluesiger Song, in der zweiten Version als flotteres Stück mit einer guten Harmonika. Neben den vielen schönen und sanften Liedern gibt es allerdings auch kraftvolle und groovige Songs auf dem Werk zu hören. "Days Of 49" ist klasse, "Woogie Boogie" ist ein fetziger Instrumentaltitel, die Coverversionen der Klassiker "It Hurts Me Too" und "Gotta Travel On" hervorragende Interpretationen. "Living The Blues", einer von nur vier Dylan-Kompositionen, die bei der Veröffentlichung der Platte neu waren, passt gut in die Dylan-Phase jener Jahre. "In Search Of Little Sadie" ist ein guter Countrysong mit expressivem und wie ich finde gutem Gesang. Im Zusammenhang mit der "Self Portrait" darf auch der Humor nicht fehlen. "Little Sadie" ist praktisch der gleiche Song wie "In Search Of Little Sadie", während sich Dylan aber bei letztgenanntem Lied gesangstechnisch von einer Kurve in die nächste schmeisst, dudelt er "Little Sadie" in einer fast schon comedyreifen Version hinunter.

Dass Dylan den Song in diesen beiden Interpretationen präsentiert, ist originell und sehr gelungen und ein Beispiel für Dylanßs Humor. "Blue Moon" und "The Boxer" sind auch zwei solche Beispiele. In "Blue Moon" macht Dylan auf Bing Crosby, ehrlich gesagt hat das Charme und er macht das auch nicht schlecht, mit Frauenchor und Augenzwinkern. Mit "The Boxer" konnte ich zunächst gar nichts anfangen, das Original kannte ich zu gut und es war für mich in seiner originalen Form von Simon & Garfunkel schlicht ein nicht zu kopierender Klassiker. Dylans Version des Songs ist sicherlich alles andere als eine charmante Hommage mit schönem Gesang, aber wie er hier mit sich im Duett singt und gleichzeitig Simon & Garfunkel auf den Arm nimmt, das ist doch grossartig. Aber gut, sicherlich trifft diese Version nicht Jedermanns Geschmack. Zwei Songs, "I Forgot More Than You'll Ever Know" und "Take Me As I Am" sind dann am Ende doch etwas zu nachlässig geraten und fallen insgesamt ein wenig ab vom Rest. Beide Lieder sind aber humorige und schöne, country-kitschige Botschaften an die Fans des reinen Dylan. Dazu noch vier Songs vom von vielen als seltsam empfundenem Isle Of Wight-Auftritt, das Ganze dann noch mit einem seltsamen Clown auf dem Cover und dem Titel "Self Portrait" veröffentlicht. Auf jeden Fall hatte es Bob Dylan seinen Fans damit nicht gerade leicht gemacht.

Auch wenn sich durch die mittlerweile vorbeigezogenen Jahrzehnte bedingt der 70er-Zeitgeist verabschiedet und die damalige Aufregung gelegt hat, gehört "Self Portrait" weiterhin zu den kontroversesten Bob Dylan-Werken. Musikalisch müsste sich die Enttäuschung und Verwunderung eigentlich erledigt haben. Dylan hat später beispielsweise Songs wie "Where Teardrops Fall", "Moonlight", "Life Is Hard" oder "Soon After Midnight" komponiert und veröffentlicht. Für mich allesamt gute bis grossartige Songs auf guten bis grossartigen Platten. Ich denke, die Stücke hätten auch alle auf dieses Doppelalbum gepasst. Aber zugegeben, diese Songs waren in einen anderen Rahmen eingebettet. Auf viele Leute wirkt "Self Portrait" eben zu prätentiös. Da ich aber einige Elvis-Scheiben aus der Zeit mag und über die American Recording-Platten das Werk von Johnny Cash kennen und schätzen gelernt habe, konnte ich den Zugang dennoch problemlos zur "Self Portrait" und der etwas ähnlichen "Dylan" von 1973 finden. Ich kann mich aber noch gut an meine erste Reaktion auf die Platte erinnern und kann daher manch negative Einschätzung auch heute noch durchaus nachvollziehen.






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