Aug 23, 2016


RUSS BALLARD - Russ Ballard (EMI America Records EJ 2401331, 1984)

Russ Ballard startete seine lange musikalische Karriere bereits Mitte der 60er Jahre in den Formationen The Roulettes (der Formation von Adam Faith) und Unit 4+2, mit welchen er im Februar 1965 den Top Hit "Concrete And Clay" landen konnte, einer klassischen Eintagsfliege, wie sich schon kurze Zeit später herausstellen sollte. Bekannt wurde Russ Ballard schliesslich als Lead Gitarrist und Sänger der Gruppe ARGENT, bei der er sich während sieben Jahren und etlichen tollen Kompositionen als begabten Musiker und Songschreiber profilieren konnte. Seine Komposition "Liar" etwa wurde für die amerikanische Soulrock-Band Three Dog Night zu einem Millionen-Hit. Dieser Erfolg motivierte Russ Ballard dazu, die Gruppe ARGENT zu verlassen, um eine Solokarriere ins Auge zu fassen. Im Februar 1974, nach der Veröffentlichung der Argent-Platte "Encore" stieg er aus der Band aus und startete noch im selben Jahr mit dem ersten Soloalbum "Russ Ballard", um praktisch sang- und klanglos unterzugehen. Zwar schuf sich der Musiker nach und nach einen immer besseren Ruf als hervorragender Entertainer und Songschreiber, doch seine Soloplatten hingen wie Blei in den Regalen. Zu sehr verliess sich Ballard auf den Rock und Pop-Bereich, schrieb dafür allerdings nicht die hundertprozentig zündenden Songs, weshalb es lange dauerte, bis er überhaupt einmal in den Charts auftauchte mit einem seiner Werke. Dazu muss man sagen, dass keines seiner Werke wirklich unterdurchschnittlich war, allerdings reichte es eben auch nicht, nur mittelprächtige Alben herauszubringen, auf welchen nicht wenigstens ein zündender Hit zu finden war.

Russ Ballard lieferte während vieler Jahre guten, aber durchschnittlichen Poprock ab, sauber und eingängig komponiert und arrangiert, aber ohne den speziellen Hit-Charakter, den ein Charts-Stürmer gebraucht hätte. Russ Ballard's Platten überraschten dabei immer wieder mit prominenter Beteiligung. So spielten auf seinen Alben etwa die grossartige Sängerin Madelaine Bell mit, oder auch der amerikanische Top-Saxophonist Tom Sott, der britische Keyboarder Rabbit Bundrick, der Saxophonist Chris Mercer und sogar die beiden Toto-Brüder Mike und Jeff Porcaro an Bass und Schlagzeug. An hervorragenden Mitmusikern mangelte es Russ Ballard daher in der Tat nie. Da es mit einer steilen Karriere als Solokünstler nicht so richtig vorwärts ging, verlagerte Russ Ballard sein Tätigkeitsfeld und begann, andere Künstler zu produzieren und dabei nicht selten auch als Studiomusiker auf deren Werken mitzuwirken. Seine zweifellos hervorragende Stimme und seine sehr guten Gitarrenkünste lieh er dabei unter anderem dem Who-Sänger Roger Daltrey für dessen Produktion, ebenso wie Colin Blunstone oder Leo Sayer. Nur seine eigenen Platten blieben weitgehend erfolglos. Trotz seiner langjährigen Erfahrung blieb ihm der Durchbruch versagt.

Nach fünf Alben, zwei davon mit seinen Barnet Dogs, unterzeichnete Ballard nach einer vierjährigen Veröffentlichungs-Pause einen Plattenvertrag mit EMI America. Zwei Alben in zwei Jahren sollte dieser Vertrag vorerst umfassen. Nachdem er Anfang der 80er Jahre nebst seiner Tätigkeit als Studiotechniker und Produzent nur noch als Background-Sänger für Graham Bonnet oder die Bands Phoenix und America in Erscheinung getreten war, stellte das erste Album für EMI America im Jahre 1984 eine echte Ueberraschung dar. Russ Ballard war zurück und überraschte mit einer zeitgemässen, sehr transparenten und äusserst trocken produzierten Rockplatte, die gleichermassen Rock- wie Dancefloor-Fans bedienen sollte. Mit der brillianten instrumentalen Unterstützung etwa der beiden Jazzmusiker David Sancious und Mo Foster, sowie dem harten und knochentrocken hämmernden Schlagzeuger Simon Phillips präsentierte Ballard ein Album mit acht Songs der Extraklasse, die nun endlich einmal durchgängig hochkarätig gerieten und mit dem leicht hypnotisch wirkenden, stoisch wie eine Lokomotive vorwärts stampfenden und etwas geheimnisvoll arrangierten "Voices" auch einen Hit abwarf, der sowohl in den Rockbars, wie auch in den Tanzschuppen immer und immer wieder gespielt wurde.

Besonders auffallend waren bei dem wiederum nur als "Russ Ballard" betitelten Album die breiten Keyboardflächen, für welche Greg Sanders verantwortlich war. Mit seinen zumeist wenig solistisch arrangierten Flächen bot er Russ Ballard viel Freiraum für dessen tolle Leadgitarre, und sein Gesang stand dadurch auch stets treffsicher im Mittelpunkt. Aufgenommen vom renommierten David DeVore, der auch Scheiben von Santana, REO Speedwagon, Fleetwood Mac, Foreigner, Alice Cooper, ja gar von Grateful Dead aufgenommen hatte, abgemischt vom für seine Arbeiten an zahlreichen Alben von Bruce Springsteen bekannten Bob Clearmountain und gemastert vom legendären Sterling Sound-Master Bob Ludwig aus New York, geriet Russ Ballard ein fetter und dennoch total transparent klingender Dampfhammer, der vor allem mit dem bereits erwähnten "Voices" ziemlich grosse Wellen schlug. Das Album wurde weltweit vertrieben und auch sehr gut verkauft.

Neben "Voices" waren vor allem der Opener, das zäh rockende "I Can't Hear You No More", das nachfolgende, elegant und sehr rhythmisch rockende "In The Night" oder das im Tempo forcierte "Two Silhouettes" eine vier Songs umfassende A-Seite der LP, die einfach grossen Spass bereitete. Entgegen früherer Jahre, in welchen Russ Ballard schon auch mal den einen oder anderen Durchhänger auf seinen Platten bereithielt, wartete hier auch die zweite Seite der LP ausschliesslich mit grossartigen Songs auf. "A Woman Like You" geriet wiederum zu einem relativ schnellen, kommerziell absolut ansprechenden Rocker, ähnlich dem Stück "Two Silhouettes" auf der A-Seite der Platte. "Day To Day" überzeugte durch seine gemütliche, aber genauso trockene Grundstimmung, während beim forcierten "Playing With Fire" der Titel Programm war. Das letzte Stück "The Last Time" war als Rockballade einem entsprechenden Song etwa von Survivor nicht unähnlich aufgebaut, klang zwar einerseits recht pathetisch, glänzte aber auf der anderen Seite noch einmal mit einem äusserst transparenten Sound, der überhaupt nicht üppig oder überladen wirkte, wie das manchmal bei entsprechenden Rockballaden der Fall ist.

Russ Ballard legte im Folgejahr mit der zweiten Platte für EMI America mit dem Titel "The Fire Still Burns" nach und erreichte noch einmal einen recht guten Erfolg. Auch dort fanden sich mit "Once A Rebel", "Hey Bernadette", "Searching", "Time" und "Dream On" wiederum sehr gut produzierte Songs, die zwar den Künstler selbst als Multi-Instrumentalisten präsentierten, der gleichwohl die Gitarre, die Tasteninstrumente und den Bass beherrschte, auf der anderen Seite jedoch leider im Schlagzeuger Peter Van Hooke aus der Band von Van Morrison ein für die damalige Zeit typisches digitales Schlagzeug einsetzte, das vielen Stücken den erdigen Groove raubte, was die Platte letztlich wesentlich dünnbrüstiger anhören liess als den selbstbetitelten Vorgänger.

Das Album "Russ Ballard" von 1984 aber gehört zu den richtig guten Rockproduktionen der 80er Jahre, weil es einerseits auf bewährte Kompositionen setzte, stilistisch und klangmässig jederzeit aktuell wirkte, sich aber trotzdem nicht im sterilen und glattpolierten 80er Jahre Sound verlor. Russ Ballard verlor danach mangels höherer Verkaufszahlen seinen Plattenvertrag erneut, meldete sich erst acht Jahre später mit dem ansehnlichen "The Seer" zurück, das sich aber ebenfalls nur schlecht verkaufte. Danach dauerte es sogar 13 Jahre, bis er 2006 mit der Platte "Book Of Love" noch einmal einen wiederum nur wenig beachteten Versuch wagte. Seither ist es etwas still geworden um diesen Musiker, der während seiner gesamten Karriere wohl nie die Reputation erhalten hat, die ihm eigentlich zustehen würde, denn eines hat Russ Ballard keinesfalls je gemacht: Schlechte Musik. Zwei Reunions 2010 und 2013 seiner ehemaligen Band ARGENT brachten immerhin seinen Namen etwas zurück ins Bewusstsein der Rockfans, und 201aktuell präsentiert er mit "It's Good To Be Here" neues Songmaterial, das der mittlerweile über 70 jährige Musiker allerdings im Moment nur online über www.umumusic.com als Musikdatei oder als CD demnächst verkaufen wird. Darauf wird er auch ein Re-Make des Titels "Voices" präsentieren.




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