Nov 18, 2016


BILL CALLAHAN - Woke On A Whaleheart (Drag City Records DC332CD, 2007)

Man könnte eigentlich sagen, dass "Woke On A Whaleheart" Bill Callahan's Debutalbum war, doch das wäre dann doch nicht ganz richtig. Denn Tatsache ist, dass der hervorragende Songwriter und einer der in den USA äusserst geschätzten Protagonisten der sogenannten "Lo-Fi Music" bereits zuvor ein Dutzend Platten unter dem simplen Namen SMOG veröffentlicht hatte, bevor er seine Werke mit seinem richtigen Namen versah, was gleichzeitig auch eine musikalische Neuausrichtung bedeutete. Auf seinem ersten Album unter seinem Namen präsentierte der Musiker indes nicht wirklich Neues, nur vielleicht noch ein klein wenig Intimeres als zuvor unter dem SMOG-Banner. Und Lo-Fi war das nur noch in Ansätzen, hier klang der Musiker nicht mehr nörglerisch und eigenbrötlerisch (obwohl ihm das sehr gut zu Gesicht stand), nicht mehr nur spröde und spartanisch, sondern sehr lebensfreudig, äusserst positiv und unglaublich warmherzig, was den Songs auf dem Album sehr gut tat. Hier klang Callahan schon fast wie Harry Nilsson oder Cat Stevens, oder noch besser: wie ein Mix aus diesen beiden Musikern plus stilistisch vielleicht noch eine Prise Tom Waits-Sound mit Barry White-Brummelstimme.

Die Songarrangements sind vom allerfeinsten, da gibt es so viel schöne Momente zu erleben auf diesem tollen Album. Es klingt alles erst einmal sehr herb und Old School, traurig-schön und immens einnehmend, bunt und schräg wie das Coverdesign schon andeutet. Ganz toll sind zum Beispiel die Gospelchöre der Olivet Baptist Church, die geniale Gitarrenarbeit von Pete Denton oder die zauberhaft romantische Geige von Elizabeth Warren. Verpackt sind diese musikalischen Kleinode in Neil Michael Hagerty's treibende, glitzernde und klassische Arrangements. Diese wundervolle Mixtur aus Gospel, Pop und American Light Opera kann einem in der Tat sprachlos machen. So gesehen stellt Callahan's Wandel vom fast immer als 'One Man Band' verstandenen SMOG-Dasein zum Teamplayer eine enorme Veränderung dar, die sich natürlich auch in den Songarrangements niederschlägt. Trotzdem blieb der Musiker seiner eigenen Linie treu: Seine 'neuen' Songs erhielten hier lediglich mehr Instrumentarium, teils sogar richtig durcharrangierte Fülle. Man muss diese Songs einfach lieben, und wer Callahan schon als SMOG gekannt hat, der kann sich all diese wunderbaren Titel auch als spartanisch-karge 'One Man'-Songs vorstellen. "Woke On A Whaleheart" präsentiert Bill Callahan als wahren Art Pop-Künstler. Ein Beispiel hierfür ist schon das rotierende und völlig losgelöste Klavier im Song "Night", das wie ein perlender Sternenregen klingt, oder das Stück "Diamond Dancer", das wie eine vergessene Nummer von David Bowie aus dessen "Ashes To Ashes"-Phase wirkt. Man stelle sich hierbei dann noch den Gesang von Lou Reed oder The Jazz Butcher vor.

Zentral ist natürlich auch hier auf diesem opulent angerichteten Song-Mahl Callahan's warme und leicht rauchige Stimme, die entspannt durch die ganze Platte segelt, stets gestreichelt von einer sanften Brise, unbeschwert hüpfend wie auf leichten Wellen mit ein bisschen perlender Gischt. Dazu passt dann ein mit einem leicht-lockeren Country-Shuffle Groove versehener 'Frage und Antwort'-Blues wie "The Wheel" allerbestens. Hier zeigt Bill Callahan wieder seine ganz eigene Mixtur von Gesang und Nichtgesang, dieses melodische Murmeln, diese Art von vertontem Erzählen, das er bereits jahrelang als SMOG präsentiert gehabt hatte, und das seine Musik immer schon auszeichnete. Damit kommt er seinem Zuhörer sehr viel näher, er wirkt präsent, als würde er neben einem sitzen und einem seine Geschichten in direktem Kontakt erzählen. Lou Reed hat das auch gemacht, zumindest auf einigen seiner Soloalben. "Walk On The Wild Side" kommt mir da spontan etwa in den Sinn, "Legendary Hearts" auch. Mit etwas Phantasie kann man durchaus auch Parallelen zum Nichtgesang von Bob Dylan erkennen, dies dann wiederum eher in musikalischer Hinsicht, da einige der Songs von Bill Callahan diesen Spät-60er Spirit in sich tragen, den Bob Dylan damals auch verströmt hat, als er noch nicht mit The Band zusammenarbeitete.

Das Plattenlabel Drag City Records veröffentlichte schon einige Platten, die in Richtung Singer/Songwriter und/oder Roots-Musik gehen, die sich wohltuend abheben von der Masse und die sich eigenwillig, vielleicht sogar leicht sperrig, aber immer äusserst interessant anhören: David Berman, der wahrscheinlich inzwischen überall recht bekannte Will Oldham und eben Bill Callahan, die sich allesamt dem lyrischen und sehr poetischen Songwriting verschrieben haben, das sie jeweils auf eine ganz eigene, individuelle Art präsentieren. Während Will Oldham als einer der bekannteren Protagonisten eher die Roots-Rock Schublade bedient, dabei auch die Kommerzschiene nicht verschmäht, bleibt Bill Callahan eher aussenstehend, sucht nicht den grossen Erfolg, bleibt bescheiden in seiner Art und seiner Grundeinstellung. Dabei hätte gerade er den Erfolg verdient. Aber insgeheim lieben wir ja diese stillen Perlen, die nur uns ganz alleine gehören: Callahan singt nur für Dich, er erzählt nicht für die Masse. Das ist das, was Bill Callahan uns vermittelt, wenn wir ihm zuhören. Wie Cat Stevens - der gehört auch immer nur Dir ganz allein, wenn Du eine seiner Platten anhörst.

"We were swimming in the rivers of the rains of our days before we knew. And it's hard to explain what I was doing or thinking before you" schmeichelt Bill Callahan dem Zuhörer in sein Herz, wenn er im Song "From The Rivers To The Ocean" eine so unglaublich schöne Grandezza auffährt, dass man es kaum glauben mag, dass dieser Musiker nicht viel berühmter ist. Callahan's Markenzeichen, seine tiefe, bärige Stimme, die immer wieder eine fast schon väterliche Figur ausstrahlt, glänzt in diesem Song besonders stark. Hier passt die Instrumentierung mit einem ganz starken Klavier, einigen Geigen und einem dezenten Arrangement insgesamt, besonders gut. Mit "Footprints" hingegen präsentiert Callahan einen Song, der so ziemlich gegensätzlich zu allem klingt, was der Sänger und Gitarrist bislang gemacht hat. Dieser Titel zeigt am eindrücklichsten, was aus dem zurückhaltenden, spröden Folkie werden kann, wenn er tolle Mitmusiker um sich schart. Dieser Song sprüht vor Energie, Lebensdrang und purer Freude. Einer der allerbesten Titel auf diesem Werk, zusammen vielleicht mit dem nicht minder beeindruckenden "Diamond Dancer". Hier steht ein opulentes Soul-Crooning im Vodergrund. Der voluminöse Damenchor und Callahan's tiefblaue Stimme vereinen sich in einem warmen, unglaublich erhabenen Soul-Blues, der mit einer so unverschämt schmissigen Art intoniert wird, dass man nicht glauben mag, dass da draus kein Hit geworden ist. Viel besser kann man es dem Publikum nicht machen. Müssig zu erwähnen, dass Callahan selbst hier in dieser Powernummer noch den Mumm hat, die herzerweichende Geige von Elizabeth Warren zu integrieren. Was für ein Erlebnis!

Eine weitere Songperle ist auch der Titel "Sycamore", ein fast schon heavy zu nennender Song, in welchem Callahan singt: "All you want to do is be the fire part of fire". Wahre Poesie selbst beim abrocken, toll. Und so beschreibt es dann auch ein begeisterter Kritiker, wenn er das Fazit zieht: "Callahan presents listeners with what feels like a small piece of a grand novel, acting as a starter gift for anyone with an active imagination". Die Musik gewordene Novelle eines grossartigen Künstlers, der sich nicht dem Mainstream verpflichtet fühlt und dem Kunst eindeutig über Kommerz geht. Das ist im Falle von Bill Callahan deswegen traurig, weil gerade Ausnahmetalente wie er es eigentlich verdient hätten, von einer breiteren Masse entdeckt zu werden. Aber das wünscht man sich insgeheim dann doch wieder nicht, weil: Callahan soll nur mir gehören, nicht den vielen Menschen da draussen. Schliesslich singt er doch zum Beispiel den Song "A Man Needs A Woman Or A Man to Be A Man" nur für mich, oder ?

 




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