RIFF RAFF - Riff Raff (RCA Records SF 8351, 1973)
Im Jahre 1969 waren der Keyboarder Tommy Eyre und der Gitarrist und Bundlos-Bassist Roger Sutton musikalisch zwar auf einer Wellenlänge, spielten aber bisher nicht zusammen. Tommy Eyre war zu dem Zeitpunkt in Joe Cocker's Begleitband aktiv, die auch unter dem Namen Grease Band bekannt war. Als er die Gruppe nach Joe Cocker's grossem Hit "With A Little Help From My Friends" verliess, beschloss er, in London zu bleiben und nach einer musikalischen Neuausrichtung zu suchen. Er schloss sich kurzzeitig der Aynsley Dunbar Retaliation an und lernte dort Roger Sutton kennen, um kurz danach gemeinsam mit dem Schlagzeuger Aynsley Dunbar das Band-Projekt Blue Whale zu starten, welches wiederum nur eine kurze Zeit existierte, jedoch trotzdem auch ein Album einspielte, das heute sehr gesucht ist ("Blue Whale"). Aynsley Dunbar erhielt die Chance, in der Band von Frank Zappa zu spielen, weshalb Blue Whale in Windeseile wieder auseinanderfiel. Tommy Eyre und Roger Sutton schlossen sich mit den beiden ehemaligen John Mayall-Musikern Jon Mark und Johnny Almond zusammen. Es entstand die erste Inkarnation der Mark-Almond Band, die mit Roger Sutton ihre ersten beiden Alben einspielte. Tommy Eyre war ebenfalls mit von der Partie, blieb aber länger als Roger Sutton, der nach den ersten beiden Alben bei Mark-Almond ausstieg, um seine eigene Band Riff Raff zu gründen.
Da sich Jon Mark auch nicht mit Tommy Eyre verstand, was vor allem persönliche Differenzen als nur die musikalische Ausrichtung der Gruppe betraf, quittierte auch Eyre seinen Dienst bei Mark-Almond und schloss sich wieder Roger Sutton an. Die beiden hatten zuvor schon ein gemeinsames Bandprojekt geplant gehabt, es aber aufgrund des Engagements bei der Mark-Almond Band erst einmal auf Eis gelegt. Dieses ursprüngliche Bandprojekt nannten die beiden STRABISMUS. Hieraus entstand nun die Gruppe Riff Raff, für welche Tommy Eyre und Roger Sutton die zusätzlichen Musiker Peter Kirtley (Gitarre), Aureo De Souza (Schlagzeug) und Bud Beale (Saxophone) rekrutierten. Peter Kirtley war eine wohlbekannte Grösse in und um Newcastle, spielte schon in zahlreichen Bands mit und verfolgte dieselben musikalischen Ziele wie Eyre und Sutton. De Souza spielte zuvor bei Paul Horn und der Gruppe Nucleus, der Saxophonist Bud Beale bei Ginger Baker in dessen eher kurzlebigen Band Air Force. Der Gitarrist Peter Kirtley spielte in Graham Bell's Gruppe Griffin, welcher zeitweise auch der spätere Yes-Schlagzeuger Alan White angehörte.
Den Sound, welche die neue Gruppe dann auf ihrem ersten Album "Riff Raff" präsentierte, war eine äusserst kompetente und anspruchsvolle Mischung aus typischem progressivem Rock jener Tage, verspielt arrangiert mit zahlreichen jazzigen Elementen und vor allem auch immer wieder mit mehrheitlich verträumten Folk-Sprenkeln gewürzt. Dieser leichte Folk-Anteil jedoch geriet fast zum Markenzeichen der Gruppe, was sie stilistisch in die Nähe anderer, bekannter Protagonisten brachte, wie beispielsweise die Gruppen Beggars Opera oder die Strawbs. Da die Musiker jedoch auch immer wieder jazzig agierten und ihren Songs durchaus auch grundlegende Jazz-Arrangements und -Melodien verpassten, dürften die Jahre mit Mark-Almond bei Tommy Eyre und Roger Sutton einen durchaus hörbaren Eindruck hinterlassen haben.
Der Opener "Your World" präsentiert schon einen bemerkenswert ähnlichen Sound, wie ihn auch Mark-Almond in ihrer Anfangphase gespielt haben. Ueber einem fast schwebenden Gesamtbild erklingen bisweilen recht fragile Flöten- und Klavierklänge. Ausserdem unterstützt eine 12-saitige akustische Gitarre den Folk-Eindruck, der dem Stück eine sehr elegante Note verpasst. Auch die nachfolgenden Stücke "For Every Dog" und "Little Miss Drag" verstärken diesen Eindruck noch. Besonders in "Little Miss Drag" erreicht die Band schon fast einen Pop-Charakter, der durchaus Radio-Potential hatte. Dies wiederum haben die Fans der Gruppe den Musikern allerdings übel genommen, denn zugegebenermassen konnte man so einen schon fast unverschämt kommerziellen Folkrock-Song kaum erwarten. Trotzdem gefällt er und passt vor allem gut ins Gesamtkonzept hinein. Gerade ein Song wie "Little Miss Drag" lockert das Programm der ganzen Platte sehr auf und lässt sie dadurch nicht kopflastig wirken. Die zwei Highlights der Platte sind die beiden die Seite B der originalen LP füllenden Titel "You Must Be Joking" und das elegische "La Même Chose". Letzteres ist ein heerlicher Jam, der flockig und federleicht im folkigen und jazzigen Bereich operiert, aber immer wieder von rockigen Parts konterkariert wird.
Aufgenommen wurde das tolle Werk in den legendären Manor Studios in Monmouth England im September 1973. Der Tonmeister Tom Newman hatte sich zu dem Zeitpunkt schon selbst zur späteren Legende gemacht, indem er kurz zuvor Mike Oldfield's Debutalbum "Tubular Bells" in eben diesem Studio fertiggestellt hatte. Newman hat auch aus Riff Raff's Erstlingswerk ein tolles akustisches Juwel gezaubert. Gemixt wurde die Platte ebenfalls von einem sehr prominenten Studio-Techniker: Eddy Offord, dessen prominenteste Klientel in den Tonstudios so illustre Namen wie Yes oder Emerson Lake & Palmer trug. Unter der Leitung von Produzent Martin Rushent spielte die Gruppe Riff Raff im Jahr darauf ein weiteres Album ein, das mit einer leicht veränderten Besetzung eingespielt wurde ("Original Man"). Probleme taten sich jedoch schon kurz nach der Veröffentlichung auf vielfache Weise auf: Der Schlagzeuger Aureo De Souza, brasilianischer Staatsbürger erhielt keine Verlängerung seiner Arbeitsgenehmigung in England, ging zurück nach Brasilien. Peter Kirtley nahm ein Angebot an, in der Alan Price Band einzusteigen, während Tommy Eyre und Roger Sutton sich in der Folge hauptsächlich auf die Arbeit im Tonstudio konzentrierten.
Das Debutalbum von Riff Raff dürfte den Wenigsten bekannt sein, was im Grunde nicht weiter erstaunt, da es nach Erscheinen kaum promotet wurde von der Plattenfirma RCA, die wohl gut daran getan hätte, die Gruppe auf ihrem eigens für progressive Werke aufgestellten Label Neon Records zu lancieren. Zum musikalischen Programm dieses Labels hätten Riff Raff gut gepasst. Doch da war seitens RCA Records zu dem Zeitpunkt, Ende 1973, auch deren Neon Records Unterlabel bereits Geschichte. Der Glam Rock begann seinen Siegeszug um die Welt und RCA kümmerte sich vor allem um vielversprechende junge Talente wie David Bowie und zeigte immer weniger Interesse an progressiven Rockgruppen. Dieser Geschäftsstrategie, die sich in kommerzieller Hinsicht letztlich natürlich als richtig erwies, fielen neben vielen anderen Progressive Acts auch Riff Raff zum Opfer, was natürlich letztlich schade ist, dem Interessierten aber nachwievor die Möglichkeit bietet, solche Perlen wie das erste Riff Raff Album auch nach Jahrzehnten noch für sich zu entdecken.
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