VANILLA FUDGE - Near The Beginning (ATCO Records SD 33-278, 1969)
Mit ihrem vierten Album "Near The Beginning", das 1969 erschien, ging das zu diesem Zeitpunkt bereits als Supergroup legendär gewordene Quartett musikalisch wieder mehr zu ihren Anfängen zurück, denn das Werk war wieder sehr am progressiven Rock und Blues orientiert und zum Beispiel überhaupt nicht mit ihrem grossen Erfolg "The Beat Goes On" zu vergleichen.
Das Album bestand aus zwei Teilen: einer Seite mit Studioaufnahmen und einer Seite mit Live-Musik, die allerdings nur einen einzigen langen Jasm von knapp 24 Minuten präsentierte: den "Break Song", welcher bei einem Konzert im Shrine Auditorium von Los Angeles mitgeschnitten worden war. Insbesondere mit diesem allen Musikern eine lange Plattform für Soloeinlagen bietenden Jam bewiesen Vanilla Fudge noch einmal sehr eindrücklich, warum sie diesen Status als Supergroup aufgedrückt erhalten hatten und dass sie vor allem auch ausgezeichnete, hochexplovise und energetische Live-Musiker mit enormem Improvisationspotential waren, die es auch verstanden, ohne komplizierte Studio-Technik eindrückliche und äusserst spannende Live-Musik zu präsentieren.
In diesem Jam, dem mit weitem Abstand besten Live-Dokument der Gruppe, erhielt jeder der vier Musiker rund 5 Minuten Spielzeit für ein ausuferndes Solo, um sich vorzustellen. Dabei präsentierte jeder Musiker eine individuelle stilistische Spielart, welche der Rest der Band jeweils formidabel unterstützte. So präsentiert der Gitarrist Vince Martell als erster Solist, der zusammen mit der Band sein Spiel im Hard Rock begann, einen Slow Blues, der nach dem furiosen Einstieg in den "Break Song" erst einmal Ruhe in den Jam brachte, bevor er sein Solo in eine wilde und hemmungslose Feedbackorgie in Richtung hartem Rock stemmte und zusammen mit dem Rest der Gruppe wieder das Anfangsthema rockte. Danach folgte mit dem Bass-Solo eine weitere absolut überzeugende und hochklassige Solo-Darbietung von Tim Bogert, der später bei den Formationen CACTUS und BECK, BOGART & APPICE (mit Jeff Beck) sein Talent stets aufs Neue bewies. Er zeigte Bassfiguren, die vor allem einen harten Anschlag präsentierten: Knappe und knackige Töne, die einerseits treibend, andererseits aber auch klar jazzige Melodiebögen setzten, dazu im Hintergrund stets das treibende Schlagzeugspiel von Carmine Appice, der zu dem rhythmischen Bass-Feuerwerk massgebend beitrug und ein fettes Fundament für Tim Bogert legte. Auch dieses Bass-Solo genügte höchsten Ansprüchen an einen Jam. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Platte dürfte es durchaus State Of The Art gewesen sein.
Tim Bogert und Carmine Appice spielten präzise wie ein Uhrwerk zusammen, da wurden ein Heavy-Bass in der Art von Jack Bruce oder Felix Pappalardi gekonnt gemischt mit Jazz-Elementen, bei welchen beide Instrumente, sowohl der Bass wie das Schlagzeug, stets sofort miteinander perfekt kommunizierten Danach überliessen die beiden Musiker dem Keyboarder Mark Stein das Feld, welcher überaus ausdrucksstark zeigte, dass auch er ein Meister seines Fachs und an der Hammond Orgel war. Auch er mischte sein Spiel sehr stark mit Rock-, Slow Blues- und Jazz-Elementen, teilweise im Stil eines Jimmy Smith. Er streute dabei wie ganz selbstverständlich auch noch neue Melodien in den Jam hinein, die dem Ganzen einen völlig eigenständigen Charakter verliehen. Während des Solos von Mark Stein unterstützten Tim Bogert und Carmine Appice die gesamte Darbietung des Keyboarders mit stets wechselnden Rhythmen, die einerseits recht heftig rockend, aber stellenweise auch federleicht jazzig wirkten. Es war einfach beeindruckend insgesamt, wie die einzelnen Musiker auch während ihrer eigenen Solo-Ausflüge stets auf die Dynamikschwünge der anderen Musiker eingehen konnten.
Den letzten Part dieses hervorragenden Jams bekam dann Carmine Appice zugesprochen. Mit einem längeren und dynamischen Schlagzeug-Solo konnte auch er hundertprozentig überzeugen. Sein Wechselspiel aus hartem Rockgroove, leisen perkussiven, dann wiederum recht jazzigen Momenten und einem wüsten brachialen Ausbruch zum Ende hin als Höhepunkt fasziniert noch heute und erinnert mit seinem Dynamikaufbau etwas an die auch stets längeren und inhaltlich klug aufgebauten Schlagzeugsoli von Ginger Baker. Der Jam endete schliesslich wieder mit dem Anfangsthema und während der knapp 24 Minuten Höchstarbeit hatte sich keinerlei Langeweile beim Zuhören eingeschlichen. Wirklich eine beeindruckende Live-Performance der Band. So mancher Musikhörer hätte sich von solch dynamischem Rockschaffen wohl mindestens ein komplettes Live-Album gewünscht. Bestimmt hätten Vanilla Fudge da mehr daraus machen können als nur eine einzige LP-Seite.
Die drei Studio-Aufnahmen sind ebenfalls noch einmal recht überzeugend, auch wenn der Livce Jam "Break Song" die ganze Platte eigentlich ausmacht. Das Stück "Shotgun", ein alter Motown-Titel, ist sehr heavy aufgebaut, passt von der Art des Arrangements noch am besten zum Live Jam. Das nachfolgende "Some Velvet Morning" wiederum war mehr im alten Vanilla Fudge Sound gehalten. Im Tonstudio hatte die Gruppe einfach anders gearbeitet als live auf der Bühne. Das die Studio-Seite beschliessende "Where Is Happiness" stand ebenfalls in der bis dato längeren Tradition der Band und fusste noch stark im psychedelischen Rock der ersten Alben. Vanilla Fudge veröffentlichten noch im selben Jahr ihr letztes Studioalbum, schlicht "Rock & Roll" betitelt, das jedoch in punkto Dynamik einen klaren Rückschritt bedeutete. Ausserdem zeigte die Band schon enorme kompositorische Defizite, und selbst die bei Vanilla Fudge stets extrem anders ausgearbeiteten Coversongs waren hier eher schwach interpretiert: Das aus der Feder von Carole King stammende "I Can't Make It Alone" und ihre Adaption der Jazz-Nummer "The Windmills Of Your Mind" konnten nur bedingt überzeugen. Folgerichtig war kurz darauf das Ende der Band besiegelt.
Mit "Near The Beginning" und speziell dem darauf enthaltenen "Break Song" haben Vanilla Fudge aber ein Monument hinterlassen, das dank dem überzeugenden und genialen Jam auf jeden Fall zu den grossartigen Momenten des End 60er Rock gezählt werden darf.
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