Nov 17, 2016


JOHN MELLENCAMP - Freedom's Road 
(Universal Republic Records B0008249-02, 2007)

Musik ist ja sowieso immer bloss eine Frage des Geschmacks. Aufgrund dessen ist wohl jede Rezension stets als subjektiv zu betrachten. Deshalb kann ich auch bei dieser Platte kaum objektiv schreiben. Deshalb einfach gleich unverschämt in den Superlativmodus schwenken: Mit "Freedom's Road" ist John Mellencamp ein Album gelungen, das in nichts seinen grossen Klassikern "American Fool" von 1982, "Scarecrow" von 1985 und "Lonesome Jubilee" von 1987 nachsteht. Seine hervorragenden, stets kritischen und gesellschaftspolitischen Songtexte verpackt er auch bei diesem Werk in ehrliche, erdige und ganz toll produzierte und arrangierte Roots-Rockmusik, wie man sie von John Cougar Mellencamp schon immer kennt und schätzt. Dabei erfindet er sich musikalisch auf keinem seiner vielen Alben neu, klingt aber trotzdem immer wieder frisch, kraftvoll und mit einem sicheren Gespür für eindrückliche Melodien, die man nur wenige Male gehört haben muss, damit sie sich in der Erinnerung festhaken und immer wieder gerne ausgepackt und in den Player gelegt werden.

Mellencamp wandelt zwar immer wieder mal auf dem schmalen Grad zwischen hübscher, aber manchmal etwas belanglos wirkender Unterhaltung und absolut genialem Wurf. Dabei besass er schon immer alle Anlagen, mit seinen Produktionen weit über dem Durchschnitt zu landen: immer leicht exzentrisch, sehr sozial- und medienkritsch (mit Videos und MTV's Heavy Rotation konnte er sich nie arrangieren und brachte das auch immer wieder zum Ausdruck), ausgestattet mit der Gabe, packende Melodien in geniale Arrangements zu verpacken. Mit seinem Werk "Freedom's Road" hat John Mellencampaber eine mustergültige Qualitätsarbeit abgeliefert, ja mehr noch: das Werk ist rückwirkend betraschtet eines der besten, das er veröffentlicht hat. Die Melodien von Songs wie dem Mellencamp-typischen "The Americans", oder auch "Ghost Towns Along The Highway", um nur mal zwei zu nennen, in denen er textlich über den Niedergang der Neuen Welt philosophiert, packen den Zuhörer sofort und man erkennt schon nach den ersten Textzeilen, wie engagiert und anprangernd Mellencamp mit seiner eigenen Heimat umgeht, resp. abrechnet. Mellencamp ist ein Patriot, ohne Zweifel, aber keiner, der sein Land hochstilisiert wie viele Andere, sondern sich immer wieder kritisch hinterfragt und seine Kunst als ideales Transportmittel nutzt, die Menschen wachzurütteln und ihnen den Schleier vor den Augen wegzureissen. Mellencamp ist so eine Art Protestsänger in Rock, wenn man so will. Dabei bedient er sich genau jenen musikalischen Traditionen, auf denen die uramerikanische Kultur schon immer fusste: Country, Blues und Rock'n'Roll.

Zeitlich rechnete Mellencamp auf "Freedom's Road" mit dem von George Bush regierten  Amerika ab, doch passen seine Songtexte natürlich nachwievor, auch in der nun beginnenden Trump-Aera, oder vielmehr in der Trump-Aera erst recht. Das wird die Zukunft weisen. Die Songs auf "Freedom's Road" wirken amerikanisch ländlich, heiss, staubig, mit dezenten Singer/Songwriter- und Country-Anleihen. Sie sind mitunter recht sparsam, aber nicht minder spannend arrangiert. Mellencamp braucht in vielen seiner Songs nicht viel mehr als ein minimales instrumentales Grundgerüst, um seine Botschaft eindrücklich herüberzubringen, was sicherlich auch an seiner markanten Stimme liegt, die manchmal fast nervig wirkt, wenn er besonders eindringlich singt. Die Melodien beissen sich im Kopf des Hörers fest und mutieren hier und da zu echten Ohrwürmern. Stilistisch lässt sich das durchaus mit dem genialen Tom Petty oder sogar Bruce Springsteen vergleichen, die Songs auf "Freedom's Road" besitzen ähnlich starke Wiedererkennungswerte und Qualitäten wie zum Beispiel Springsteen's Platte "Born In The USA" und Mellencamp's Ausnahmestimme glänzt ebenso wie jene des "Boss". Ueberhaupt wurde John Mellencamp schon in früheren Tagen stets als der "kleine" Springsteen gesehen, der zwar inhaltlich dem "Boss" mindestens ebenbürtig ist, dem jedoch nie dessen Erfolg zuteil geworden war. Wo Springsteen schon immer für den kämpferischen und geradlinigen Amerikaner stand, da steht Mellencamp als stiller aber nicht weniger wichtiger Kämpfer stets ein bisschen in dessen Schatten.

Mit "Freedom's Road" hat John Mellencamp ein für Amerika ungemein wichtiges Album produziert, in Europa hingegen werden siene Platten immer noch viel zu wenig beachtet und gekauft. Und das eigentlich schon seit ewigen Zeiten. Immerhin ist Mellencamp schon seit den ausgehenden 70er Jahre international bekannt. Je öfter man sich dieses Album anhört, umso mehr wird einem bewusst, dass Mellencamp hier eines seiner stillen und beeindruckenden Meisterwerke gelungen ist. Zehn wundervolle Songs, alle absolut ohne kreativen Tiefpunkt, wie immer eine sehr sozialkritische Sicht auf das heutige Amerika. Die superb produzierte und abgemischte CD endet mit dem versteckten Titel "Rodeo Clown" (einem sogenannten Hidden Track), welcher eine volle Breitseite gegen die Politik von George Bush ist. Musikalisch überzeugt das gesamte Album mit handwerklich perfekten Gitarrenmelodien und Mellencamp's rauchiger Stimme, die seinen Songtexten einen enormen Gehalt gibt. Die Songs brauchen vielleicht beim einen oder anderen Zuhörer ein bisschen, bis sie sich im Gedächtnis festsetzen, ist dies allerdings passiert, gibt es kein Entrinnen mehr und man hört sie sich womöglich immer wieder an. In Deutschland leider bei weitem nicht so bekannt wie in den USA sollte man sich mindestens einmal mit John Mellencamp befasst haben. Er ist aus meiner Sicht noch immer einer der wenigen Musiker aus Amerika, der wirklich etwas zu sagen hat und dessen Werk sich nicht nur auf eindrückliche Songtexte beschränkt, sondern auch wundervoll produzierte Musik umfasst, die kaum je durchschnittlich ist. Wer sich von dem Künstler noch nie etwas angehört hat, kann "Freedom's Road" durchaus als Einstand heranziehen.
 


Die Frage, ist man noch ein guter Amerikaner, wenn man seinem Präsidenten nicht mehr blind in jeden Krieg folgt, wird auch in der Musikszene immer lauter. Hier stellt Mellencamp diese Frage nicht laut und impulsiv. Er trägt sie, versehen mit feinsinniger Ironie und Pragmatismus, äusserst pointiert vor. Dass er das Sternenbanner mit seiner wahren Bedeutung dahinter auf voller Höhe hisst, wird schon beim Einsteiger "Someday" klar, auch seine Stimme hat eine Metamorphose durchgemacht. Wesentlich kehliger, rauher und getragener klingt er auf "Freedom's Road". Man spürt, dass er hundertprozentig hinter seinen Songtexten steht. Das macht neugierig auf mehr und auf einen Trip durch die "Ghost Towns Along The Highway", die als Opfer der Finanzkrise wie hölzerne und steinerne Mahnmale die verlassenen Landstrassen säumen. Die melodisch-lässigen Rhythmen von "The Americans" funktionieren zwar akustisch gut, täuschen aber nicht über den selbstkritischen Songtext hinweg, der den Zuhörer zwingt, den Künstler in einem ganz anderen Licht zu sehen: Hier ist kein typisch amerikanischer und smarter Entertainer am Werk, sondern ein sehr überzeugter und manchmal richtig angriffslustiger Poet, dem es nicht reicht, nur seichte Botschaften zu vermitteln, sondern sein Medium Musik gezielt dazu nutzt, Misstände aufzudecken, schonungslos anzuprangern und selbstverständlich auch liebgewordene Traditionen kritisch zu hinterfragen.

Das Stück "Forgiveness" könnte auch von Bruce Springsteen stammen, hätte sich beispielsweise auf dessen eindrücklichem Album "Nebraska" gut integriert. Im Titelsong "Freedom's Road" wird der Urglaube an das Land der unbegrenzten Möglichkeiten spürbar: glühender Patriotismus duelliert sich mit Kritik an den Machthabern. Und noch ist es nicht genug mit Stellung beziehen, rüttelt Mellencamp, im Duett mit der Protest-Ikone Joan Baez
im Song "Jim Crow", am nachwievor peinlichen, nie loszuwerdenden Mühlstein der USA, nähmlich der Rassendiskriminierung. Selbstbewusst biegt und beugt er des Urpoeten Woody Guthrie's "This Land Is Your Land", um es mit "This Is Our Country" zu seinem eigenen 'Naughty Kid' zu machen. Da sich John Mellencamp noch nie um irgendwelche Konventionen und Protestgebahren der Medien gekümmert hat, schert er sich auch hier nicht darum. Traditionals, gehören sie auch noch so zum unantastbaren amerikanischen Kulturgut, gehören letztlich doch imemr dem Volk und als dessen musikalisches Sprachrohr vertritt er dieses Kulturgut meisterlich.

Der Song "Rural Route" bringt aufgrund seines Stils den Folkbarden jenseits des Ozeans, Mark Knopfler ins Gehör. Das ist wundervoller Folk, wie er schöner und spartanischer, spröder auch, kaum sein kann. Mellencamp konterkariert diese pure Idylle mit seinem kratzig-kehligen Gesang perfekt. Das Stück "My Aeroplane" lehnt ein wenig an Bryan Adams an, dem Menschenfreund in 'Lonesome Canada', der in Sachen politischer Gesinnung mit John Mellencamp ziemlich Hand in Hand geht. Nachdem der Künstler den Zuhörer mit dem letzten Titel des Albums, nämlich "Heaven Is A Lonely Place" aufmüpfig und kess in seine Anfangszeiten zurückgebracht, präsentiert er mit dem bereits erwähnten Hidden Track "Rodeo Clown" nach einiger Zeit der akustischen Stille seine harsche Abrechnung mit einem Kriegstreiber in Cowboystiefeln. Ich persönlich atme auch tief durch, denn dieses Album ringt mir grossen Respekt ab vor einem meiner Lieblingsmusiker.




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