GRATEFUL DEAD - Anthem Of The Sun (Warner Brothers Records WS 1749, 1968)
"Anthem Of The Sun" war das zweite Studioalbum der Band Grateful Dead. Das Album wurde von September 1967 bis März 1968 in verschiedenen Tonstudios aufgenommen. Das erste war das American Studios in North Hollywood. Als Produzent konnte wiederum David Hassinger gewonnen werden, der schon ihr Debütalbum "The Grateful Dead" produziert und auch mit den Rolling Stones und der Gruppe Jefferson Airplane gearbeitet hatte. Mit dem zweiten Album versuchten Grateful Dead, ihre Songs derart aufzunehmen, wie sie sie jeweils bei Konzerten spielten, da dies ihnen bei ihrem Debütalbum nicht gelang. Im Dezember 1967 wechselte die Band zu zwei weiteren Tonstudios in New York City. Zu dieser Zeit sprang Hassinger von der Albumproduktion ab, da ihm der Vorgang nicht schnell genug lief. Erst ein Drittel des Albums war zu diesem Zeitpunkt aufgenommen. Insbesondere die Experimente von Bob Weir hinsichtlich Sound und Ton und seine Fragen, wie man das dem Stil der Band anpassen könnte, veranlassten Hassinger zu dem Kommentar, dass niemand von der Band wirklich singen könne und keiner von ihnen wisse, was sie da eigentlich machen würden. Jerry Garcia kommentierte dies damit, dass die Band selbst lernen wolle, wie man in einem Studio arbeitet, damit man in Zukunft selbst diese Arbeit erledigen könne.
Grateful Dead entschlossen sich in der Folge, das Werk ohne Produzenten aufzunehmen. Die Gruppe wechselte zu einem Studio in San Francisco und nahm das Album mithilfe des Tontechnikers Dan Healy selbst auf. Zwischen den Aufnahmen in North Hollywood und New York gab die Band auch weitere Konzerte, um die neuen Songs zu erproben. Die Mitschnitte von diesen Konzerten wurden von Jerry Garcia, Phil Lesh und Dan Healy ausgewertet und in die bereits aufgenommenen Songs eingearbeitet, um somit die typische Live-Atmosphäre der Band zu schaffen. Im Zuge der Überarbeitung des Albums wurde Tom Constanten in die Band genommen, der bei einigen Titeln Klavier spielen sollte. Constanten's Klavierspiel fiel weitgehend nur bei Studioalben auf und ging bei Live-Auftritten unter, aber seine Experimente mit dem Klavier und dem Keyboard sorgten auf dem Album für eine besondere Note im Sinne des Psychedelic Rock. Die Band nutzte die technischen Möglichkeiten des Studios aus und benutzte mehr Instrumente, als dies auf der Bühne möglich gewesen wäre. Mithilfe von unterschiedlichen Instrumenten wie Kazoos, Schlaginstrumenten, Cembalos, Pauken und Trompeten versuchte die Band, ihre Vorstellung von Psychedelic Rock zu kreieren. Jerry Garcia verglich dies mit einer musikalischen Collage.
Um mehr Geld vom Label zu bekommen, musste der erste Titel des Albums, "That's It For The Other One", in vier Songs aufgeteilt werden. Robert Hunter, langjähriger Freund von Jerry Garcia und zukünftiger zusätzlicher Songschreiber von Grateful Dead, unterstützte Phil Lesh und Pigpen bei der Lyrik zum Song "Alligator". Der damalige Vorsitzende der Plattenfirma Warner Brothers Records, Joe Smith, beurteilte die Platte "Anthem Of The Sun" als das unvernünftigste Projekt, an dem sich Warner Brothers jemals freiwillig beteiligt hätten. Die ersten Schallplatten waren mit dem Schriftzug "The faster we go, the rounder we get" versehen, der sich im Mittelkreis um den Labelaufkleber befand.
Die Ursprünge von Grateful Dead liegen in der Band Zodiac, die Jerry Garcia 1963 zusammen mit dem Gitarristen Bob Weir, dem Perkussionskünstler und Keyboarder Ron "Pigpen" McKernan und dem Schlagzeuger Bill Kreutzmann gegründet hatte. Schon zwei Jahre zuvor spielte Jerry Garcia Gitarre und Banjo auf Folk- und Bluegrassfestivals, arbeitete seit 1960 mit dem späteren Songwriter von Grateful Dead, Robert Hunter, zusammen und lernte in dieser Zeit die übrigen Bandmitglieder kennen, die ebenfalls bereits Erfahrungen mit eigenen Projekten gesammelt hatten. Aus persönlichen Gründen und aufgrund von schwerwiegenden Drogenproblemen wurde Robert Hunter kein Mitglied bei Zodiac. Diese Gruppe ging 1964 in der Band Mother McCree’s Uptown Jug Champions auf, allerdings ohne den Schlagzeuger Phil Kreutzmann. Neben dem übrig gebliebenen Trio Garcia, Weir und McKernan spielten weitere Musiker in der Band, von denen sich nur David Nelson in der Musikszene etablieren konnte. Doch auch die Formation von Mother McCree’s Uptown Jug Champions war nicht von Dauer und wurde im April 1965 in Warlock umbenannt, in der auch wieder Kreutzmann spielte. Im Juni 1965 trat der Bassist Phil Lesh bei und der vorherige Bassist Dana Morgan Jr. verliess die Band. Einen Monat später wurde der Schriftsteller Ken Kesey auf die Formation aufmerksam und buchte sie als Houseband für die Acid Tests in einer Kommune, deren Mitglieder später 'Merry Pranksters' genannt wurden. Diese Acid Tests waren Happenings, bei denen die damals legale Droge LSD verteilt wurde. Im Dezember 1965 benannten sich die Warlocks erneut um, nachdem Phil Lesh festgestellt hatte, dass es schon eine kommerzielle Band mit diesem Namen gab.
Laut Garcia war die Auswahl des neuen Bandnamens Grateful Dead eher ein Zufall, da viele andere Namen zur Auswahl standen. Er schlug die Encyclopaedia Britannica auf und las den Begriff dort. Der Begriff 'Grateful Dead' taucht in verschiedenen Kulturen auf und wird in Schriften wie dem Tibetanischen Totenbuch oder im Buch Tobit verwendet. Die Band siedelte in San Francisco's Stadtviertel Haight Ashbury um, das bis heute als Anziehungspunkt der Hippie- und Gegenkultur gilt. Zu dieser Zeit traf die Band auf den LSD-Produzenten Owsley Stanley, der sie finanzierte und ihr Tontechniker wurde. Dank seines Geldes konnte die Band ein eigenes Haus beziehen, sich Instrumente kaufen und auf freien Konzerten auftreten beziehungsweise diese stattfinden lassen, wodurch sie eine grosse Fangemeinde in San Francisco gewann. Als letztes Bandmitglied stiess der zweite Schlagzeuger Mickey Hart zur Band, dessen Vater Lenny Hart, früher ebenfalls Musiker, zeitweise Manager der Band war. Während dieser Zeit spielten die Bandmitglieder auch bei anderen Bands im Studio mit, darunter bei Jefferson Airplane und Crosby, Stills, Nash & Young, bei denen Garcia das Pedal-Steel-Gitarren-Intro ihres Hits Teach Your Children spielte. Zudem gehörten Garcia, Hart und Lesh neben David Nelson und John Dawson zu den Gründern von New Riders Of The Purple Sage, wo sie bis 1970 Mitglied waren, bevor sie sich verstärkt Grateful Dead und anderen Projekten widmeten.
Infolge der Konzerte wurde MGM auf die Band aufmerksam und nahm sie 1966 für Demoaufnahmen unter Vertrag. Da die Band jedoch keine Studioerfahrung besass, verliefen die Aufnahmen nicht zufriedenstellend, und sie wurde kurze Zeit später wieder entlassen. Doch auch ohne Plattenvertrag spielten Grateful Dead weiter auf Konzerten und Festivals, bis sie von Warner Brother Records ebenfalls 1966 unter Vertrag genommen wurden. 1967 erschien das Debütalbum "The Grateful Dead", mit dem die Band jedoch nicht zufrieden war. Zu dieser Zeit kreierte die Band das Pseudonym "McGannahan Skyjellyfetti", in Anlehnung an einen Charakter in Kenneth Patchen's Werk "Memoirs Of A Shy Pornographer", um gemeinsam geschriebene Lieder zu kennzeichnen. Dan Healy kam als weiterer Tontechniker zur Band. Sowohl Stanley als auch er verliessen die Band aus verschiedenen Gründen mehrmals und kehrten zurück. Beide traten auch als Produzenten von Alben auf. Zu den weiteren Höhepunkten des Jahres gehörte die Teilnahme am Monterey Pop Festival im Juni 1967, durch welche die Band noch bekannter wurde. Für die nächsten Aufnahmen trat Tom Constanten 1968 als zweiter Keyboarder neben McKernan der Band bei.
"Anthem Of The Sun" zeigt einige grossartige Momente von Grateful Dead. Bahnbrechend war bereits der Opener, die lange Suite mit dem Titel "That's It for The Other One", welche aus vier Teilen bestand und die gesamte erste LP-Seite umspannte. Dieser vierteilige Klassiker wird die Zeit für immer überdauern. Die Suite beginnt mit Jerry Garcia's beruhigendem Gesang und einem wunderschönen Riff. Die Texte sind sehr traurig, obwohl sie ziemlich schwermütig sind, wirken aber fast schon gemütlich. Verschiedene Gesangseffekte werden während des Liedes verwendet. Garcia und Weir räumen dem Gesang viel Zeit ein hier. Durch zunehmend psychedelische Sprenkel beginnt die Suite bald, immer mehr auseinanderzudriften, die Verzerrung und die Trommeln geraten immer stärker durcheinander, sodass das Ganze auf einen chaotischen Höhepunkt zusteuert, wie ein Schiff, das zunehmends manövrierunfähig wird in einem sich immer stärker aufblähenden Sturm. Der Schluss der Suite ist mit Perkussionseinlagen und zufälligen Soundeffekten dann aber wieder schön und heilsam ruhig. Dazu ein pulsierender Basslauf, der einen Herzschlag imitiert.
"New Potato Caboose" ist ein schönes und interessantes Stück. Das Lied öffnet sich mit dem kontinuierlichen Aufbau eines interessanten Klavierthemas und verschiedenen Perkussions-Effekten. Phil Lesh's Bass perlt grossartig und der Klang des Songs ist wunderbar fluffig und glasklar. Die Gesangslinien klingen recht sauber, sind im totalen Einklang mit dem Song. Eine akustische Gitarre wird im Hintergrund von Jerry Garcia gespielt, sie klingt grossartig. Dies ist für mich praktisch so etwas wie der wahre Klang der 60er Jahre. Bob Weir singt und macht einen guten Job. Seine Stimme ist tiefer als jene Garcia's. Die beiden Stimmen ergänzen sich wunderbar. Die Kompositionen der Band wiesen diese Gesangsarrangements regelmässig bis zu den späteren Werken "Wake Of The Flood" und "Blues For Allah" auf, wo man sie dann in absoluter Perfektion geniessen konnte. Nach etwa fünf Minuten macht Jerry Garcia Platz für ein beseeltes Gitarrensolo. Danach überzeugt das doppelte Schlagzeugspiel: Mickey Hart und Billy Kreutzmann klingen hier schon wie später beispielsweise Butch Trucks und Jaimoe von den Allman Brothers. "Born Crosseyed" klingt etwas hausbacken, aber zeigt klar die Liebe der Band zu traditioneller Country'n'Western-Musik. Vom Arrangement her erinnert diese Nummer sehr an Crosby Stills Nash & Young. Das nachfolgende Stück "Alligator" ist vor allem stark vom Jazz inspiriert, weist schon die typischen Jam-Merkmale späterer Jahre auf und franst nie ins Uferlose aus, sondern bleibt stets kompakt und nachvollziehbar, obschon den Instrumenten viel Freiraum gewährt wird. Ebenfalls ein klasse Song, der sich über fast 11 1/2 Minuten erstreckt.
Das finale "Caution (Do Not Stop On The Tracks)" ist schliesslich noch ein Beweis dafür, wie sehr sich die Gruppe Grateful Dead vor allem in ihrer Anfangsphase noch dem Blues verpflichtet sah. Hier klingt Pigpen, als hätte der den Songtext einfach so aus dem Aermel geschüttelt, was aber wiederum letztlich nur ein weiterer Beweis für die Genialität dieser legendären Gruppe darstellt. Gerade dieses Stück würde ich persönlich als eines der besten Beispiele dafür nehmen, wie sehr sich bei Grateful Dead das improvisierte Jammen mit dem Durchkomponieren von strukturierten Songs stets in perfekter Weise ergänzt hat. So "organisiert" klang weder vor, noch nach ihnen jemals eine der sogenannten "Jam"-Bands.
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