Nov 8, 2016

TRANSATLANTIC - Kaleidoscope (Radiant Records 15285-2, 2014)

Die Rezeptur ihrer epischen Suiten hatte die Progressive Rock Supergroup Transatlantic schon in "All Of The Above" auf ihrem Debütalbum gefunden: eine pompöse instrumentale Einleitung mit donnernden Riffs, ein fast schon opernhaftes Finale, auf extrem kurzen, sehr eingängigen Melodiebögen von Roine Stolt's Gitarre aufgebaut, Melodiepartikel, die aber durch ständige Verschiebungen und Erweiterungen aufgeladen wurden, dazwischen langsame Passagen, die den vier Musikern Gelegenheit zu jazzig angehauchten Improvisationen gaben. Diese Rezeptur fand auch auf dem Herzstück dieses Albums, dem halbstündigen "Kaleidoscope", ungebrochen Anwendung. Die zugrunde liegenden musikalischen Motive waren eines ausdrucksvoller als das andere. Auch die vielen Déjà Vu's - in der Musik wird selten etwas ganz neu erfunden - hatten es in sich: So etwa im Titelstück "Kaleidoscope", wo plötzlich unverkennbar Pink Floyds "Us And Them" aus der Ferne grüsste. Kaum hatte man allerdings mit einem wohligen Schwärmen von vergangenen Zeiten beginnen wollen, nahmen Harmonien und Melodien einen ganz anderen, unerwarteten Verlauf. Kurz davor spielte Neil Morse auf den Tasten in aparter Klangfarbe ein Solo, wie es origineller und zugleich prägnanter kaum hätte sein können.

Überhaupt zeigte sich Neil Morse auch auf diesem beeindruckenden und üppigen Werk in Höchstform: Im Stück "Black As The Sky" etwa spielte er wie einst Keith Emerson oder Rick Wakeman: aberwitzig schnell und doch absolut punktgenau. Das einzige Lied, das Neal Morse alleine komponiert hatte, "Beyond The Sun", geriet auf betörende Weise elegisch und wurde von dem Cellisten Chris Carmichael wundervoll veredelt, der auch auf dem Eröffnungstück das romantische Thema spielte, das in "Kaleidoscope", exakt in der Mitte des 32 Minuten langen Mammutstückes eine Wiederholung erfuhr. Auch Pete Trewavas' Bass-Virtuosität, sowie Mike Portnoy's einmal mehr hervorragende und weltmeisterliche Schlagzeug-Schwerarbeit verwöhnten den Zuhörer das ganze Album hindurch mit einfallsreichen Läufen und abenteuerlichen und immer perfekt auf den Punkt gespielten Fill-Ins.

Schon fast unverschämt einfach, dafür allerdings auch sehr einschmeichelnd und umwerfend schön geriet die Ballade "Shine", die textlich deutlich Neal Morse's christliche Handschrift trug, und einmal mehr bewies, dass progressive Rockmusik durchaus auch einfach gestrickte Momente beinhalten darf. Es ist ein toller Nebeneffekt, dass dabei der Glanz der Komposition, trotz relativ einfacher Strukturen, auf genauso hohem musikalischen Niveau stattfindet. "Shine" war eine einfach schöne Ballade mit traumhafter Melodie, schöner weil sparsamer Instrumentierung und genialem Gesangsarrangement. Viele Bands würden sonst etwas dafür geben, einmal in ihrem Leben mit einem solchen Song aufwarten zu können. Dass dies vielen beinharten Progressive Rock-Fans eventuell zu kommerziell und einfach klingen könnte, war gerne mal in den Kritiken der Fachpresse zu lesen. Nachvollziehen konnte ich das überhaupt nicht. "Shine" war für mich erneut ein perfektes Beispiel dafür, dass Neal Morse schlicht ein grossartiger Komponist und Texter ist, der es stets verstanden hat, selbst die vertracktesten und anspruchsvollsten Musikprojekte punktgenau mit einer so einfachen wie einnehmenden Ballade zu ergänzen, besziehungsweise auf positive Art zu konterkarieren.

Das optische Erscheinungsbild speziell der 'Limited Edition' geriet spektakulär schön und war durchaus vergleichbar mit Dream Theater's "Live At Luna Park" in der Artbook-Version. Das 3D-Cover, das LP-Format, die Gestaltung des Buches und der CDs war einfach phantastisch. Schöner ging es eigentlich kaum mehr. Aber was wäre die hübscheste Verpackung ohne adäquaten Inhalt ? Mit "Into The Blue" startete das Album in seinen ersten von zwei Longtracks. In 25:13 Minuten wurde gleich zu Beginn eine schöne Mélange aller typischen musikalischen Merkmale, die man mit dem Namen Transatlantic seit vielen Jahren schon verband, präsentiert. Das wiederkehrende Motiv von "The Dreamer The Healer" war grossartig und wunderschön in Melodik und Eingängigkeit. Neal Morse bewies auch bei "Kaleidoscope" wieder sein scheinbar unerschöpfliches Reservoir an ergreifenden Melodien, die er nach Belieben hervorzaubern konnte. Die musikalisch höchst kompetente Aufbereitung dieser Hooklines durch seine Mitstreiter machte daraus grossartige komplexe Stücke, die aber trotzdem eingängig und jederzeit nachvollziehbar blieben.

"Beyond The Sun" stand als introvertierte Ballade vielleicht etwas im Schatten des erhabenen und grossartigen "Shine", passte aber auch ganz wunderbar ins musikalische Gesamtkonzept. Das Ganze wurde schliesslich als farbenprächtiges Kaleidoskop buntester Farben, oder hier besser: Tönen und Klanglandschaften verkauft. Von daher war das gesamte Werk natürlich absolut perfekt geraten. Transatlantic's Meilenstein "The Whirlwind" dürfte natürlich immer noch die kreative Messlatte für die Band gewesen sein, und das darf auch heute noch so gelten, aber "Kaleidscope" gehörte mit Sicherheit ebenfalls zu den grossartigsten Werken dieser Band, und letztlich natürlich auch grundsätzlich zu den grossen Meisterwerken des aktuellen Progressive Rock.

Bei Transatlantic schon fast eine Selbstverständlichkeit, gab es auch zum Album "Kaleidoscope" eine Bonus CD, wiederum mit einer bunten Mischung an Coversongs, die nach individuellen Vorlieben der Bandmitglieder zusammengestellt wurden. Dabei fanden sich das doch ziemlich überraschende, aber stimmungsvoll inszenierte "Goodbye Yellow Brick Road" von Elton John, sowie "Nights In White Satin" von den Moody Blues auf der melodischen Seite, zwei ganz tolle Adaptionen des klassischen Progressive Rocks, nämlich "And You And I" von Yes und "Indiscipline" von King Crimson. Dazu der Klassiker "Sylvia" der holländischen Band Focus, der "Tin Soldier" der Small Faces (!) und zu guter Letzt auch noch ein Stück von Jeff Lynne's Electric Light Orchestra, und zwar die Rockballade "Can't Get It Out Of My Head". Alles in allem ein grandioses Doppelalbum mit einem formidablen Hauptwerk plus einigen bekannten Songs der 60er und 70er Jahre plus dem King Crimson Titel von 1981.



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