Dec 5, 2016


CHRIS ROBINSON - New Earth Mud (Redline Entertainment Inc. 70009, 2002)

Es ist schon immer wieder erstaunlich, eine Platte in die Finger zu kriegen, mal interessiert reinzuhören, auf Anhieb begeistert zu sein und eigentlich keine Ahnung zu haben, mit wem man es da eigentlich zu tun hat. So geschehen bei Chris Robinson's erstem Soloalbum "New Earth Mud". Ein paar Tage, nachdem ich dieses Album gekauft hatte, kam ein Freund zu Besuch, dem ich das Werk dann auch gleich zur Hörbeurteilung präsentierte. Und der zuckte nur kurz mit den Schultern und sagte: "Klar muss die gut sein, der ist ja auch von den Black Crows". Da war ich dann schon mal ziemlich überrascht, denn die Musik, die da aus den Lautsprechern kam, hatte so gar nichts mit jenem kernigen und Glam-getunkten Bluesrock der Black Crows zu tun. Das war schon ein ziemliches Aha-Erlebnis.

Christopher "Chris" Mark Robinson, am 20. Dezember 1966 in Atlanta, Georgia geboren, war der Leadsänger der Black Crowes, die er gemeinsam mit seinem Bruder Rich Robinson in den 80er-Jahren gegründet hatte. Anfang der 90er Jahre gelang Robinson mit der Band mit ihrem Debütalbum "Shake Your Moneymaker" ein weltweiter Millionenerfolg und der internationale Durchbruch. Mit dem Nachfolger, betitelt "The Southern Harmony And Musical Companion" etablierten die Black Crowes ihre Mischung aus Retro-Rock, Soul, Gospel und Country. Nach mehreren kommerziell erfolglosen Alben trennte sich die Band zunächst Anfang 2002, startete im Frühjahr 2005 allerdings ein Comeback. 2011 lösten sie sich erneut vorübergehend auf. Während der ersten Auszeit versuchte sich Chris Robinson mit mässigem Erfolg an seinem Soloprojekt "New Earth Mud". Hierfür tourte er in den Jahren 2003 und 2004. Es kam im Rahmen der Veröffentlichung des Albums "New Earth Mud" auch zu einer erneuten Zusammenarbeit mit ehemaligen Mitgliedern der Black Crowes. Sowohl Marc Ford als auch Eddie Harsch wirkten am ersten Album mit. Audley Freed, von 1998 bis 2001 als Tourgitarrist in den Diensten der Black Crowes, gehörte nach der Veröffentlichung von Chris Robinson's zweitem Sooalbum "This Magnificent Distance" zur gleichnamigen Band, die Robinson der Einfachheit halber ebenfalls New Earth Mud nannte.

Chris Robinson's "New Earth Mud" präsentiert letztlich den Sound, den ein Musiker spielen kann, wenn er losgelöst ist von allem, er also quasi sein eigenes Ding durchziehen kann. Von den vermeintlichen Fesseln seiner Band und den vielen Bruderzwists innerhalb der Black Crows losgelöst, gelang Chris Robinson das Kunststück, eine ganz andere Musikrichtung einzuschlagen, und dabei trotzdem noch als der Leadsänger der Black Crows erkannt zu werden. Stilistisch allerdings hätte sich Robinson nicht weiter von seiner Stammband entfernen können. Es war zuerst einmal ganz bestimmt kein Rockalbum, sondern eher ein folkig angehauchtes Countryrock- oder auch Americana-Album, das einfach unglaublich unangestrengt, relaxed und sehr atmosphärisch klang. Das laidbacke Werk erinnerte in seiner Machart ein bisschen an das letzte John Lennon Album vor dessen Tod, "Double Fantasy" - das Werk eines gereiften Musikers, der sich in eleganter Zurückhaltung übte, nachdem er zuvor als wilder Kerl die Bühnen gerockt hatte. Das Album besitzt dieses typische "Joy of Life and Love" Feeling. "Mellow" nennt der Amerikaner diese Art von Sound.

Kein harter Rock im Stile der Black Crows gibt es hier zu hören, sondern eher gepflegten und vor allem extrem sauber und sehr einnehmend produzierte Musik, die nur von Jemandem gemacht werden kann, der Ruhe in sein Leben bringen will. Das gelingt Chris Robinson auf diesem ersten Soloalbum ausgezeichnet. Es erinnert stilistisch durchaus etwa an das Album "Wildflowers" von Tom Petty, an Grateful Dead's "American Beauty", aber auch an die alte Neil Young-Countryness, wie er sie beispielsweise auf dem berühmten Werk "Harvest" gezeigt hatte. Viele Arrangements zeigen vor allem akustische Gitarren, entweder in Front, oder aber als zweite Gitarre neben der Elektrischen. Musikalisch ist Chris Robinson also so weit von seiner Stammband entfernt, dass man des Namens unkundig nicht unbedingt einen Link zu den Schwarzen Krähen herstellen würde. Wenn ich das Werk stilmässig umschreiben müsste, würde ich sagen, es handelt sich um eine Mélange irgendwo zwischen Kevn Kinney, David Gilmour, Blue Rodeo und Chris Burroughs. Plus die vorher bereits erwähnten Tom Petty, Grateful Dead und Neil Young.

Die Platte enthält einerseits schön strukturierte, edle Rocker, die zwar bisweilen herrlich knackig, doch nie wirklich hart und forsch wirken. Songs, die vor allem auch von grossen Songwriter-Qualitäten zeugen, aber auch folkige, überaus luftige und manchmal sehr sphärisch anmutende Rockballaden, wie man sie so reich an Gefühl immer wieder gerne zu hören bekommt, ohne dass sie sich irgendwie abnutzen würden mit den Jahren. 'Bluesy & Mellow': So kann man das Werk wohl letztlich grundsätzlich umschreiben. Der Opener "Safe In The Arms Of Love" ist erst einmal richtig catchy und eine herrliche Nummer, die an Sonne, Strand und Cabrio-Feeling erinnert: Westcoast-Lust pur. Das von der ersten Sekunde an mitgelieferte Gitarren-Hook bringt man kaum mehr aus dem Kopf. Ein toller Einstieg in ein Album, das durch mehrmaliges intensives Hinhören immer besser wird. 

"Kids That Ain't Got None" ist überwältigend schön arrangiert, und ganz wichtig hierbei: Es findet sich weder hier noch auf sonst einem der weiteren Tracks auf dem Album keinen einzigen Anflug von Kitsch. Wo andere Musiker und Bands vielleicht den Streicher-Synthesizer einsetzen oder auch ein Geigenhimmel kredenzen würden, bringt Chris Robinson eine jammernde Dobro oder eine leicht verhallte Mandoline zum Einsatz, und strahlt damit so unverschämt schöne Romantik aus, dass man selbst vor der Abhöre im Wohnzimmer den imaginären Sonnenuntergang geniesst. Das nachfolgende "Silver Car" legt diesbezüglich noch einen drauf und präsentiert ein an David Gilmour's Leadgitarre in "Breathe" ("The Dark Side Of Thre Moon") gemahnende Gitarrenlinie, zeigt als Song insgesamt ein bisschen Ähnlichkeit zu "Wild Horses" von den Rolling Stones. Eine luftig leichte Folkballade, bei der man den Eindruck gewinnen könnte, die Zeit würde einfach stillstehen. Noch ein musikalischer Höhepunkt des Albums ist auch die Nummer "Ride", dessen leicht funkige, vor allem aber gospelige Ausrichtung gefühlsmässig nach einer langen Jam entstanden sein dürfte. "Ride" markiert das letzte Stück auf diesem fabelhaften Album. Der Song hätte nicht besser gewählt sein können, um dieses tolle Werk abzuschliessen.

Es folgte im Jahre 2004 ein zweites Soloalbum von Chris Robinson mit dem Titel "This Magnificient Distance", bevor sich die Black Crows reformierten und Chris Robinson seine eigene Band aufgab, nicht ohne vorher allerdings noch ein Live-Album zu präsentieren, das noch einmal diesen wundervollen Americana-Geist präsentierte. Es erschien 2007 und trug den Titel "Brothers Of A Feather - Live At The Roxy". Danach gingen die Black Crows wieder an den Start und waren knapp drei Jahre lang wieder unterwegs, allerdings auch wieder ähnlich erfolgreich wie in ihren Anfangstagen. Man hatte die Krähen noch nicht vergessen und war dankbar, dass sie wieder unterwegs waren. Hervorragende Plattenverkäufe der Alben "Warpaint" und "Before The Frost Until The Freeze" zeugen davon. Von den Alben wurden wesentlich mehr Exemplare verkauft als von Chris Robinson's 'New Earth Mud' Werken.

Nachdem die Black Crowes 2010 erneut eine Pause unbestimmter Länge bekannt gaben, wurde im Herbst des Jahres Chris Robinson's neuestes Projekt vorgestellt, die Chris Robinson Brotherhood. Sie tourte bereits im Frühjahr 2011 durch Kalifornien und fiel besonders durch häufige Coversongs der Grateful Dead auf. Mitglieder der Chris Robinson Brotherhood sind der von den Black Crowes bereits bekannte Keyboarder Adam MacDougall und Mark "Muddy" Dutton am Bass, der zusammen mit Marc Ford bei Burning Tree spielte, bevor dieser die Band 1992 für die Black Crowes verliess. Das Debütalbum der Chris Robinson Brotherhood wurde im Januar 2012 aufgenommen und erschien in Deutschland Anfang Juni 2012 unter dem Namen "Big Moon Ritual". Es war zu diesem Zeitpunkt bereits eingeplant, im Herbst des Jahres den Nachfolger "The Magic Door" zu veröffentlichen, das vielmehr eine Art Ergänzung zum vorherigen Album darstellte. Musikalisch sieht sich die Chris Robinson Brotherhood dabei als Psychedelic Rock Band und erinnert in ihrer Mischung aus Experimentierfreude und amerikanischer Folkrockmusik nicht selten an die bereits genannten Grateful Dead. Bei Konzerten kommt es auch häufiger zu Gastauftritten von Mitgliedern dieser Band, insbesondere von Phil Lesh als auch Bob Weir. Das dritte Studioalbum der Gruppe "Phosphorescent Harvest" erschien Ende April 2014 auf Silver Arrow Records. Zusätzlich zu den bereits genannten Musikern Dutton und MacDougall waren noch George Sluppick am Schlagzeug und der von seiner Zusammenarbeit mit Ryan Adams bekannte Neal Casal an der Gitarre beteiligt.

Nachdem Chris Robinson in den frühen 90er Jahren bereits einige Alben anderer Künstler produziert hatte, erschienen am Ende des ersten 2000er-Jahrzehnts noch weitere Aufnahmen mit ihm als Produzenten. Häufig mit Lob der Kritiker bedacht, stellte sich bei den meisten nur mässiger kommerzieller Erfolg ein. Robinson produzierte unter anderem Werke der Gruppen The Kinsey Report, Thee Hypnotics, und der Truth & Salvage Co. Aber auch Soloalben der Jayhawks-Musiker Gary Louris und Mark Olson hat Chris Robinson produziert, so zum Beispiel die beiden Soloalben "Vagabonds" und "Acoustic Vagabonds" von Gary Louris, sowie das gemeinsame Album "Ready For The Flood" von Mark Olson & Gary Louris. Die empfehlenswerteste Version der Platte "New Earth Mud" (Redline Entertainment) kommt als mehrfach ausklappbares Digipak mit beigelegter DVD, auf welcher Chris Robinson unplugged zu sehen ist, aufgenommen in einem Club in Paris. Ein echtes Juwel.









No comments:

Post a Comment