Dec 9, 2016


RUSH - Snakes & Arrows (Atlantis Records 135484-2, 2007)

Die Fans des Progressive Rock markieren wahrscheinlich seit jeher jeden Veröffentlichungstag einer neuen Rush-Platte rot im Kalender. Das dürfte auch 2007 nicht anders gewesen sein, als mit "Snakes & Arrows" der Nachfolger des Werks "Vapor Trails" erschien. Der Vorgänger "Vapor Trails" indes erhielt damals nicht gerade die besten Kritiken. Allgemein wurde bemängelt, dass das Werk viel zu laut, zu heavy und zu zerfranst sei. Die Gruppe Rush hatte sich dies wohl ziemlich zu Herzen genommen und präsentierte mit dem Nachfolger "Snakes And Arrows" eine Art Rückbesinnung auf ihre äusserst melodiöse Verspieltheit aus der Zeit zwischen ihren Alben "Signals" und "Roll The Bones". Selbst wenn Synthesizer im Bandkontext im Gegensatz zu früheren Jahren inzwischen kaum mehr eine Rolle spielten, atmeten die Kompositionen immer noch den Geist der 80er Jahre mit den damals vorherrschenden sehnsüchtigen und tragischen Melodiebögen.

Ein wenig erinnerte das Werk an die Platte "Presto", auch wenn die Atmosphäre der "Snakes & Arrows" weitaus wärmer wirkte als beim eher sehr clean und daher recht steril produzierten Werk von 1989. Nichtsdestotrotz lag es vermutlich auch hier vor allem an den hervorragenden Kompositionen, welche die Band Rush auf vielen Alben anderen Bands locker den Rang abkaufen konnten. Erst heute, rückwirkend gesehen, fällt einem das so richtig auf. Konkurrenzierende Bands konnten Rush meist nicht das Wasser halten, sei es in kompositorischer, aber auch in dynamischer Hinsicht. Für ein klassisches Rock-Trio spielten Rush schon immer einen der fülligsten Sounds, den man sich überhaupt von nur gerade drei Musikern vorstellen kann. Diese Songfülle zeichnete die Band meiner Meinung nach immer wieder aus, auch wenn sich die Rush-Musiker öfters mal im damit einhergehenden Bombast verloren.

Stilistisch hatte sich die Gruppe Rush im Laufe der Zeit stark verändert. Die Alben vor "Permanent Waves", das 1980 veröffentlicht wurde, waren eine Mixtur aus Hard Rock und Progressive Rock. Die Songtexte jener Zeit waren geprägt von Science Fiction und zum Teil philosophischen Einflüssen von Ayn Rand, was bei ihrem 76er Album "2112" und ganz besonders beim sehrerfolgreichen Werk "Hemispheres" aus dem Jahre 1978 deutlich wurde. Mit der Platte "Permanent Waves" begannen die grössten Veränderungen: Obwohl die Musik weiterhin auf Hardrock basierte, baute das Trio zunehmend Keyboardklänge in ihren Sound ein. Ihre Titel gerieten teilweise drastisch kürzer, kamen dadurch aber auch schneller auf den Punkt. Zwar fiel Rush's Songwriting, und zwar sowohl die Musik wie die Songtexte, nun etwas konventioneller und somit zugänglicher aus, der Stil des Trios blieb jedoch weiterhin progressiv, wenn auch mit einer Portion Alternative Rock versehen. Speziell der Song "Spirit Of Radio", benannt nach der wegweisenden lokalen Radiostation CFNY aus Toronto, wurde ein grosser Hit in der alternativen Szene. Ein weiterer Favorit der amerikanischen Classic Rock Radiostationen jener Zeit war "Tom Sawyer" vom Album "Moving Pictures", im Jahre 1981 veröffentlicht.

Einige von Rush's komplexesten Songs und etliche Klassiker wie zum Beispiel "Subdivisions", "Distant Early Warning" oder "Force Ten" entstammten der Zeit zwischen 1982 und 1987. Allerdings empfand die Band selbst die Technisierung des Sounds insbesondere bei Live-Auftritten als zunehmende Beeinträchtigung. Auf den folgenden Alben vollzogen Rush daher eine langsame Abkehr vom in der Rockszene durchaus typischen synthesizerlastigen Sound der 80er Jahre, ohne dabei das Songwriting zu vernachlässigen. Mit "Roll The Bones" legte die Gruppe 1991 ein überaus erfolgreiches und von Kritikern und Fans enthusiastisch aufgenommenes Album hin, das mit "Dreamline", "Bravado" und dem Titelsong drei Stücke enthielt, die sich zu Live-Klassikern entwickelten. 1993 erschien "Counterparts". Dieses Album orientierte sich dann stark am Hardrock.

Nach der Veröffentlichung ihres Albums "Test For Echo" legten Rush eine rund sechsjährige Pause ein, die durch persönliche Tragödien im Leben des Rush-Schlagzeugers Neal Peart ausgelöst wurde: Peart's Tochter Selena starb bei einem Autounfall im August 1997, gefolgt vom Krebstod seiner Frau Jacqueline im Juni 1998. Lange war es fraglich, ob die Band jemals wieder zusammenkommen würde. Peart begab sich schliesslich auf eine selbstverordnete Heilungsreise mit dem Motorrad, bei der er tausende Kilometer durch Nordamerika und Mexiko fuhr. Die Erlebnisse dieser Reise veröffentlichte er in dem Buch 'Ghost Rider: Travels on the Healing Road'. Die Band kehrte 2002 mit dem überraschenderweise ziemlich harten Album "Vapor Trails" zurück, dem ersten Album ohne Keyboards seit mehr als 20 Jahren. Darauf befand sich auch der Song "Ghost Rider", der Peart's Motorrad-Reise beschrieb. Öffentliche Auftritte wie Pressekonferenzen oder Interviews überliess der Schlagzeuger fortan immer häufiger seinen beiden Bandkollegen. Ab Mai 2006 arbeiteten die drei Kanadier an neuen Songs. Im November 2006 waren Rush mit ihrem Co-Produzenten Nick Raskulinecz in den Allaire Studios in New York, um das neue Album zu produzieren. Es trug den Titel "Snakes & Arrows" und erschien am 27. April 2007.


Gleich mit dem Opener "Far Cry" legte die Gruppe hier barsch rockend los, der Song entwickelte sich nach einem Intro, das mit filigran gesetzten Breaks zuvorderst von Geddy Lee's Gesang getragen wurde, der auch im weiteren Verlauf des Songs immer wieder für erfrischende Wendungen in der Melodieführung sorgte. Diese wand sich wie die im Titel erwähnten Schlangen einfach herrlich zwischen dezent kraftvollen Riffs und Neil Peart's exzellentem Schlagzeugspiel, inklusive einem Galopp über die Toms, empor. Nach mehreren Durchläufen machte sich eine getragene Euphorie breit. Der geschickte Wechsel von E- und Akustik-Gitarren verlieh dem Song einen überaus angenehmen Touch, den nur noch Geddy Lee's stimmliche Leistung toppte. "Armor And Sword" übertraf diesen ersten guten Eindruck tatsächlich noch. Äusserst schleppend und am Rande des Balladesken balancierte der wohl stärkste Album-Moment auf der Rasierklinge und begann mittendrin auf selbiger zu tanzen, wenn die Thematik des Songtextes sich eins zu eins im Sound widerspiegelte. Die Verteidigungshaltung im emotionalen Bereich, von grollendem Riffing unterstützt, wich einer zarten und luftigen Auflösung, als wenn von einer sicheren Heimstatt in der dunklen kalten Nacht die Rede wäre. An dieser Stelle griffen die drei Händepaare der Band in einzigartiger Weise ineinander. Peart's poetische Texte fanden ihre Entsprechung in der klanglichen Umsetzung seiner beiden Brüder im Geiste.

Die Zusammenführung der einzelnen Fähigkeiten zu einem homogenen Ganzen gelang im Titel "Workin' Them Angels" nicht so ganz. Erneut schwang der "Presto"-Geist in volltönenden Dur-Akkorden mit, Zwischenparts mit lautmalerischen Zeilen gefielen sehr gut: "Memory humming at the heart of a factory town, memory drumming at the heart of an English winter, memories beating at the heart of an African village". Alleine die Verbindung zwischen den einzelnen Bestandteilen wirkte ein klein wenig gestelzt. Das Trio konnte aber auch wesentlich unverkrampfter. "The Way The Wind Blows" spielte zu Beginn mit Trommelsounds, die geradewegs aus einem Kriegsfilm kurz vor der entscheidenden Schlacht entsprungen zu sein schienen. Nach einer kurzen Einleitung schwenkte der Song unvermittelt hin zu ausufernden und Pink Floyd ähnlichen Blues-Licks, ehe kurz darauf wieder der typische, rollende Rush-Rhythmus einsetzte. Die hier aufkeimende Beschwingtheit setzte sich im leider nur knapp zweiminütigen Instrumental "Hope" fort. "Feith" zeichnete, ganz typisch für das Album, eine etwas ruhigere, hymnischere und getragenere Vorgehensweise aus, plätscherte dank dezent und akzentuiert eingesetzter Synthesizer ruhig und fast romantisch vor sich hin. Die oben erwähnte Lockerheit, Entspanntheit und bei den Kanadiern nicht oft anzutreffende warme Verbindung von verspielten progressiven Elementen und locker hingeworfenen Blues-Fragmenten machte die aufkommende Verkrampftheit immer wieder wett. Nach der recht typischen Rush-Nummer "Good News First" und einem erneut nur zweiminütigen Instrumental ("Malignant Narcissism") beschloss ein "Hold On" in grossartiger Manier das Album.

Am 1. Juni 2010 erschien die Single "Caravan". Am 8. Juni 2012 wurde das Album "Clockwork Angels" in Europa veröffentlicht und Rush tourte damit ab September 2012 in Nordamerika und ab Mai 2013 in Europa, unter anderem mit Auftritten am 4. Juni 2013 in Köln und 6. Juni 2013 in Berlin. Die "Clockwork Angels Tour" wurde erstmals in der Bandgeschichte von Streichern begleitet. Das Album "Clockwork Angels" stieg mit Platz 2 und 103000 verkauften Einheiten in die Billboard Charts ein. Des Weiteren erschien der Film "Beyond The Lighted Stage", der ab 7. Juni in ausgewählten Kinos zu sehen war. Der Film beschrieb den Werdegang der Band, produziert wurde er von Scott McFadyen und Sam Dunn, die auch schon für Filme wie "Metal - A Headbanger’s Journey" oder "Global Metal" verantwortlich waren. Anfang Dezember 2015 erklärte Neil Peart in einem Interview, dass er sich aus der Band zurückziehen werde. Als Grund gab er an, mehr Zeit mit seiner Familie verbringen zu wollen. Nach Äusserungen von Alex Lifeson mögen aber auch gesundheitliche Beeinträchtigungen dazu beigetragen haben, da im Verlauf der letzten Jahre Alex Lifeson selbst vermehrt mit Psoriasisarthritis und Peart mit chronischer Tendinitis zu kämpfen hatten. Lifeson deutete zwar an, dass weitere kleinere Konzerte und Soundtrack-Arbeiten denkbar seien; die Band selbst werde jedoch in ihrer alten Zusammensetzung nicht mehr live auftreten und auch keine weitern Platten mehr veröffentlichen.






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