GARY BROOKER - No More Fear Of Flying (Chrysalis Records CHR 1224, 1979)
Eine Dekade, nachdem Gary Brooker den zeitlosen Klassiker "A Whiter Shade Of Pale" mit der Gruppe Procol Harum" gesungen hatte, präsentierte der Musiker sein erstes Soloalbum, nachdem sich Procol Harum kurz zuvor getrennt hatten. Das erste von insgesamt drei Soloalben, die der Sänger, Keyboarder und Songtexter in den folgenden Jahren veröffentlichte, war das 1979 erschienene "No More Fear Of Flying", das vom ehemaligen Beatles-Produzenten George Martin produziert wurde. Seine Produktion geriet zu einem wahren Geniestreich, di Platte klang wie aus einem Guss, war von einer grossen atmosphärischen Dichte und bestach durch eine brilliante Klangqualität. Vom Anfang bis zum Schluss der Platte waren auch Songs aneinandergereiht, die samt und sonders hochklassig waren. Vor allem auf Seiten der Songarrangements zeigte sich George Martin von seiner allerbesten Seite: die Saxophone und Trombonen, die druckvollen Brass-Arrangements, die beispielsweise an den phänomenalen Beatles-Titel "Good Morning Good Morning" erinnerten, verfeinerten so manchen der Songs auf Gary Brooker's Debutalbum. Dieser präsentierte sich seinerseits als nachwievor hervorragender Songschreiber, der nicht nur mit dem Titelstück "No More Fear Of Flying" eine zeitlos geniale Nummer schrieb, die auch als Singleveröffentlichung punktete. Zu einem Zeitpunkt, da in Grossbritannien vor allem das Punk-Fieber grassierte, und die New Wave sich bereits am etablieren war, bildete Brooker's handfeste und zeitlose Poprock-Produktion einen perfekten Gegenpol, der alles andere als hausbacken zu nennen war.
Gary Brooker, geboren in Hackney, London, zog mit seinen Eltern 1943 an die wudnerbaren Strandpromenaden in Southend-On-Sea in der Grafschaft Essex.. Als kleiner Junge lernte er das Klavierspiel, ausserdem wurden ihm als Blasinstrumente das Kornett und die Trombone beigebracht. Der junge Gary Brooker gründete seine erste Formation The Paramounts im Jahre 1962, zusammen mit seinem Gitarre spielenden Freund Robin Trower. Die Gruppe erntete sehr gute Kritiken und wurde vom Publikum für ihre süffige Rhythm'n'Blues-Mixtur sehr geschätzt. In der Musik der Paramounts fanden sich zeittypische stilistische Einflüsse etwa der Beatles, der Animals, der Spencer Davis Group, der Rolling Stones und vielen anderen damals angesagten Bands. Die Rolling Stones ihrerseits waren wiederum grosse Fans der Paramounts und ermöglichten der Gruppe zahlreiche Opening Acts, die den Jungs zu einer grösseren Popularität verhalfen. 1966 gründete Gary Brooker dann die Band Procol Harum mit Keith Reid. "A Whiter Shade of Pale" war sehr schnell zum weltweiten Hit geworden, aber Brooker's melancholische Stimme und sein emotionales, eklektisches Klavierspiel spielten eine Schlüsselrolle in Procol Harum's musikalischem Mix während der gesamten Bandkarriere. In den frühen Jahren von Procol Harum waren Brooker, der Hammond Organist Matthew Fisher und Robin Trower indes die treibenden Kräfte innerhalb der Gruppe, was auch immer wieder zu zahlreichen bandinternen Querelen führte. Drei solch hervorragende Ausnahmekünstler mussten sich einfach zwangsläufig immer wieder in die Haare kriegen. Als die unterschiedlichen Ansichten über den Musikstil von Procol Harum immer mehr eskalierten, verliessen sowohl Robin Trower, wie auch Matthew Fisher die Band und starteten mit individuellen, vor allem in stilistischer Hinsicht höchst unterschiedlichen Solokarrieren, von welcher Robin Trower bis heute sehr erfolgreich profitiert, während Matthew Fisher als Solokünstler eher erfolglos blieb.
Als Gary Brooker das Album "No More Fear Of Flying" veröffentlicht hatte, stieg er trotz vielversprechendes Erfolgs in der Band von Eric Clapton ein und spielte mit ihm dessen Album "Another Ticket" ein, das sich indes als ziemlicher Flop entpuppte. Aufgrund des Umstandes, dass das Werk "Another Ticket" so erfolglos blieb, feuerte Clapton seine gesamte Band zwei Jahre später. Brooker und Clapton blieben jedoch gute Freunde und Gary Brooker absolvierte mit Mr. Slowhand auch immer wieder gemeinsame Konzerte, Benefitanlässe und sie sind bis heute auch Nachbarn in Ewhurst in der Grafschaft Surrey. Für Procol Harum Fans bot Gary Brooker's Debutalbum keinerlei Anlass für Trübsal. Ein besseres Werk hätte er seinen treuen Fans nicht bieten können. Der musikalische Befreiungsschlag war förmlich zu spüren. Brooker war wesentlich kommerzieller geworden, ohne jedoch seinen typischen Art Rock, den er mit Procol Harum gepflegt hatte, zu verraten. Im Gegenteil. Es gab auf seinem Debutalbum etliche kompositorische Höhepunkte, die auch einem Procol Harum gut würden gestanden haben. Einen Beweis für seine künstlerische Kontinuität lieferte er beispielsweise mit der Zusammenarbeit beim Komponieren mit dem durch seine Arbeit mit Emerson Lake & Palmer und King Crimson bekannten Pete Sinfield, mit welchem Brooker für das Album nachwievor Art Rock-spezielle Songs und Geschichten lieferte. Auf der anderen Seite schrieb er auch zahlreiche Songs zusammen mit Keith Reid, welche dann etwas gefälliger und poppiger ausfielen. Dies führte alles in allem zu einem sehr ausgewogenen Programm von tollen und abwechslungsreichen Songs, die jederzeit ein gleichbleibend hohes Niveau bewiesen.
Ein sicheres Händchen bewies Gary Brooker für sein Debutalbum auch bei der Auswahl von Fremdkompositionen: Auf der einen Seite das melancholische, von Murray Head geschriebene "Say It Ain't So" und als besondere Leckerbissen die Pub Rock'n'Roll Titel "Switchboard Susan" und "Pilot", beide aus der Feder von Mickey Jupp (ehemals Legend). Die ausgesuchte Studio-Crew, die Gary Brooker für diese Aufnahmen rekrutierte, konnte sich ebenfalls sehen lassen. So spielten auf "No More Fear Of Flying" der Fairport Convention Schlagzeuger Dave Mattacks und der ehemalige Sutherland Brothers & Quiver Gitarrist Tim Renwick mit. Ausserdem war mit Bassist Bruce Lynch jener Bassist mit dabei, der auch auf dem Original von "Say It Ain't So" von Murray Head mitgespielt hatte. Lynch war ausserdem eine zeitlang der Bassist in Cat Stevens' Band. Obwohl vor allem das Titelstück einen respektablen Erfolg feiern konnte, war Gary Brooker mit den Verkaufszahlen insgesamt nicht zufrieden. Er und wohl auch die Musikkritiker, hatten da wesentlich mehr nachhaltige Erfolge erwartet. Dass dies an den Songs hätte gelegen haben können, dürfte nicht zur Diskussion stehen. Es fand sich auf dem Album kein einziger mittelmässiger oder gar schlechter Song. Im Gegenteil: einige der Stücke, die Gray Brooker für dieses Debutalbum schrieb, gehörten zum besten, was der Songschreiber in seiner gesamten Karriere komponiert und getextet hatte, so etwa die brillianten Titel "Give Me Something To Remember You By" oder das countryeske "Angelina" samt herrrlich wimmernder Steel Gitarre, gespielt vom bekannten Gastmusiker B.J. Cole, welche er beide zusammen mit Pete Sinfield geschrieben hatte.
Das überaus witzige Frontcover-Artwork stammte vom renommierten Designerteam Hipgnosis und verlieh dem Werk auch in punkto Optik noch einen tollen künsterlischen Akzent. Aufgrund der eher enttäuschenden Verkaufszahlen konzentrierte sich Gary Brooker in der Folge auf die kreative Zusammenarbeit mit anderen Künstlern. So sang er etwa auf dem Album "Stereotomy" des Alan Parsons Project den Song "Limelight", oder besorgte den Leadgesang beim Stück "No News From The Western Frontier", einer Singleauskopplung des Albums "Hi-Tec Heroes" des holländischen Singer/Songwriters Ad Visser. Eine neue Inkarnation von Procol Harum, die Gary Brooker danach aufstellte, tourte erneut durch die ganze Welt, lieferte auch wieder neue Platten und diese reformierte Ausgabe von Procol Harum konnte im Jahre 2007 ihr 40-jähriges Bestehen feiern. Daneben gastierte Gary Brooker auch in der Band des Ex-Beatles Schlagzeugers Ringo Starr (Ringo Starr's All-Starr Band), ausserdem war er jahrelang Mitglied in Bill Wyman's Rhythm Kings, der Band des ehemaligen Rolling Stones-Bassisten. 1996 wirkte Gary Brooker in der von Alan Parker inszenierten Filmversion von Andrew Lloyd Webbers' Evita mit, bei welcher auch Madonna, Jonathan Pryce und Antonio Banderas mitspielten. In dem Film spielte Brooker die Rolle des Juan Atilio Bramuglia, er sang den Song "Rainbow Tour" mit Peter Polycarpou und Antonio Banderas. Am 29. November 2002 wirkte Brooker beim George Harrison Tribute Concert, dem sogenannten "Concert for George" mit, bei welchem er George Harrison's Beatles-Komposition "Old Brown Shoe" sang. Brooker spielte schon zu Lebzeiten von George Harrison auf dessen Soloalben "All Things Must Pass", "Gone Troppo" und "Somewhere In England" mit.
Gary Brooker's "No More Fear Of Flying" ist bis heute sein bestes Solowerk geblieben. Der Künstler, den die Musikwelt für immer als Interpret des unsterblichen "A Whiter Shade Of Pale" in Erinnerung behalten wird, schuf damit ein brilliantes und wie man heute nachhören kann, absolut zeitloses Stück Musik, das den Zahn der Zeit ohne jegliche Abnutzung überdauert hat. Die Platte lohnt sich auch heute noch zu entdecken.
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