Dec 17, 2016

THE WALKABOUTS - Travels In The Dustland 
(Glitterhouse Records GRLP 731, 2011)

Im Jahre 2011 kehrte eine echte Institution zurück. Eine neue Band war am Start. Wer erst in den paar Jahren zuvor angefangen hatte, sich bewusst mit Rockmusik zu beschäftigen, für den mögen The Walkabouts grandiose Newcomer gewesen sein, deren Radius grosse Teile der amerikanischen Rocktradition abdeckte. Wessen Gedächtnis jedoch weiter zurückreichte, der kannte die Walkabouts als Band, die in den 80er Jahren das alternative Folkrock Revival einleitete und seit ihrem ersten Album mit jedem weiteren Werk, das sie veröffentlichte, Akzente setzte, die sich azyklisch zu den jeweils angesagten Trends verhielten. Die Walkabouts hatten von Anbeginn eine klare Signatur, die von Chris Eckman's Songwriting sowie den Stimmen von Eckman und der zweiten Sängerin Carla Torgerson gekennzeichnet waren. Ihren Songs war stets eine aufpeitschende Melancholie eigen, die sich selbst dann nach vorn gerichtet präsentierte, wenn sie sich ganz tief in der Tradition vergraben hatte.

Ihr zuletzt veröffentlichtes Album "Acetylene" lag bereits sechs Jahre zurück und sah die Band in härtere Rockbereiche aufbrechen. Danach herrschte eine zeitlang verdächtige Ruhe und viele Fans fragten sich, ob "Acetylene" vielleicht bereits der Schlussakkord gewesen sein könnte. Doch schliesslich stellte sich heraus, dass diese Pause nur eine lange Zäsur war. Das Album "Travels In Dustland" war gleichermassen Fortsetzung und Neubeginn einer einmaligen Bandgeschichte. Schon vor dem Werk "Acetylene" war den Mitgliedern der Band klar geworden, dass es in der Zukunft nicht mehr darum gehen würde, in vorhersehbaren Abständen Platten zu produzieren, nur damit der Katalog kontinuierlich wachsen kann. Man müsse etwas zu sagen haben, das die Arbeit an einem Album lohnt, lautete die einhellige Devise der Walkabouts. "Acetylene" war ein Meilenstein in der Discographie der Band aus Seattle, die einst gemeinsam mit vielen späteren Grunge-Heroen aufgebrochen war, sich vom Hype aber niemals hatte davonschwämmen lassen. Die Walkabouts blieben sich treu, wollten aber keinesfalls in Nostalgie erstarren. Chris Eckman wollte bewusst warten, bis er neben sporadischen Songs und Themen auch die Grundidee finden würde, die eine ganze Platte rechtfertigen würde. Die Band nahm das gelassen, denn alle Mitglieder hatten inzwischen Familie und verfolgten benebei noch andere Projekte. Eckman selbst war nicht zuletzt mit seinen beiden anderen Bands Dirtmusic und Long zugange.

Der konkreten Arbeit an neuem Songmaterial ging ein langer kollektiver Selbstfindungsprozess voraus, bis es schliesslich klick machte und die Silhouetten des Albums wie eine Gebirgskette vor den Musikern stand, die es nur noch gemeinsam zu bezwingen galt. Danach war mit "Travels In Dustland" ein weiterer Monolith in der Geschichte der Walkabouts fertig. Man musste sich nicht in den Annalen der Band auskennen, um von den Songs und dem Sound sofort gepackt und an einen bestimmten Ort in der eigenen Imagination versetzt zu werden. Und wer dennoch sicher im Gesamtwerk der Gruppe zu navigieren wusste, der würde sich vom ersten Ton und den ersten Silben aus Carla Torgerson's Kehle an zuhause gewesen sein fühlen. "Travels In Dustland" war insgesamt ruhiger und getragener, um nicht zu sagen epischer als die Vorgänger-Platte. Ein gewisses Gewicht lag auf fliessenden Grooves. Die Songs barsten aber auch vor liebevoll platzierten Details, Verweisen und unaufdringlichen Klangexperimenten. 

Ausser Eckman und Torgerson bestanden die Walkabouts aus alten Bekannten wie dem Bassisten Michael Wells, dem Keyboarder Glenn Slater und der Schlagzeugerin Terri Moeller. Neu war, dass die Band mit Paul Austin, der bei Willard Grant Conspiracy und mit Terri Moeller zusammen in der Band Transmissionary Six Gitarre spielte, zum Sextett aufgestockt wurde. Damit sollte der Sound der Gruppe nicht etwa opulenter werden. Im Gegenteil, da schien viel mehr Space vorhanden zu sein. Chris Eckman meinte hierzu: "Es war uns wichtig, einen Schritt zu gehen, der es uns noch schwerer machte, uns zu wiederholen. Wir brauchten neue Inspiration, einen unverstellten Blick auf uns selbst. Das wirkte sich auf uns alle aus. Ich habe andere Gitarren und am Ende sicher auch viel weniger Gitarre gespielt, weil da eben noch ein weiterer Gitarrist war. Paul brachte auch viele Ideen für die Arrangements mit. Er fragte oft, ob wir uns eine Idee auch anders vorstellen könnten. Genau deshalb wollte ich ihn haben. Ich wollte nicht mit den anderen Mitgliedern ins Studio gehen und business as usual machen. Es ist wichtig, hin und wieder mal in eine unbequeme Situation zu geraten, um ein paar neue Dinge auszuprobieren".

So klang "Travels In Dustland" gleichermassen vertraut und trotzdem auch neu. Die Songs fühlten sich eindeutig nach den Walkabouts an, doch unter der Oberfläche passierten viele Dinge, die man so von der Band zuvor nicht zu hören bekam. Eckman, der inzwischen in Slowenien lebte, verlieh der Musik unterschwellig etwas von seinem osteuropäischen Charme, die anderen Bandmitglieder brachten jeweils ihre eigenen Erfahrungen mit. Eckman war zwar der Architekt des neuen Bauwerks, doch Inneneinrichtung, Treppenhaus, Fassade, Dachbegrünung und Vorgarten wurden von der kompletten Band gemeinsam entworfen und angelegt. Die Walkabouts verstanden es ganz besonders auf diesem wundervollen Werk auf einzigartige Weise Sehnsucht auszudrücken, ohne dabei sentimental zu werden. Nicht nur mit ihren Texten, sondern auch mit den Melodien, Grooves, Arrangements und Sounds, ja selbst mit der Reihenfolge der Songs auf dem Album erwiesen sie sich als perfekte und grosse Stimmung aufbauende Geschichtenerzähler. Der Aspekt des Storytellings kam auf dieser Platte noch stärker zum Ausdruck als auf früheren Veröffentlichungen. Die Walkabouts waren letztlich immer eine Band in Bewegung, wie es der Bandname ja schon versprach.

Doch wo lag denn nun dieses Dustland, in das die Reise hier ging ? "Das ist ein symbolischer Ort, der aber viele Charakteristika von realen Orten hat", klärte Eckman auf. "Er befindet sich irgendwo im westlichen Landesinneren, wo die Menschen schon immer ein hartes Leben hatten, die Umstände es ihnen aber heute nicht wirklich leichter machen. Einige Regionen dort haben sich in den letzten 100 Jahren nicht stark verändert. Ich wollte Dustland aber keinem konkreten Ort zuordnen, sondern eine Art Porträt eines fast realen Ortes skizzieren, es also wie William Faulkner halten, der ja auch in seinen Romanen das fiktive Yoknapatawpha County irgendwo in Mississippi erfunden hat, in dem all seine Geschichten spielen". "Travels In Dustland" war indes dennoch kein Konzeptalbum, denn die Geschichten, die hier erzählt wurden, waren nicht verknüpft, es verband sie aber der gemeinsame Schauplatz Dustland. Eckman bezeichnete es eher als Songzyklus, welcher der Band eine Vielzahl von neuen Möglichkeiten erschloss. Und die Reise ging weiter. Die Walkabouts fassten schon kurz nach der Veröffentlichung dieser Platte weitere Pläne für die nähere und fernere Zukunft. Sie schauten wie eh und je unbeirrt nach vorn, behielten aber auch den Rückspiegel im Blick. Eine Band, die nach mehr als einem Dutzend Alben ihren neuen Mittelpunkt beschrieb und es auch danach konsequent vermied, den einfachen Weg zu gehen, um sich selbst immer neues Terrain zu erschliessen.




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