CALIGULA'S HORSE - In Contact (Inside Out Music 89854 61982 4, 2017)
Was die genauere stilistische Verortung dieses Albums angeht: Bands entwickeln gelegentlich einen eigenen Stil, den sie fortan pflegen und vielleicht verfeinern oder perfektionieren, aber nur selten mal umschmeissen. Entsprechend sollte es auch nicht überraschen, dass Caligula's Horse auch 2017 weiter auf ihre Stärken, respektive ihr Markenzeichen setzen, ergo auf den ausdrucksstarken Gesang von Jim Grey, das virtuos-sehnsüchtige Gitarrenspiel von Sam Vallen und die versierte Rhythmik von Bassist und Schlagzeuger. Auch kompositorisch loten die Australier weiterhin in diesem recht eigenständigen, stets etwas melancholischen Idiom das Fahrwasser zwischen Progmetal und Alternative Rock aus, weshalb es auch nicht verwundern sollte, dass bereits der Opener "Dream The Dead" an der 10 Minuten-Marke kratzt und kürzere, wenn auch nicht zwingend eingängigere Songs erst in dessen Windschatten untergebracht sind. Fangen wir aber erst mal mit den längeren Stücken an: "Dream The Dead" legt erst mit einer Riffwand und diesen charakteristischen Melodien auf der Gitarre los, ehe es mit einsetzendem Gesang zu weiterhin bewegtem Rhythmus ruhiger wird, sich sogleich aber in der Strophe wieder steigert, sodass der wie immer sehr verschachtelte Refrain an die Intensität des Intros anknüpft. Indes stellt sich heraus, dass die zweite Strophe trotz ähnlicher Begleitung ganz anders gesungen wird als die erste, und der folgende Refrain variiert sein Material ebenfalls, nicht ohne zwischendurch noch mal auf die vorangegangene Strophe zurückzugreifen. Eine anschliessende Ruhepause bereitet dann einen Instrumentalpart vor, der ein paar Phrasen aus den Strophen aufnimmt, und am Ende gibt es noch mal Gesang in Form einer Art Reprise der Strophen und ihrer intensivsten Momente.
"Songs For No One", ebenfalls relativ lang, stellt in gewisser Hinsicht einen Gegenpol dar: Es gibt zwar ebenfalls einen kräftigen Einstieg mit Widerhaken-Riffing, jedoch von Anfang an dominanten Gesang. Dafür nimmt die Intensität während der Strophen hingegen ab, und die auf auf die erste Strophe entsprechend plötzlich folgende Mainstream-Melodie zu rockiger Begleitung erweist sich mitnichten als Refrain, sondern eher als eine Art Bridge. Denn am Ende des Songs, der seine Länge zum Teil auch einem stimmigen ruhigeren, nachdenklichen Part im dritten Viertel verdankt, wird man feststellen, dass "Songs For No One" tatsächlich mit seinem eigentlichen Refrain begann. Hier wird das Pferd verblüffenderweise von hinten aufgezäumt, was man durch die beschriebene Bridge aber sehr schön maskieren konnte und einen verblüffenden Effekt hat.
"Fill My Heart" reicht ebenfalls an die sieben Minuten heran, erweist sich allerdings als durchaus kontroverses Experiment: Loop-Begleitungen und Arpeggio-Gitarren suggerieren eine sich langsam steigernde Halbballade, die in der Tat in ihren Refrains kleinere Spitzen erreicht, zögert diese Punkte aber lange hinaus, sodass das Stück nicht so gut ins Ohr geht wie die umgebenden Songs. Schliesslich noch "Graves": Auf den ersten Blick scheinen sich hier verschiedene Parts abwechselnder Intensität aneinander zu reihen. Genaueres Hinhören ergibt dagegen, dass ein charakteristischer Rhythmus, der bereits im Intro vorgestellt wurde und Motive jeweils um einen Taktschlag verkürzt, sämtliche Passagen eint. Mit einer solchen Art der Verschwägerung erweist sich "Graves" damit wider Erwarten durch die Hintertür doch als konziser Longtrack, der überdies durch spannungsreiche Momente wie den Kontrast von technisch-trockenem Riffing mit einem Saxophonsolo überzeugen kann.
Und die kürzeren Stücke ? Da ist es ebenfalls spannend. Gemässigt ausgefallen ist "The Hands Are The Hardest", das mit übersichtlich arrangiertem Hauptriff und halbballadesker Strophe samt poprockiger Klavier- und Keyboardbegleitungen sowas wie die Hitsingle dieses Albums darstellen könnte - zugleich aber mit hakenschlagender Rhythmik und nicht weiter verfolgten Anflügen von Härte genüsslich irritiert. Hingegen stellt "Will's Song" ein Feuerwerk aus filigranen Einfällen und schwindelerregender Rhythmik dar, in dem der Gesang mal verbindet, mal mit ultrakomplexen mehrstimmigen Arrangements verzückt, dass es in dieser Kürze glatt verschwenderisch wirkt. Ein virtuoser Knaller. Andere Töne schlagen das erst Trip Hop ähnliche, dann balladeske Zwischenstück "Love Conquers All" wiederum mit Loops und das mit akustischen Gitarren dargebotene, trotzdem überarrschend intensive "Capulet" an. Den letzten Punkt schliesslich macht das von einer dramatischen Rezitation mit dem Titel "Inertia And The Weapon Of The Wall" vorbereitete "The Cannon's Mouth", das mit diesem Riffing und aus der Ruhe heraus aufgebauten Strophen Trademarks pflegt, zugleich aber den Refrain dreieinhalb Minuten lang hinauszögert, eher offen endet und mit dieser Spannung ebenfalls im Gedächtnis bleibt.
Im Gesamtergebnis ist damit auch "In Contact" eine aussergewöhnliche Platte geworden, die eingedenk der Mutmassungen aus dem ersten Absatz sowohl professionelle Routine als auch das Bewusstsein um den eigenen Stil demonstriert. Der eigentliche Clou ist unter diesem Aspekt, dass man diese Komponenten nun kombiniert und damit Irrwitz wie eben "Will's Song" oder "The Cannon's Mouth" fabriziert - oder eben überlegt zusammengesetzte Puzzles wie "Graves" oder "Songs For No One". Angesichts dieser Kracher verblassen natürlich Stücke wie "The Hands Are The Hardest" oder "Capulet" ein wenig, umgekehrt kann man diese Stücke aber wohl einmal mehr zu Auflockerungen umdeuten. Das Niveau von "Bloom" hätten Caligula's Horse damit weitestgehend gehalten und ihren Status damit behauptet. So darf es also, und damit wären wir wiederum bei der Einleitung, gerne weitergehen: "In Contact" als zweites Werk dieser aussergewöhnlichen Band lässt nach mehr hoffen. Für mich eine der grössten Ueberraschungen von 2017.
No comments:
Post a Comment