Oct 18, 2017


JAN GARBAREK - In Praise Of Dreams (ECM Records ECM 1880, 2004)

Der norwegische Saxophonist, Flötist und Keyboarder Jan Garbarek zählt zu den wichtigen zeitgenössischen Jazzmusikern in Europa und gilt mit seinem klaren, asketischen Saxophonton als herausragender Vertreter der skandinavischen Jazz-Szene. Garbarek, der Sohn des ehemaligen polnischen Kriegsgefangenen Czesław Garbarek und der norwegischen Bauerntochter Kari Nilsdotter, war bis zum Alter von sieben Jahren staatenlos. Er wuchs in Oslo auf. Als Musiker war Garbarek Autodidakt. Saxophon lernte er unter dem Einfluss von John Coltrane, den er 1961 im Radio hörte. 1962 gewann er einen Amateurwettbewerb. Bald darauf hatte er eine eigene Band mit Terje Rypdal, Arild Andersen und Jon Christensen.

Als prägende Einflüsse erwähnte Garbarek auch die Begegnung mit George Russell, der beim Molde Jazzfestival Mitte der 60er Jahre spontan auf der Bühne bei Garbarek's Auftritt einsprang, und den Einfluss des Ende der 60er Jahre in Schweden lebenden Don Cherry. Auf Bitten des frühen Weltmusikers Cherry suchte er auch Kontakt zur skandinavischen" Folklore. Mit Russell spielte er auf dessen Bigband-Alben "The Essence Of George Russell (1966), "Othello Ballet Suite" (1967) und "Electronic Sonata For Souls Loved By Nature" (1968). Russell nannte ihn die originärste europäische Stimme seit Django Reinhardt. 1968 war er der norwegische Vertreter auf dem Festival der European Broadcasting Union, wo er unter anderem "Naima" von John Coltrane spielte. Im selben Jahr erhielt er den Buddyprisen. Er machte auch Aufnahmen mit Karin Krog, Georg Riedel und Egil Kapstad.

Sein erstes Album unter eigenem Namen, "Til Vigdis" nahm er 1967 auf.. Ab 1970 tourte er auch in Mitteleuropa. Den künstlerischen Durchbruch erzielte er spätestens mit dem Album "Witchi-Tai-To", erschienen im Jahre 1974 auf dem Jazzzlabel ECM Records, dessen Titelstück von Jim Pepper stammte und über Don Cherry in sein Repertoire kam, sowie Carla Bley's "A.I.R." und Don Cherry's "Desireless". Von 1974 bis 1979 trat Jan Garbarek auch zusammen mit dem Pianisten Keith Jarrett, dem Bassisten Palle Danielsson und dem Schlagzeuger Jon Christensen als Jarrett's European Quartet auf. Auch vertonte er mit den anderen Musikern seines skandinavischen Quartetts Texte von Jan Erik Vold: "HAV" im Jahre 1971 und "Ingentings Bjeller" 1977 und spielte mit weiteren Musikern des ECM-Labels wie Bill Connors, Ralph Towner (Album "Solstice" 1974), Kenny Wheeler oder David Darling zusammen.


Später trat Garbarek zunehmend als Musiker in Projekten mit weltmusikalischem Hintergrund in Erscheinung, aber auch als Jan Garbarek Group mit Rainer Brüninghaus und Eberhard Weber, sowie Manu Katché / Trilok Gurtu / Naná Vasconcelos / Marilyn Mazur. 1982 erhielt er den norwegischen Gammleng-Preis in der Rubrik Jazz. 1986 spielte Jan Garbarek das tragende musikalische Thema in der Filmmusik von Eleni Karaindrou zu dem Film 'Der Bienenzüchter' (O Melissokomos) von Theo Angelopoulos. Garbarek komponierte und spielte die Musik zu den Eröffnungs- und Abschlussfeierlichkeiten der Olympischen Winterspiele von Lillehammer, Norwegen, die im Februar 1994 stattfanden. Die musikalischen Themen wurden teilweise aus der CD "I Took Up The Runes" (1990) aufgegriffen, insbesondere das "Molde Canticle", auch interpretiert von Sissel. 1994 veröffentlichte Garbarek das viel beachtete Bestseller-Album "Officium". Auf der Aufnahme begleitete er mit seinem Saxophon als fünfte Stimme das Hilliard Ensemble bei Werken von der Gregorianik bis zur Renaissance.

2004 dann kam ein weiteres wudnervolles Album in Form des Werks "In Praise Of Dreams", das einerseits traumhaft, aber auch hellwach wirkte. Es war ebenso zukunftweisend wie traditionsreich. Überraschend anders und gerade deshalb konsequent. Vermeintliche Gegensätze, denen Jan Garbarek auf diesem Album jeglichen Dualismus nahm. Der norwegische Saxophonist, der inzwischen zu einem der bekanntesten europäischen Musiker geworden war, war auch in seinem Talent für fortwährende Veränderung unübertroffen. Instinktiv und konzentriert führte die kreative Evolution Garbarek's vom eigenen Jazzquartett Anfang der 60er Jahre in Oslo und ersten Auftritten mit George Russell zu seinen eigenen Ensembles und zu Arbeiten an der Seite von Keith Jarrett, Charlie Haden oder dem Hilliard Ensemble. "In Praise Of Dreams", das er im Trio mit der Bratschistin Kim Kashkashian und dem Schlagzeuger Manu Katché aufgenommen hatte, war nicht nur vor dem Hintergrund dieser einzigartigen Karriere ebenso typisch wie erstaunlich: ein neuer Weg, der so überzeugend wie bezeichnend war. Ein gänzlich anderes, dabei absolut organisches Werk. Ein neuer Klang, der zugleich vertraut wirkte. Ein Trio, das sich im harmonischen Zusammenspiel, in jeder kontrastierenden Klangfarbe einzigartig ergänzet und dabei so selbstverständlich wie vollkommen wirkte.

"As Seen From Above" eröffnete das Album, dem Titel entsprechend, mit schwebender Eleganz. Nach einer knappen Minute setzte zuerst ein Beatloop, später das federnde Schlagwerkzeug Manu Katchés ein, schliesslich verdüsterten sich die anfangs so hellen Harmonien. Immer treibender spielten sich Katché und Garbarek zu, bis sie im Raum verklangen. Szenenwechsel. "In Praise Of Dreams" vermengte die eben eingeführte elektronische Perkussion mit Garbarek's elegischen Linien und dem sanft singenden Bratschenspiel von Kim Kashkashian zu einem modernen Folk-Song. Ein Call and Response-Kanon, bei dem erst Garbarek die tiefen und Kashkashian die höheren Lagen auslotete, dann umgekehrt, bis sie sich auf einer Ebene fanden und immer wieder im Dialog umkreisten.


Auch "One Goes There Alone" zeigte Bratsche und Saxophon im elegischen Wechselspiel von Frage und Antwort, untermalt von Garbarek's Synthesizerakkorden und vom subtilen Rhythmusgeflecht Manu Katchés. "Knot Of Place And Time" entführte die drei Klangkünstler noch weiter in die Tiefen ihrer gegenseitigen Rede und Gegenrede. Dem Garbarek-Solo "If You Go Far Enough", einem nur 39 Sekunden langen Interludium, fügte sich "Scene From Afar" an, wo die sonore Melodieführung der Bratsche von Rufen des Sopranos beantwortet wurde, die sich über das gesamte Klangspektrum des Instruments bewegten. Noch spannender, aber auch einen Deut dunkler klang "Cloud Of Unknowing", dessen treibender ostinater Rhythmus im nächsten Track "Without Visible Sign" von einer Atmosphäre des Mysteriösen abgelöst wurde. Auch "Iceburn" behielt das Rätselhafte, verhangen Poetische bei, aus dem sich die Stimmen herauskristallisierten. Suggestiv und melodiös, fast schon schwärmerisch verlief die "Conversation With A Stone", bei der Katché erneut das Fundament legte, auf dem der Bläser und die Streicherin zum leidenschaftlichen Dialog fanden. Die Geschichte dieses Albums endete mit "A Tale Begun", bei dem Garbarek das Akkordmotiv von "In Praise Of Dreams" aufgriff und in traumhafte Sphären geleitete.

"Ich habe gerne starke Musiker um mich, Musiker mit kontrastierenden Temperamenten, aber komplementären Persönlichkeiten. Wenn ich eine Gruppe zusammenstelle, suche ich nicht nach drei Versionen meiner selbst. Wir sind alle sehr unterschiedlich". Dieser Grundsatz Jan Garbarek's war noch immer so bezeichnend wie damals, als er ihn anlässlich seines Albums "Twelve Moons" formulierte. Schon der erste akustische Eindruck seiner Zusammenarbeit mit der klassischen Bratschistin Kim Kashkashian und dem Pop-Schlagzeuger Manu Katché zeigte, dass hier drei ausserordentliche musikalische Charaktere am Werk waren. Dabei wurden keineswegs Gigantenkämpfe ausgetragen. Hier trafen sich vielmehr drei stilbildende Musiker jenseits kategorischer Einschränkungen, um in der gemeinsamen Arbeit aufzugehen. Bezeichnenderweise "in praise of dreams".

Als wichtiger Einfluss für das Spiel Garbarek's galt, neben den klassischen amerikanischen Jazzgrössen, vor allem die traditionelle norwegische Folklore und die Orientierung am Gesang, die Garbarek's Spiel einen völlig eigenen, unverwechselbaren Sound verlieh und immer noch verleiht. "Die Utopie des unendlichen Atems und des natürlichen Wohlklangs treibt Garbareks Musik an" meinte Ulrich Greiner. Seine Musik sieht Garbarek selbst jedoch nur noch entfernt dem Jazz verwandt. Fast alle Alben Garbarek's erscheinen bei dem deutschen Label ECM – auch seine Beteiligung an Alben anderer Künstler beschränkt sich nahezu vollständig auf das Label. Er ist seit 1970 bei ECM und heute einer der Stars des Labels. Sein Einfluss wirkte auf die ganze skandinavische Jazz-Musikszene prägend. Aufgrund seiner norwegisch-deutschen Beziehung und europäischen Bedeutung im Jazz wurde er im Oktober 2014 mit dem Willy Brandt-Preis ausgezeichnet. Seit 1968 ist Garbarek mit der Autorin Vigdis Garbarek verheiratet und hat seit 1970 eine Tochter, Anja, die ebenfalls Musikerin ist. Jan Garbarek spielt vorwiegend Sopransaxophon, aber auch Tenor- und Bass-Saxophon.

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