NEW YORK DOLLS - Too Much Too Soon (Mercury Records SRM-1-1001, 1974)
Ihr Name trug New York und Puppen im Titel, stand aber genauso für dreckigen Rock'n'Roll im Popsong-Format, androgyne Anarchie, Revoluzzertum in Strumpfhosen, Bühnenekstase in High Heels, exzessive Groupiegelage und Drogenexzesse mit Todesfolge. Der ebenso einflussreichen wie legendären Glamrock-Band New York Dolls, obwohl zeitweise in der Obhut des späteren Sex Pistols-Provokateurs Malcom McLaren, waren zwar nur gute drei Jahre im Rampenlicht beschieden, sie sicherte sich aber einige Zeit nach ihrer Auflösung einen unübersehbaren Platz auf dem Rock Olymp, alleine schon des Einflusses wegen, den die Band auf die Jahre später stattfindende Punk-Bewegung ausübte. Die New York Dolls waren die Typen an der Spitze und ganz kurz vor dem Ziel, doch dann fielen sie hin und brachen sich die Beine, konstatierte ihr Sänger David Johansen 30 Jahre später. Das grosse Geld machten später andere Bands, die sich die musikalische Rezeptur der New Yorker Puppen einverleibten: Kiss, Aerosmith, Blondie, die Talking Heads, The Clash und natürlich die The Sex Pistols. Die New York Dolls verkauften letztlich keine Platten, sondern Einfluss, was leider nmur wenig Kohle einbrachte, resümierte David Johansen später seine Erinnerungen. Heute gilt ihr Debütalbum "New York Dolls" mit dem berühmten, in rosa Lippenstift-Farbe verewigten Schriftzug samt den darauf befindlichen Szenehits "Personality Crisis", "Jet Boy" und "Subway Train" ebenso als Klassiker wie "Fun House" von den Stooges oder "Kick Out The Jams" von MC5. Die New York Dolls, das war Halloween, 365 Tage im Jahr, hob Gitarrist Syl Sylvain, der im Februar 1972 Rick Rivets an der Gitarre ablöste, treffend den Spassfaktor seiner Truppe heraus.
Dass es die Band dennoch über den Status einer Fussnote des Glamrock hinaus schaffte, verdankte sie nicht ihren durchweg extravaganten Bühnenoutfits, sondern den Songs, die in ihren besten Momenten dem Bösewicht Rock'n'Roll den Dolch mit einer Wucht ins Herz rammten, dass dem Publikum der Atem stockte. Während die Stooges dem Drang zum ausufernden Krawall meist erlagen, platzierten die New York Dolls ihre Heavy Metal-Riffs in knackige 3 Minuten Songs, die dabei aber keinerlei Berührungsängste mit harmonischen 60s Girl Pop-Anleihen zeitigten, was wiederum die Ramones nachhaltig beeindruckt haben dürfte. Die Gruppe traf sich im Jahre 1971 auf Initiative von Arthur Kane und Rick Rivets, nachdem alle Mitglieder bereits zuvor in anderen Bands aktiv waren. Die Gitarren bedienten Rivets und Johnny Thunders, Kane spielte Bass, Billy Murcia sass am Schlagzeug und David Johansen war Sänger, Harp-Spieler, Fixpunkt und Frauenschwarm in einer Person, was dank seiner an Mick Jagger erinnernden Mimik kein allzu grosses Problem darstellte. Doch erst als Sylvain für Rivets einstieg, fanden die New York Dolls ihren Konzert-Rhythmus in Lower Manhattan. Ihr CBGB's war das Mercer Arts Center, ein Teil des Broadway Central Hotelgebäudes mit mehreren Räumen zur Abendgestaltung und einer gemeinsamen Bar, an der sich alle Besucher trafen. Auch Freakclubs wie Max's Kansas City, durch Velvet Underground zu Ruhm gelangt, rissen sich bald um die neuen Paradiesvögel.
Es dauerte nicht lange, bis das Publikum die Kunde der energetischen Liveshows aus dem Mercer Arts Center in die Strassen des Big Apple hinaustrug. Und auch die Kunde ihrer Outfits: So betrat Sänger Johansen gerne als Greta Garbo verkleidet die Bühne, hing sich aber auch mal dicke Kreuzketten um wie der Dunkelfürst in spe, Ozzy Osbourne. Solcherlei bewusst gesetzte Tabubrüche sorgten für anbetungswürdige Faszination jenseits der Bühne. Parallel dazu wurden erste Vergleiche mit den Rolling Stones und den Yardbirds laut. Ähnlich den genannten 60er Rockheroen integrierten auch die New York Dolls ein paar Coverversionen in ihr Live-Repertoire, etwa von Chuck Berry oder Muddy Waters' "(I'm Your) Hoochie Koochie Man", die aber nur das Sahnehäubchen auf dem Dolls-Kompositionskuchen darstellten. Dass die Plattenfirmen dieses gewinnversprechende Phänomen lieber aus sicherer Distanz betrachteten, war der komplett anarchischen Gesamtausstrahlung der Truppe geschuldet. Dennoch gelang es den Dolls, nur knapp fünf Monate nach Bandgründung in einem New Yorker Studio erste Demos aufzunehmen, die später unter dem Titel "The Mercer Street Sessions" in Umlauf gerieten. Mit dabei bereits die späteren LP-Songs "Frankenstein", "Jet Boy" und natürlich "Personality Crisis".
Kurz darauf brach die Band zu einer England-Tournee mit Rod Stewart auf, von der jedoch nicht alle Mitglieder heimkehrten: der gerade erst 21-jährige Schlagzeuger Billy Murcia starb im November 1972 in London, als er nach Alkohol- und Drogengenuss in der Badewanne ertrank. Als Ersatz kam Jerry Nolan in die Band und nun sollte der Trubel erst richtig losgehen. Dolls-Liveshows besassen zu dieser Zeit längst den Status von Freak Out-Happenings: Ihre männlichen Fans erschienen in metro- bis transsexueller Garderobe und die Heerscharen weiblicher Verehrer schnitten sich ihre Röcke von Woche zu Woche kürzer. Die Plattenfirma Mercury Records zeigte sich schliesslich interessiert am New Yorker Puppenrock und bot der Band einen Vertrag an. Heraus kam das epochale Debüt "New York Dolls", das von Todd Rundgren, der auf Dolls-Konzerten gerne mal komplett in pink (plus Schminke!) einlief, produziert wurde. Doch als das Album im Sommer 1973 in die Läden kam, blieb es trotz überwiegend positiver Beurteilung der Musikkritik ein Ladenhüter. Mehr als Platz 116 der US-Charts schaffte die Platte nicht. Das Folgealbum "Too Much Too Soon" ereilte im Sommer 1974 ein ähnliches Schicksal, mit Platz 167 schnitt es sogar noch ganze 50 Plätze schlechter ab.
"Too Much Too Soon" war die Platte, mit welcher die Dolls erst richtig zufrieden war, denn das Debutalbum klang ihrer Meinung nach nicht gut und professionell genug. Der versierte Produzent Shadow Morton gab "Too Much Too Soon" eine druckvollere und gleichzeitig geschmeidigere Note. Morton hatte eigentlich keine Lust mehr, für grosse Plattenfirmen zu arbeiten, weil er seinen persönlichen Stil nicht wie gewünscht in seine Produktionen einbringen konnte, weshalb er es eigentlich vorzog, eher im Independent Bereich weiterzuarbeiten, doch der Sound der Dolls überzeugte ihn mühelos. Auch die schiere Energie, mit welcher die Musiker ans Werk gingen, beeindruckte Morton, weshalb er die Herausforderung gerne annahm. Das Album wurde schliesslich in den A&R Studios in New York City aufgenommen. Anstatt nur neue Songs aufzunehmen, holten die Dolls ältere Stücke hervor und arrangierten diese neu, insbesondere Songs, die sie zuvor lediglich als Demos eingespielt hatten. Der Leadgitarrist Johnny Thunders schrieb das Stück "Chatterbox", seine erste Aufnahme, auf welcher er den Leadgesang übernahm.
"Too Much Too Soon" erhielt weltweit positive Kritiken, verkaufte sich allerdings entgegen den guten Kritiken eher mittelprächtig. Nach einer problembehafteten Tournee durch die Staaten, welche für negative Schlagzeilen sorgte, kündigte Mercury Racords den Plattenvertrag und die Dolls gingen nach einigen weitgehend erfolglosen Versuchen, weiterhin zu reüssieren, auseinander. "Too Much Too Soon" klang wesentlich erdiger, rockiger und griffiger als das Debutalbum. Trotzdem gelten beide Alben heute als Meilensteine des Glam Rock, die Gruppe selbst hat sich längst Kultstatus verschafft. Ausserdem gelten die New York Dolls inzwischen als einer der wichtigsten Vorreiter des späteren Punkrock. Produzent Shadow Morton war auch später nie um überschäumende Worte verlegen, wenn die Diskussion auf die New York Dolls kam: "The Dolls had energy, sort of a disciplined weirdness. I took them into the room as a challenge. I was bored with the music and the business. The Dolls can certainly snap you out of boredom". "Babylon", "Who Are the Mystery Girls ?", "It's Too Late" und "Human Being" waren Titel des Albums, welche die Band schon 1973 erstmals aufgenommen hatte, auf der LP aber bissiger und kraftvoller klangen.
Die Highlights der Platte aber waren die Coversongs "Stranded In The Jungle" , ein Hit der Cadets aus dem Jahre 1956, Archie Bell's 1969er Hit "There's Gonna Be A Showdown", sowie Sonny Boy Williamson's "Don't Start Me Talkin'". Obwohl Konzerte der New York Dolls nachwievor viele Zuschauer anlockten, wollte sich der Bühnenzauber nicht auf die Albumverkäufe niederschlagen. Mercury hatte bald genug und kündigte dem Quintett noch im selben Jahr. Nun trat Malcolm McLaren auf den Plan. Er kannte die Dolls, seit sie zwei Jahre zuvor in seinen Londoner Modeladen 'Sex' einmarschierten, um absurde Bühnenoutfits abzugreifen. McLaren bot der mittlerweile desillusionierten Band, die zudem ein handfestes Drogenproblem zu bewältigen hatte, seine Dienste als Manager an. Die Dolls sagten zu. McLaren setzte auf die Kraft der Provokation, steckte die Band in rote Lederkostüme und liess sie vor überdimensionalen russischen Flaggen auftreten. Im kommunistenfeindlichen Amerika der kommerzielle Todesstoss. Doch besonders die Drogenexzesse der Musiker Nolan und Thunders setzten der Bandchemie immer mehr zu. Im Sommer 1975 verliessen beide die Band und gründeten mit Richard Hell (später Television) The Heartbreakers, zu deren grössten Hits "Born To Lose" und "Chinese Rocks" zählten.
Johansen und Sylvain feuerten anschliessend zwar auch ihren Manager, doch das Ende der New York Dolls war nicht mehr aufzuhalten. Zwei Jahre spielten die beiden noch mit verschiedenen Musikern unter dem bekannten Banner, bevor die New York Dolls 1977 Geschichte waren. In den 80er Jahren sang David Johansen zeitweise unter dem Pseudonym Buster Poindexter und trat 1985 in einer Folge der TV-Serie Miami Vice als Sänger auf. Syl Sylvain begann eine ähnlich erfolglose Solokarriere wie Johansen. Von den New York Dolls sprach man erst wieder, als der Heartbreakers-Gitarrist Johnny Thunders am 23. April 1991 wie zuvor sein Ex-Kollege Billy Murcia an einer Überdosis Heroin starb. Der 40-jährige Jerry Nolan, der noch an einem Tribute-Konzert für Thunders teilnahm, starb Ende desselben Jahres an den Folgen eines Schlaganfalls. 2004 lag es ausgerechnet am britischen Romancier Morrissey, den inzwischen hochangesehenen, noch lebenden Ur-Punks einen neuen Karriereschub zu versetzen. Morrissey, der stets behauptete, in seiner Jugend Präsident des englischen New York Dolls-Fanclubs gewesen zu sein, lud Johansen, Sylvain und Kane auf das von ihm kuratierte Meltdown Festival in London ein, wo sie mit Hilfe des Libertines-Schlagzeugers Gary Powell, dem Gitarristen Steve Conte und dem Keyboarder Brian Koonin zwei engagierte Auftritte hinlegten. Izzy Stradlin hatte in letzter Minute abgesagt, die Dolls-Gitarre zu spielen. Die beiden Auftritte erschienen in einem Zusammenschnitt auf der DVD "Morrissey Presents: The Return Of The New York Dolls. Live At The Royal Festival Hall".
Den New York Dolls-Mythos fütterte die tragische Tatsache, dass Bassist Arthur Kane wenige Wochen nach der umjubelten Reunion im Alter von 55 Jahren an Leukämie starb. Dennoch nahm die Band ihre übrigen Live-Verpflichtungen in Japan, Europa und Amerika wahr. 2006 schliesslich hörte man, die Band plane tatsächlich ein neues Studioalbum bei Roadrunner Records, ihr erstes seit 1974. Für Kane stand nun Sami Yaffa (Hanoi Rocks) am Bass, am Schlagzeug sass Brian Delaney. Als Produzent heuerte Sänger Johansen wieder Jack Douglas an, der schon das Dolls-Debüt, aber auch alte Aerosmith- und John Lennon-Platten veredelt hatte. Ausserdem war eine schwergewichtige Starbesetzung im Anmarsch: Iggy Pop, Michael Stipe (R.E.M.) und Bo Diddley schauten im Dolls-Studio vorbei. Das Comeback-Werk namens "One Day It Will Please Us To Remember Even This" war jedoch, ähnlich dem Stooges-Versöhnungsalbum "The Weirdness" von 2007, nur eine Fussnote der Musikgeschichte beschieden.
No comments:
Post a Comment