Oct 7, 2017


ROBERT REED - Sanctuary (Tigermoth Records TMRCD0714, 2014)

Ein bisschen despektiertlich wäre es vielleicht, würde man schreiben, "Sanctuary" - und wie sich später noch herausstellen würde - die Fortsetzungen davon wären Alben, die Mike Oldfield in seiner Frühphase vergass zu erfinden. Und so stand es denn auch gross geschrieben, noch bevor der erste Kritiker sich dem Album seriös angenommen hatte: Ein Multi-Instrumentalist interpretiert Mike Oldfield und sein bahnbrechendes Meisterwerk "Tubular Bells" neu - solche Sachen waren zu lesen, als Robert Reed's Album "Sanctuary" angekündigt worden war. "Tubular Bells" bleibt wohl unbestritten nicht nur eines der bekanntesten Werke von Mike Oldfield und gleichzeitig ein stilprägendes Album des progressive Rocks der 70er Jahre, es dürfte auch mithin sein Bestes gewesen sein. Mike Oldfield spielte sein Debutwerk 1973 mit gerade mal 20 Jahren nahezu in Eigenregie ein und wurde nur von wenigen Gastmusikern dabei unterstützt. Er verband darauf geschickt Einflüsse des Rock mit Folk, Klassik, Blues und Elektronik zu einem bis dato nie gehörten Klangteppich. Da stellte sich nun natürlich die Frage nach dem Sinn einer Neuinterpretation.

Das Wichtigste dürfte wohl gewesen sein: Robert Reed war schon immer ein grosser Verhehrer von Mike Oldfield's Frühwerk, insbesondere dessen drei ersten Alben "Tubular Bells", "Hergest Ridge" und "Ommadawn". Bekannt war Robert Reed bis dahin vor allem von seiner Tätigkeit in der Progressive Rock Band Magenta, sowie von einem sogenannten Allstar-Projekt aus dem Jahre 2012, als Reed zusammen mit den Musikern Steve Hackett und John Mitchell das Werk "Beneath The Waves" veröffentlichte. Und dann veröffentlichte Reed die beiden Soloalben "Sanctuary" und "Sanctuary II", die den Sound von Mike Oldfield in der Zeit von "Tubular Bells" (1973) bis "Incantations" (1978) bis ins kleinste Detail reproduzierten. Erstaunlich war insbesondere die Tatsache, dass er hierfür kaum Kritikerstimmen laut werden liess, die ihm irgendwelche Plagiatsvorwürfe oder Verrisse seiner beiden Werke vorwarfen. Das genaue Gegenteil war der Fall: Nicht wenige Kommentatoren schwärmten von der Qualität seiner Musik und der Liebe zum Detail, mit welcher er dem Musiker Mike Oldfield seinen ganz persönlichen Tribut zollte, und stellten die beiden Platten auf eine qualitative Stufe mit jenen klassischen Oldfield-Werken.

Robert Reed sagte in einem Interview, dass er jene Fackel weitertragen würde, die Oldfield in den goldenen 70er Jahren entzündete. Darüber hinaus soll Mike Oldfield  in einem Interview selbst gesagt haben, dass er darüber enttäuscht sei, dass niemand nach ihm diese Art von Musik fortgeführt habe. Ob Mike Oldfield das genau so gemeint hat, wie Robert Reed es interpretiert, sei dahin gestellt. In jedem Fall lud Reed's als Hommage an einen der grossen Künstler der Rockgeschichte verstandene Musik zu manchem Gedankenspiel ein. So wurde an anderer Stelle die durchaus steile These aufgestellt, erst Robert Reed's Alben hätten Mike Oldfield zur Vernunft gebracht und zur Arbeit an dessen Werk "Return To Ommadawn" inspiriert. Da dürfte trotz allem durchaus etwas dran sein. Spielte man allerdings einem überzeugten Mike Oldfield-Afficionado, der sich vielleicht von dem Künstler abwandte, als dieser sich den Pop- und Lounge Musik Verwirrungen hingab, nacheinander beisdielsweise Reed's "Sanctuary" und des Meisters' "Return To Ommadawn" vor und stellte die Frage, welches der beiden Alben denn nun als 'echt' bezeichnet werden dürfe, dann stände er womöglich vor einem Problem, denn sowohl in spielerischer, qualitativer und genauso atmosphärischer Hinsicht stand Reed's "Sanctuary" in Mike Oldfield's Frühwerk in nichts nach. Man konnte sich sogar erlauben, Reed's Alben als Fortsetzung von Oldfield's Klassikern zu betrachten oder zumindest die sich die Idee einverleiben, hier hätte ein anderer Musiker einfach dort angedockt, wo sich der erste Musiker verabschiedet hatte.

"Sanctuary" bestand aus zwei Teilen mit insgesamt knapp 40 Minuten Spielzeit und war damit nicht nur ziemlich genau gleich lang wie "Tubular Bells", sondern ebenso beinahe komplett instrumental gehalten. Einige Passagen enthielten Choreinlagen der Londoner Gesangsgruppe 'Synergy Vocals'. Das Album enthielt viele musikalische Einflüsse und Stile: Progressiver Soft-Rock, Scottish und Irish Folk, Ethno-Stimmen, aber auch klassische Symphonic Rock Elemente. Die musikalische Reise begann mit mit einer wunderschönen Melodie, getragen von Synthesizer und Glockenspiel. Schnell setzten Flöte, Gitarren und ein Klavier mit ein. Bis zu diesem Zeitpunkt klang "Sanctuary" wie die logische Weiterführung des Grundthemas aus "Tubular Bells", vielleicht vermischt mit jenem von Oldfield's Platte "Ommadawn". Die hohe, singende Gitarre erinnerte natürlich an Mike Oldfield, aber streckenweise auch an Pink Floyd und David Gilmour. Es folgte eine Passage mit oben erwähntem Chor, die etwas an James Horner und seine Filmmusik für den Filmsoundtrack von 'Avatar' erinnerte. Akustikgitarren und Blockflöten, Mandoline und Banjo, lange Passagen auf dem Marimba und Vibraphon sorgten für viel klangliche und stimmungsvolle Abwechslung. Immer wieder tauchten musikalische Reminiszenzen an den schottischen oder auch walisischen Folk auf, diedamals etwa auch für Mike Oldfield's zweites Album "Hergest Ridge" Pate standen. 

"Sanctuary" bedeutete sinngemäss ja 'Zuflucht'. Eine Zuflucht in die Ruhe der Musik bedeutete "Sanctuary" und auch das nachfolgende "Sanctuary II" in der Tat. Der Zuhörer konnte sich treiben lassen, zurücklehnen und einfach nur diesen wundersamen Klängen lauschen und sie geniessen. Erhältlich war das Album "Sanctuary" in einer speziellen Version auch mit einer Bonus DVD, auf der sich neben Promo-Videos auch Mehrkanal-Mixe des kompletten Albums in Dolby Digital und DTS fanden. Der Mehrkanal-Mix war äusserst präzise und ein zusätzliches Stimmungs-Highlight, auf der heimischen Surround-Anlage abgespielt. Die Promo-Videos waren ebenfalls interessant, zeigten sie doch den Künstler bei der Arbeit und gaben Einblicke in die Aufnahme des Albums. Einen Extrapunkt für Kreativität gab der kritische Musikhörer in diesem Falle natürlich nicht, denn auch wenn Robert Reed jede Note des Albums selbst komponiert hatte, waren die Inspiration und der Einfluss Mike Oldfield's doch zu jeder Sekunde hörbar. Aber vielleicht machte gerade dies das Album auch so spannend und hörenswert, denn unter dem Strich wusste die Musik wesentlich mehr zu gefallen als Mike Oldfield's letzte eigenen Veröffentlichungen.

Ursprünglich war "Sanctuary" lediglich die Verwirklichung eines persönlichen Traums gewesen. Robert Reed begann mit den ganzen Aufnahmen aller Instrumente erst einmal nur für sich allein im stillen Kämmerlein. Der Hauptbeweggrund bestand darin war, das einmal zu versuchen, nachdem sich bislang niemand Anderer angeschickt hatte, so etwas zu machen. Das änderte sich dann aber, als Reed über einen gemeinsamen Freund mit den ursprünglichen "Tubular Bells" Produzenten Tom Newman und Simon Heyworth in Kontakt treten konnte. Das Ergebnis: Newman und Heyworth sagten, dass das Ganze zwar in der Tat ein bisschen nach frühem Mike Oldfield klingen würde, hätte auch starke und eigenständige Melodien, würde aber eher so klingen, als wäre hier Jemand dabei, Mike Oldfield mehr schlecht als recht zu kopieren. Tom Newman und Simon Heyworth nahmen sich dann aber Reed's Demoaufnahmen an und arbeiteten sie mit ihm zusammen weiter aus, bis er sein ganzes Projekt stil- und soundecht verwirklichen konnte. Dazu verwendeten die beiden erfahrenen Studioproduzenten nicht nur über weite Strecken dasselbe analoge Equipment, mit welchem vor über 40 Jahren auch schon Mike Oldfield seine "Tubular Bells" zum klingen brachte, sondern als originale Produzenten dieses Werks spürten sie auch, wie eine nahtlose und stimmungsvolle Weiterführung von Oldfield's Magnum Opus klingen musste. Das Ergebnis war höchst beeindruckend und unglaublich schön. Reed dockte bei Oldfield perfekt an und tat dies später auch mit dem Nachfolger "Sanctuary II" und inzwischen (2017) sogar mit einer Live-Aufführung, die es ebenfalls auf Platte schaffte.



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