Oct 13, 2017


THE PRETTY THINGS - Silk Torpedo (Swan Song Records SS 8411, 1974)

"Silk Torpedo" war das siebte Studioalbum der legendären britischen Rockband The Pretty Things. Es war gleichzeitig das zweite Album ohne Wally Waller, den Rhythmusgitarristen und Bassisten, der seit 1967 bei den Pretties mit dabei gewesen war. "Silk Torpedo" markierte einen frappanten Stilwechsel und war meilenweit vom ursprünglichen Psychedelischen Rock oder dem Rhythm'n'Blues der frühen Jahre entfernt. Auf "Silk Torpedo" hatten sich die Pretties dem Glam Rock zugewandt, um dem damaligen Zeitgeist zu entsprechen. Es war das erste Werk, das auf Led Zeppelin's Swan Song Plattenlabel erschien und erhielt ein wunderschönes Plattencover aus der Higpnosis Graphikschmiede. Die Pretty Things sind eine der ältesten noch aktiven englischen Rockbands. In den 60er Jahren galten sie als eine der wildesten Rockgruppen überhaupt. Rockgeschichte schrieben The Pretty Things im Jahre 1968 als Urheber der vermutlich ersten Rockoper mit dem Titel "S.F. Sorrow". Die Band wurde 1963 vom Gitarristen Dick Taylor, der zuvor Bassist bei den Rolling Stones war, sowie dem Sänger Phil May in London gegründet. Ihren Bandnamen entlehnten die Musiker dem Song "Pretty Thing" von Bo Diddley.

Exzessive Bühnenshows, harter Rhythm'n'Blues und ein finsteres Image machten die Band schnell bekannt. Dabei bediente sich die Gruppe wie viele andere britische Bands zu jener Zeit aus dem Fundus einflussreicher Blues-Interpreten wie Howlin’ Wolf und Chuck Berry. Schon bald schrieben die Pretty Things auch eigene Stücke. Die Band sorgte anfangs durch ihr Auftreten für Aufsehen. Die erste selbstbetitelte LP und das anzügliche "Don’t Bring Me Down" kamen unter die Top Ten in Grossbritannien. In den USA wurde der Song verboten. Auch weitere Singles wie "Honey I Need" und "Rosalyn" verkauften sich gut. Es hiess, die Rolling Stones würden im Vergleich zu den Pretty Things wie eine Teegesellschaft im Pfarrhaus wirken. Ihr Sänger Phil May galt als der Mann mit den längsten Haaren Europas. Die zweite Platte "Get The Picture ?" enthielt mit "Cry To Me" und "Rainin' In My Heart" nur noch kleinere Single-Hits. Als 1967 der Psychedelic Rock Mode wurde, setzte ein unübersichtliches Kommen und Gehen der Bandmitglieder ein. Die Plattenfirma Fontana Records reicherte bei der nächsten Platte "Emotions" gegen den Willen der Band die Musik mit Effekten und Arrangements an, sodass die Pretty Things kaum wiederzuerkennen waren. Die Gruppe verlor dadurch die Akzeptanz vieler ihrer Anhänger.

Nach dem Wechsel zur Plattenfirma Columbia Records arbeitete die Band mit dem Produzenten Norman Smith zusammen, der damals auch Pink Floyd im Studio betreute. Unter anderem veröffentlichten die Pretty Things 1967 die Single "Defecting Grey", welche heute als prägnantes Beispiel des Psychedelic Rock gilt. Das Stück war eine Art Minioper, in der mehrere völlig unterschiedliche Melodien ineinander übergingen. Eine Sitar, rückwärts laufende Bänder und andere Effekte verfremdeten das Werk zusätzlich. Nennenswerte Verkaufszahlen erreichten aber auch diese und weitere Singles nicht. 1968 schufen die Pretty Things vermutlich als erste Rockband eine Rockoper mit dem Titel "S.F. Sorrow". Heute ein Kultklassiker der Flower Power-Ära, wurde die Platte ein weiterer kommerzieller Misserfolg. Bis heute wird "S.F. Sorrow" oft mit der weitaus berühmteren Rockoper "Tommy" von The Who verglichen. Manchmal wird auch behauptet, der Komponist Pete Townshend habe das Werk der Pretty Things, das einige Monate zuvor erschienen war, teilweise kopiert. Um finanziell über die Runden zu kommen, nahm die Band in dieser Zeit unter dem Namen Electric Banana mehrere Alben mit Filmsoundtracks auf. Zudem waren sie 1969 in dem Film 'What’s Good For The Goose' von Menahem Golan als sie selbst zu sehen.

Dick Taylor verliess nach dem Misserfolg vorübergehend die Band und war kurzzeitig Produzent und Mitglied der Spacerock Band Hawkwind. Das einzig verbliebene Gründungsmitglied Phil May schuf mit teilweise neuen Musikern erneut ein von der Kritik gelobtes Album: "Parachute". Obwohl vom Rolling Stone Magazin zur LP des Jahres 1970 gewählt, blieb auch diese Platte von den Käufern weitgehend unbeachtet. "Parachute" offenbarte die verschiedenen Fähigkeiten des Multi-Instrumentalisten Wally Waller, der einen beträchtlichen Teil des Materials komponierte und auch mehrfach als Leadsänger in Erscheinung trat. Waller produzierte zu dieser Zeit auch die ersten Alben von Barclay James Harvest. Trotz des erneuten kommerziellen Misserfolges gaben die Pretty Things nicht auf. Ein neues Album wurde in Angriff genommen, welches aber nie erschien. Einzelne Songs davon wurden auf Singles veröffentlicht und waren später auch auf dem Sampler "The Pretty Things – Singles As & Bs" zu hören.

Auch das nächste veröffentlichte Album "Freeway Madness" von 1972 fand nur wenige Käufer, sodass die Pretty Things sich auflösten. 1974 boten die befreundeten Musiker von Led Zeppelin einen Vertrag auf ihrem Swan Song-Label an. Es folgten die aufwendig produzierten Alben "Silk Torpedo" und "Savage Eye", welche Chartnotierungen in den USA erreichten und der Band erstmals dort eine Tournee ermöglichten. Musikalische Differenzen und Drogenprobleme verhinderten aber auch diesmal eine konstante Karriere, und die Pretty Things brachen erneut auseinander. 1980, dieses Mal mit dem zurückgekehrten Gitarristen Dick Taylor beinahe in der Urbesetzung, wurde das Werk "Cross Talk" veröffentlicht. Auch diesmal hatten wohlwollende Rezensionen keine nennenswerten Verkäufe zur Folge. In den folgenden Jahren gab es immer wieder Tourneen und Aufnahmen von May und Taylor mit wechselnden Mitspielern als Pretty Things, unter anderem Blues-Sessions mit Chicagomusikern und dem ehemaligen Yardbirds-Schlagzeuger Jim McCarty unter dem Namen Pretty Things-Yardbird Blues Band (produziert von George Paulus für sein St. George Label) sowie Neueinspielungen ihrer alten Erfolge mit deutschen Musikern.

1998 machten die Pretty Things wieder in grösserem Mass durch die erstmalige vollständige Live-Aufführung ihres Meisterwerks "S.F. Sorrow" unter dem Titel "Resurrection" in den legendären Abbey Road Studios von sich reden. Das Spektakel wurde im Internet übertragen und bekannte Stars wie Arthur Brown und der Pink Floyd-Gitarrist David Gilmour wirkten mit. Obwohl das Foto schon 1968 aufgenommen worden war, sorgte 1999 das Cover der Maxi-CD "All Light Up" für Aufregung, weil es den Keyboarder Jon Povey zeigte, wie er sich damals einen Joint angezündet hatte. Das Titelstück war sowohl klanglich wie auch textlich eine Hommage an die 60er Jahre. 1999 erschien mit "Rage Before Beauty" ein weiteres Album der Pretty Things, 2007 veröffentlichte die Band die CD "Balboa Island", 2015 "The Sweet Pretty Things (Are In Bed Now, Of Course)". Die ehemaligen Bandmitglieder Wally Waller, Skip Allen, Peter Tolson und Jon Povey veröffentlichten 2012 unter dem Namen The xPTs eine komplett neu überarbeitete Fassung des Pretty Things-Albums "Parachute" als "Parachute Reborn".

Obwohl die Pretty Things in kommerzieller Hinsicht nie wieder an ihre Anfangserfolge in den 60er Jahren anknüpfen konnten, übten sie beträchtlichen Einfluss auf andere Musiker aus. Robert Plant, der spätere Led Zeppelin-Sänger, studierte als noch unbekannter Besucher bei Pretty Things-Auftritten Phil May's Bühnenshow genau. David Bowie, ein erklärter Fan der Band, coverte für sein Album "Pinups" (1973) gleich zwei Pretty Things-Hits, "Rosalyn" und "Don’t Bring Me Down". Der Stil und das Gebaren des ersten Pretty Things-Schlagzeugers Vivian Prince, der sich nach seinem Ausscheiden aus der Band und einigen erfolglosen Versuchen als Solist zwischenzeitlich den Hells Angels anschloss, übten einen unübersehbaren Einfluss auf den exzentrischen Keith Moon von The Who aus. Das skandalöse Auftreten der Band in der Anfangszeit diente in den späten 70er Jahren auch vielen Punkbands als Vorbild.





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