KROKODIL - An Invisible World Revealed
(United Artists Records UAS 29 250 I, 1971)
Sprechen Musikfans über progressive Rockmusik aus den frühen 70er Jahren, so machen zumeist die Namen Genesis, Yes, King Crimson, Jethro Tull oder Pink Floyd die Runde. Fast alle dieser heute noch weltbekannten Bands veröffentlichten ihre ersten Alben im oder ums Jahr 1971. Eine weitere Band, die nie auch nur annähernd an den Erfolg der eben erwähnten herankam, waren Krokodil. Sie gehören für viele Kenner des Genres zu den wichtigen Namen des frühen Progressive Rock. Krokodil war indes nicht etwa eine englische oder amerikanische Truppe, sondern stammte aus der Schweiz. Eine Progressive Rock Band aus Zürich. Ihre Wurzeln hatten Krokodil im Blues, Folk und Rock'n'Roll, sprangen dann während der aufkommenden Progressive Rock-Welle schnell auf den Zug auf. Ihr drittes Album "An Invisible World Revealed" erschien dann ebenfalls 1971 und überzeugte mit gekonntem Songwriting und den für das Genre typischen abgefahrenen Arrangements. Auch wenn Krokodil der internationalen Szene nie das Wasser reichen konnten, wurde das Werk "An Invisible World Revealed" letztlich doch zu einem der wichtigsten Schweizer Klassiker der Rockmusik.
Es war im Januar 1969, als einige schon recht bekannte Musiker in Zürich die 'Supergroup' Krokodil gründeten. Bei den Gründungsmusikern der Band handelte es sich um Hardy Hepp, Düde Dürst undMojo Weideli, und ihre Vorstrellung war, auch der braven Schweiz endlich einen international ausgerichteten Sound im Stile ihrer musikalischen Helden zu präsentieren. Innerhalb relativ kurzer Zeit wurden sie ziemlich populär und konnten nicht nur in der Schweiz, sondern in vielen anderen Ländern, gerade auch in Deutschland, eine Menge Lorbeeeren ernten. Als Vorgruppe von Bands wie etwa Pink Floyd, Uriah Heep, Free, East Of Eden oder im Verbund mit Krautrock-Grössen wie Amon Düül, Can und Guru Guru stellten sie ihr Können auch auf den Bühnen eindrücklich unter Beweis. 1971 erschien ihr drittes und erfolgreichstes Album "An Invisible World Revealed" ('Eine unsichtbare Welt offenbart'), auf dem sie verschiedene Stilrichtungen von Blues über Hardrock, Progressive Rock und Folkrock zu einem teilweise überzeugenden und ab und zu auch mal eher verwirrenden Schmelztiegel verbanden. Dass sie beim Spielen zumeist bekifft waren und auch anderen, psychedelischen Drogen wie LSD nicht völlig abgeneigt waren, war kein Geheimnis und dürfte so manchem Song einen entsprechenden Stempel aufgedrückt haben.
Der relativ sanfte Opener "Lady Of Attraction" überzeugte gleich zu Beginn mit einer musikalischen Mixtur aus den Moody Blues in deren Blütezeit Ende der 60er bis Anfang der 70er Jahre und einem verfremdet aufgenommenen Gesang, den fünf Jahre später die englische Progressive Rock Band Camel für deren wunderbaren Song "Spirit Of The Water" auf dem Album "Moonmadness" adaptieren sollte. Dazu muss man vielleicht wissen, dass die erste Veröffentlichung von Krokodil 1969 eine mit einem Kamel bebilderte Schallfolie mit ihrem Song "Camel Is Top" darstellte, mit der eine bestimmte Zigarettenmarke beworben wurde, und die zum Beispiel in Diskotheken kostenlos verteilt wurde. Das Cover des zweiten Camel-Albums "Mirage" ähnelte dem Bild auf jener Krokodil Flexi-Disc in auffälliger Weise. Auch der akustische Feinstaub des nächsten Songs, des kurzen "With Little Miss Trimmings" mit seinem Crosby, Stills & Nash-Harmoniegesang täuschte über das hinweg, was den Hörer später noch erwarten sollte.
So schreckten die beiden Longtracks "Odyssey In Om" mit seinen knapp 15 1/2 Minuten Lauflänge und das über 14 minütige "Looking At Time" mit ihren ständigen, unerwarteten musikalischen Wendungen vor nichts mehr zurück: Der Gitarrist Walty Anselmo eröffnete zum Beispiel "Odyssey In Om" mit einem sich über vier Minuten erstreckenden Sitarsolo, lediglich untermalt von Düde Dürst's Congas, bevor das Stück in wunderbar schwebende Synthesizer- und Flötenklänge überging, was eine stilistische Nähe zu den damals ebenfalls noch jungen Tangerine Dream durchaus erkennen liess. Dann bediente Mojo Weideli die Mundharmonika, die dem weiteren Verlauf durchaus etwas vom frühen Art Rock der späteren Supertramp vermittelte, Walti Anselmo präsentierte später mit seiner Gitarre schon beinahe Hardrock ähnliches Riffen, ehe nach gut neun Minuten ein spaciges Artrock-Intermezzo folgte, das man später wiederum von Klaatu kannte. Nach gut zehn Minuten rockten dann wieder die Gitarre und die Mundharmonika, bevor erneut das Artrock-Intermezzo einsetzte. Dies im weiteren Verlauf als ständiges repetitives Spiel. Insbesondere der Einsatz der Mundharmonika wirkte als etwas sehr Verführerisches auf dieser enorm experimentierfreudigen Platte, denn stilistisch war es kein wirklich auf eine Mundharmonika zugeschnittenes Programm. Gerade dadurch aber erhielt dieses eher dem Blues zugeordnete Instrument jedoch einen wichtigen Stellenwert, und sie konnte die Musik enorm aufwerten und vor allem richtiggehend 'erden'.
Wer also dem Einsatz einer bluesigen Mundharmonika zugeneigt ist, dem dürfte dieses Album ganz viel Freude bereiten. Mojo Weideli, 'the man with the harmonica', bekam hier nämlich wirklich viel Fläche. Und wen die zumeist nicht sonderlich beeindruckenden Gesangsleistungen der drei Solovokalisten nicht störten, hatte dann endgültig freie Bahn. Schlagzeuger Düde Dürst äusserte sich in einem Interview von 2014 dazu wie folgt: "Der Hardy war gut, und die beiden anderen waren speziell". Das klingt recht diplomatisch ausgedrückt, trifft es aber tatsächlich ausgezeichnet, denn wo eine Stimme prägnant in Erscheinung trat, wirkten die anderen beiden aufgrund ihrer Eigenheiten nicht etwa nur als gesangliches Beiwerk, sondern werteten den Gesamtsound ebenfalls entscheidend auf.
Man muss im Falle dieser Krokodil-Platte unbedingt als Tipp die remasterte CD-Version von 2009 empfehlen: Auf dieser fabelhaft restaurierten Ausgabe, erschienen auf dem deutschen Second Battle Label, finden sich mit der als "Krokodil-Session Pt. 1 & Pt. 2" betitelten Studiosession zwei rein instrumental gehaltene Jams von zusammen 23 Minuten Länge, bei denen man kaum glauben mag, dass es sich hier tatsächlich um dieselbe Band handelt. Mit einer atemberaubenden Eleganz tänzelten die versierten Musiker hier nämlich durch eine atmosphärisch dichte Mixtur aus lockerem Westcoast-Rock mit leichten Jazz- und Progressiv-Einflüssen, die in angenehmster Weise an den Allman Brothers Band-Klassiker "In Memory Of Elizabeth Reed" erinnert, und zwar vor allem an die Live-Version von deren Album "Wipe The Window, Check The Oil, Dollar Gas". Die Gruppe Krokodil löste sich bereits Ende 1974 auf und fand danach tatsächlich nie wieder zusammen, obwohl sie inzwischen längst zur Legende geworden waren und bei Reunion-Shows sicherlich Tausende von Fans hätten versammeln können. Doch es sollte nicht sein.
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