Jun 6, 2017

SLADE - Alive! (Polydor Records 2383 101, 1972)

Die Gründung der Glam Rocker Slade geht bis ins Jahr 1966 zurück. Damals stiegen der Sänger und Gitarrist Neville 'Noddy' Holder und der Bassist Jim Lea bei der bereits existierenden Gruppe N'Betweens ein, wo sie auf den Gitarristen Dave Hill und den Schlagzeuger Don Powell trafen. Aus diesem Quartett wurde dann die neue Band Ambrose Slade und einige Zeit (und eine LP) später kurz Slade. Die vier spielten 25 Jahre zusammen, bis sie sich 1991 leise auflösten. Sie sind somit die einzige populäre Band, die über so einen langen Zeitraum in ein und derselben Besetzung aktiv war. Ab 1969 nannten sie sich Ambrose Slade und machten bereits eine Menge Lärm, was den Jimi Hendrix-Entdecker Chas Chandler dazu bewegte, sie zu managen. Sie hatten damals Skinhead-Frisuren, also oben Glatze. Damit zogen sie aber auch ein Publikum an, das sich gegenseitig und andere bei ihren Konzerten vermöbelte. Daraufhin liessen sich Slade die Haare wieder wachsen und brachten ein Album mit dem Titel "Beginnings" heraus, das heute als LP relativ schwer zu bekommen ist und eher als Kuriosität betrachtet wird. Der einzige interessante Song war das instrumentale "Genesis", interessant deshalb, weil daraus "Know Who You Are" wurde, der erste Song, der die Band Slade etwas bekannter machte, auch wenn der Titel nicht in die Charts gelang.

Sie verkürzten schliesslich ihren Bandnamen auf Slade und brachten 1970 ein zweites Album namens "Play It Loud" heraus, das auch kein Verkaufsschlager wurde. Ein paar der Songs auf diesem Album wurden einem breiteren Publikum auch erst bekannt, als die Band sie auf ihrer Best Of LP "Sladest" im Jahre 1973 quasi wiederveröffentlichten. Aber bis dahin war noch ein weiter Weg. Ein erster Achtungserfolg gelang der sich in immer schrilleren Outfits präsentierenden Band mit der EP "Get Down And Get With It" (1971), die es bis auf Platz 16 in den britischen Charts schaffte. Dieser EP folgte kurz darauf praktisch aus dem Nichts heraus ihr erster Nr.1 Hit "Coz I Luv You". Nicht unwesentlich zu dem Erfolg der Platte dürfte ein in dem Song gespieltes Geigensolo von Jim Lea beigetragen haben. So etwas hatte man in dieser Art bislang nicht von einer kommerziellen Poprock-Band gehört. Lea und Noddy Holder begannen nun, das Heft in die Hand zu nehmen und lieferten mit "Look Wot You Dun" einige Monate später gleich noch einen weiteren Hit hinterher. Das Erfolgrezept war gefunden: Simple, eingängige Melodien mit ebenso einfachen Texten, die sich hervorragend zum Mitsingen eigneten. Viele nach genau diesem Strickmuster geschriebene Songs ebneten Slade in den nächsten Jahren den Weg zu einer der erfolgreichsten Gruppen Englands. Ein weiteres auffälliges Markenzeichen wurde die absichtliche falsche Schreibweise ihrer Titel.

Völlig unangekündigt kam anschliessend nicht etwa ein weiteres neues Studioalbum heraus, sondern die Band veröffentlichte überraschend eine Liveplatte. Live waren Slade inzwischen ein absoluter Topact und da wollten sie schon relativ früh auf Platte anknüpfen, was sie live im Konzert bereits präsentiert hatten, obwohl so etwas im Prinzip kommerzieller Selbstmord war, zumal mit "Know Who You Are", "Get Down And Get With It" und "Born To Be Wild" nur drei Songs darauf waren, die man zuvor schon von ihnen gehört hatte. Doch das Livealbum "Slade Alive" entpuppte sich als absoluter Knaller, ein Partyalbum erster Güte und dabei sowohl qualitativ, als auch aus dynamischer Hinsicht ein echter Ueberflieger.

"Slade Alive" startete mit "Hear Me Calling", einer Coverversion des Titels von Ten Years After und man bekam schon von Beginn weg einen Eindruck von dem, was da noch auf den Hörer zukommen sollte. Obwohl eher im Midtempobereich angesiedelt, wurde der Song so hart gespielt, dass die Originalversion von Ten Years After schon fast brav wirkte im Vergleich dazu. "In Like A Shot From My Gun" war eine Holder/Lea/Powell-Komposition, die nur auf dieser Platte zu hören war und bei der sich Noddy Holder gesangsmässig austoben durfte. Interessanterweise wählten Slade ihre ganz persönlichen Favoriten bei der Auswahl zu diesem Album, jene Favoriten, die live einfach zündeten. Jede andere Band hätte vermutlich eher auf bereits bekanntes Material bei der Songzusammenstellung für ein Live-Werk gesetzt. Es folgte mit dem Titel "Darling Be Home Soon" von Lovin Spoonful eine weitere Covernummer, ein relativ ruhiger Song, der an seiner stillsten Stelle durch einen Rülpser von Noddy Holder unterbrochen wurde. Diese Rüpeligkeit war ein tragendes Element von Slade und ein Merkmal, das den Fans im Grunde erst gefiel, weshalb Slade live auch so populär waren damals. Keines ihrer Konzerte war je brav oder gesittet, immer wirkten die Musiker wie Holzfäller, rüpelhaft und geradeheraus, ohne irgendeine peinliche Zote auszulassen, die stets ein ihre Auftritte bestimmender humoristischer oder auch sarkastischer Bestandteil waren.

Mit dem Titel "Know Who You Are", bei welchem laut Platteninfo Jemand aus dem Publikum das Tambourine spielte, beendete die erste Seite dieses akustischen Dampfhammers. Auf der zweiten Seite, die man getrost als halsbrecherisch bezeichnen konnte, gab es nur noch drei Stücke. Zuerst die gruppeneigene Komposition "Keep On Rocking", ebenfalls ein Song, der nur auf diesem Album der Gruppe zu hören war. Die Nummer wies allerdings viele Ähnlichkeiten zu Songs beispielsweise von Little Richard auf. Der kernige gradlinie Rock steigerte die Dynamik der Platte gleich noch einmal. "Get Down And Get With It" wäre die Apotheose des Radaus gewesen, wäre da nicht zum Schluss noch "Born To Be Wild" von Steppenwolf angehängt worden. Mindestens doppelt so schnell und auch wesentlich härter gespielt als die Originalversion startete die Band in den Song, bis die Band zum Soloteil ansetzte und sich der ganze Song in sich aufzulösen schien in einem Meer aus Rückkopplungen, Sirenengeheul, einem Hubschrauber - gelinde gesagt: Das Stück explodierte in einem einzigen Lärmgebräu. "Slade Alive" war nichts anderes als die pure Power einer Mannschaft, die keinerlei Grenzen kannte, wenn es darum ging, Dynamik auf die Bühne zu bringen.

Eine später noch nachgereichte weitere Liveplatte mit dem assoziativen Titel "Alive 2" war eher so etwas wie eine Art "Greatest Hits" live gespielt und hatte leider nichts mehr von der Kraft und der irrwitzigen Rock-Dynamik der ersten Liveplatte gemein. "Slade On Stage" war später ein weiteres Live-Werk von Slade, das wieder eher an die kraftvolle Dröhnung Rock der "Slade Alive" herankam. Wer sich nicht nur mit den mehr oder weniger bekannten Hits der Band beschäftigen möchte, der sollte sich unbedingt einmal auf dieses faszinierende Power-Livealbum einlassen, das mit zum dynamischsten gehört, was in den frühen 70er Jahren überhaupt auf einer Platte festgehalten wurde. Noch heute kann diese Konzertaufnahme, die vom ehemaligen Jimi Hendrix-Produzenten Chas Chandler brilliant in Szene gesetzt wurde, von vorn bis hinten restlos begeistern.









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