Jun 26, 2017


CAN - Monster Movie (United Artists Records UAS 29094, 1970)

Can waren eine 1968 als Inner Space in Köln gegründete avantgardistische Band, die keinem homogenen Musikstil zuzuordnen war und es ablehnte, als Rockband bezeichnet zu werden. Vielmehr bewegte sie sich zwischen Free Jazz, Avantgarde-Jazz und innovativen Krautrock- und Psychedelic Rock-Elementen. Gründer und künstlerischer Kern der Band waren der Keyboarder Irmin Schmidt und der Bassist Holger Czukay. Beide hatten bei Karlheinz Stockhausen an der Musikhochschule Köln Komposition studiert. Sie versammelten Anfang 1968 Musiker mit kontrastierenden musikalischen Hintergründen um sich und bildeten mit ihnen ein experimentelles Kollektiv. David C. Johnson war zu diesem Zeitpunkt Dozent für elektronische Musik. Vom Free-Jazz kam der Schlagzeuger Jaki Liebezeit, der zuvor mit Manfred Schoof zusammengearbeitet hatte. Gitarrist Michael Karoli suchte noch nach musikalischer Identität. Zunächst nannte sich die Band Inner Space. Aus einem Konzert vom Juni 1968 wurden zunächst die Singles "Agilok & Blubbo" im Juli 1968 und "Kamasutra" im November desselben Jahres veröffentlicht. Das Management übernahm Hildegard Schmidt, Irmin Schmidts Frau. Ab 1968 probte die Band zunächst in Schloss Nörvenich, wo sie sich im Juni 1968 zu einer Jam Session in der Besetzung Karoli, Czukay, Schmidt, Liebezeit und Johnson traf. Hierbei wurden sie kurzfristig ergänzt von Manfred 'Manni' Löhne (Gesang, Perkussion, Flöte). Diese Jam Session wurde 1984 als Bootleg mit dem Titel "Prehistoric Future" veröffentlicht, das in limitierter Auflage von 2000 Exemplaren erschien und Samples der Studentenunruhen an der Pariser Sorbonne beinhaltete. Im August 1968 lernte Hildegard Schmidt in Paris den Bildhauer Malcolm Mooney kennen, der in der Folge als neuer Sänger zur Band stiess. Die übrigen Bandmitglieder akzeptierten seinen Vorschlag, die Band The Can zu nennen, was im New Yorker Dialekt auch 'Arsch' bedeutet. Johnson verliess die Gruppe wenig später, da er die immer rockigere Ausrichtung der Musik nicht mittragen wollte.

Im November 1968 nahmen Can den Soundtrack zum Kinofilm 'Kama Sutra - Vollendung der Liebe' auf, der am 5. Juni 1969 in die Kinos kam. Die erste LP "Monster Movie" entstand am 25. Juli 1969 in Schloss Nörvenich und beinhaltete Spontankompositionen. Deren lediglich auf 500 Exemplare veranschlagte erste Auflage wurde innert zwei Wochen verkauft. Ab Ende des Jahres verzichtete die Band auf das 'The' im Namen und nannte sich fortan schlicht Can. Auf Konzerten fiel Malcolm Mooney zu dieser Zeit auch durch seine verwirrt wirkenden Darbietungen auf. Auf Anraten seines Psychiaters kehrte er wenig später in die Vereinigten Staaten zurück. Das Werk "Monster Movie" entstand aus einer Serie von Jam Sessions. Stilistisch vereinigte es Elemente des Free- und Avantgarde-Jazz mit innovativ-experimentellen Kraut- und Psychedelic Rock-Komponenten. Die Protagonisten des Werks waren Organist Irmin Schmidt, der unter anderem acht Jahre bei Karlheinz Stockhausen studiert und als Theaterkapellmeister Erfahrungen mit Symphonieorchestern gesammelt hatte, Gitarrist Michael Karoli, der als Jurastudent in Schweizer Jazz- und Pop-Combos gearbeitet hatte, Bassgitarrist Holger Czukay, der unmittelbar vor seiner Can-Karriere in den Elektronikstudios von Pousseur und Stockhausen verbracht hatte und Schlagzeuger Jaki Liebezeit, der bei prominenten Jazz Musikern wie Chet Baker und Manfred Schoof engagiert war. Als Sänger stiess der Amerikaner Malcolm Mooney zur Band. Auffallend waren die durchweg repetitiven Klangmuster der vier auf dem Album enthaltenen Stücke, die in der Radikalität ihrer Ausführung an die Frühwerke von The Velvet Underground und Frank Zappa erinnerten. Mittels ausgefeilter Improvisations- und Experimentiertechnik sowie filigranen elektronisch geschichteten Arrangements schufen Can mit diesem Album bereits einen Standard für ihre in den frühen 70er Jahren nachfolgenden Alben, der wegweisend war für jenen unbekümmerten Avantgardecharakter, den die britische Musikpresse alsbald als Krautrock bezeichnete.

Das Album eröffnete mit "Father Cannot Yell", einem Stück, das an die Zeit des Post-Punks erinnert, lange noch bevor es Punkmusik überhaupt gab. Betont spröde und dissonant schlug Irmin Schmidt darin die Keyboardtasten an. Sodann folgte "Mary, Mary So Contrary". Der Text dieses Songs basierte auf einem bekannten englischen Kinderreim ('Mary, Mary, Quite Contrary'). Stampfend und überhitzt folgte "Outside My Door". Holger Czukay's nachdenkliche Basslinien waren hier bereits eine unverwechselbare Visitenkarte der Band. Das entfesselte "Yoo Doo Right" schliesslich wurde einem etwa 20-minütigen Beitrag entnommen, der zu einer mehrstündigen improvisierten Session gehörte. Auf einem hämmernden Grundrhythmus basierend, brach das Stück zweimal förmlich aus. Michael Karoli's Gitarre steigerte sich zwischenzeitlich zu einer gleissenden Vorführung, während Mooney's mantraartiger Gesang wahnhafte Züge annahm, beide begleitet vom einstweilen dynamisch-aufgewühlten Spiel des Schlagzeugers Jaki Liebezeit. Vorangegangen war diesem offiziellen Debutalbum das Werk "Prepared To Meet Thy Pnoom," das zunächst unveröffentlicht blieb, da der Musikstil der Band in kein Vermarktungsschema der Plattenindustrie passte. Erst im Jahre 1981 wurden Stücke daraus als Kollektion von Raritäten und Outtakes veröffentlicht.

Einige Veröffentlichungs-Versionen des Albums "Monster Magnet" trugen den Untertitel 'Made in a castle with better equipment', in Anspielung auf das im 14. Jahrhundert errichtete Schloss Nörvenich, wo die Aufnahmen stattfanden und wo Eierboxen sowie ausgediente Militärmatratzen als Klangbildner dienten. Der Drehbuchautor Karlheinz Freynik erläuterte auf dem Plattencover: "Eine neue Richtung ist geboren. Modern Art & Jazz & Beat & Stockhausen Komplex - The Can, Neue Musik, voller Vorurteile, keine 'crazy Swinging effects'. Talente, die sich einordnen wollen, aber nicht können. Konservatorium ohne Notenpult (der Dirigent sitzt an der Orgel). The Can bleiben immer 5 Solisten, (eine Super-Group ? Wozu arbeiten sie denn zusammen ?) "...weil es die beste Gruppe ist, die wir je vom Kontinent gehört haben!" meinen englische Experten". Im Mai 1970 wurde der Strassenmusiker Kenji 'Damo' Suzuki (Gesang) direkt für ein Konzert in München engagiert. Es folgten die ebenfalls in Nörvenich aufgenommenen LPs "Can Soundtracks" (aufgenommen November 1969 bis August 1970) und "Tago Mago" (November 1970 bis Februar 1971). "Soundtracks" enthielt eine Zusammenstellung von Filmmusiken der letzten fünf Filme, für die Can als Komponisten verantwortlich zeichneten. Im Dezember 1971 bezogen Can ein eigenes Tonstudio in einem ehemaligen Kinosaal in Weilerswist bei Köln. Hier sorgten 1500 ausgediente Bundeswehr-Matratzen für einen trockenen Sound. Als Toningenieur fungierte Holger Czukay. Erst 1974 wurde 16-Spurtechnik eingesetzt. 1971 bis 1978 entstanden hier acht reguläre Studioalben der Gruppe. Die erste LP aus dem neuen Tonstudio war "Ege Bamyasi" (Dezember 1971 bis Juni 1972), es folgte "Future Days" (veröffentlicht im August 1973). Auf Vorschlag von Conny Plank übernahm ab 1973 René Tinner die Rolle als Toningenieur und führte 1978 das Studio als Can-Studio weiter. Im September 1973 verliess Damo Suzuki Can. Die LP "Limited Edition", 1974 veröffentlicht, war zunächst nur mit einer Auflage von 15000 Exemplaren geplant, wurde 1976 jedoch zur Unlimited Edition erweitert und enthielt bislang seit 1968 unveröffentlichte Titel. Es folgten die LPs "Soon Over Babaluma" (ebenfalls noch im Jahre 1974) und "Landed" 1975. Die Doppel-LP "Unlimited Edition", im März 1976 erschienen, war eine erweiterte Version der LP "Limited Edition" und enthielt zwischen September 1968 und September 1974 entstandene Aufnahmen, "Flow Motion" (Juni 1976) und "Saw Delight" (Januar 1977).

Im Mai 1977 verliess Holger Czukay die Band, Rosko Gee von der britischen Rockband Traffic hatte bereits auf "Saw Delight" dessen Bass-Part übernommen. "Out Of Reach" war im Oktober 1977 das zehnte Studioalbum, gefolgt von "Can" im Februar 1978 mit der im Dezember 1977 entstandenen Single-Auskopplung "Can Can" / "Can Be" basierend auf Jacques Offenbach's Grundthema des Cancan-Tanzes. Nach den Sessions zur LP "Can" im Februar 1978 löste sich die Gruppe schliesslich auf. Im selben Jahr verliess Karoli die Band, 1980 zog Schmidt mit Familie in die Provence. Spätere Auftritte erfolgten unter der Bezeichnung 'Can Solo-Projects' mit einzelnen ehemaligen Bandmitgliedern 1986 oder 1987 fanden sich Can in der Besetzung von "Monster Movie" erneut zusammen, nachdem Malcolm Mooney hinter seinem Sofa ein Flugticket gefunden hatte, das ihm die anderen Mitglieder ein Jahrzehnt zuvor gesendet hatten. Als letztes reguläres Album folgte in dieser Besetzung "Rite Time", dessen Aufnahmen und Produktion bis Anfang 1989 dauerten. 1999 fand für die TV-Serie 'Pop 2000' die bislang letzte Zusammenarbeit unter dem Namen Can statt. Michael Karoli starb am 17. November 2001 infolge einer Krebserkrankung. Am 18. Juni 2012 erschien die CD "Can - The Lost Tapes" mit verschollenen Aufnahmen von etwa 30 Stunden Spieldauer. Sie wurden aufgefunden, als das Can-Studio Inner Space im November 2007 aufgelöst und in Gronau durch das Rock’n’Popmuseum originalgetreu wiederaufgebaut worden war. Jaki Liebezeit starb am 22. Januar 2017 im Alter von 78 Jahren an einer doppelseitigen Lungenentzündung.

Einem grösseren Publikum bekannt wurde die Band durch Filmmusik, so etwa zu Tom Toelle's Fernsehfilm 'Das Millionenspiel', ausgestrahlt am 18. Oktober 1970. Auf der LP "Can Soundtracks" waren Titel aus den Filmen 'Mädchen mit Gewalt' (Deutschlandpremiere am 19. Februar 1970), 'Deadlock' (15. Oktober 1970) und 'Cream – Schwabing Report' (27. August 1971) enthalten. Bekanntester Soundtrack war der Titel "Spoon", der im Dezember 1971 veröffentlicht wurde, der als Erkennungsmelodie der dreiteiligen Durbridge-Krimiserie 'Das Messer' ab 30. November 1971 ausgestrahlt wurde. In der deutschen Hitparade gelangte die Single im Dezember 1971 bis auf Rang 8. Von diesem Song wurden nachfolgend über 200000 Exemplare verkauft. 1973 lieferten Can (als The Can) die Musik zur 25. Tatort-Folge 'Tote Taube in der Beethovenstrasse' von Samuel Fuller, die am 7. Januar 1973 ausgestrahlt wurde. Der Titel "Vitamin C" erschien, wie auch "Spoon" später auf der LP "Ege Bamyasi". Ab 24. September 1975 lief die Krimiserie 'Eurogang' mit der Can-Single "Hunters And Collectors" (aus der LP "Landed"). Die Single "I Want More" von der LP "Flow Motion" gelangte im August 1976 in die britischen Charts bis auf Rang 26, die einzige britische Charts-Notierung der Gruppe. Der Titel "Aspectacle" aus der LP "Can" wiederum wurde im Februar 1978 zur Erkennungsmelodie des ZDF-Kulturmagazins 'Aspekte'. Can steuerte zu insgesamt 21 Filmen die Musik bei. Dies ermöglichte der Band die finanzielle Unabhängigkeit bei ihren übrigen Projekten.

Can setzten in ihrer Spielweise, der Art des Zusammenspiels und in der Produktionsmethode experimentelle Akzente, die von der konventionellen Rockmusik deutlich abwichen. Repetitive Passagen, starke improvisatorische, in den Jazz-Rock und Free-Jazz hineinreichende Passagen wurden zu ihrem Markenzeichen. Can war weder eine kommerzielle Rockband noch eine dem Mainstream der Rockmusik zuzuordnende Formation. Der Musikstil der Band passte nicht in das Vermarktungsschema der meisten Plattenfirmen, so dass es der Gruppe anfangs schwerfiel, eine Plattenfirma zu finden. Das war der Grund, warum die Band so häufig das Plattenlabel wechseln musste. Erst im Mai 1975 erhielten sie einen Plattenvertrag bei EMI Records. Can's Aufnahmegewohnheiten führten zur Ansammlung unveröffentlichter Aufnahmen, die erst Jahre später auf den Markt kamen. 2003 bekamen Can den deutschen Musikpreis 'Echo' für ihr Lebenswerk. Von Anfang an standen Can abseits der Tradition des Rock'n'Roll, was darauf zurückzuführen war, dass zwei ihrer Musiker (Czukay und Schmidt) aus der klassischen Musikszene um Karlheinz Stockhausen kamen. Der Einzige, der zur Gründungszeit Erfahrung im Bereich Rockmusik aufweisen konnte, war der junge Gitarrist Michael Karoli, der bereits in verschiedenen Beatgruppen gespielt hatte. Zudem brachte der Schlagzeuger Jaki Liebezeit, der sich zuvor mit Jazz und eine zeitlang mit Free Jazz (beispielsweise im Quintett von Manfred Schoof) beschäftigt hatte, einen weiteren Kontrast in die musikalische Kommune, die vor allem in den Anfangstagen einen Schwerpunkt auf improvisierte Musik legte, mit ein. Ein anderer Einfluss, der alle Mitglieder der Formation prägte, war Weltmusik und Folklore aus allen Teilen der Erde. Im Laufe ihres Schaffens kamen ständig neue Einflüsse wie Disco, aber auch technische Neuerungen hinzu, wodurch sich ihr Klangbild nach und nach veränderte. Diese ständigen Veränderungen und die eigentümlichen Ansichten zur Zusammenarbeit im Kollektiv führten immer wieder zu Besetzungswechseln, obwohl der Kern stets erhalten blieb.

Can's entscheidender Beitrag zur Musikgeschichte lag darin, dass sie wie keine andere Band eine von der klassischen Liedstruktur unabhängige Ästhetik repetitiver Klangkompositionen entwickelte. Damit waren Can richtungsweisend für die Musik der 70er, 80er und 90er Jahre. So beriefen sich beispielsweise Punkbands wie zum Beispiel die Buzzcocks auf Can. Weitreichende Akzeptanz gab es im Bereich des Post-Punk (zum Beispiel Siouxsie And The Banshees, Public Image Ltd. und The Fall) und der Independent Szene (Sonic Youth, The Jesus And Mary Chain, Radiohead und The Mars Volta). Durch den minimalistischen Einsatz elektronischer Instrumente, klassisch minimalistische Schlagzeug Sets und die typischen repetitiven Songstrukturen wurden Can zu einer der Vorreiter der elektronischen Tanz- und Unterhaltungsmusik. Neben den Einstürzenden Neubauten, Kraftwerk und den Scorpions zählten Can zu den weltweit erfolgreichsten und bekanntesten deutschen Bands. Die US-amerikanische Rockband The Mooney Suzuki benannte sich nach den Nachnamen der beiden Can-Sänger, darüber hinaus waren musikalische Einflüsse jedoch nicht festzustellen. Auf seinem Album "Graduation" von 2007, erschienen auf Roc-A-Fella Records, benutzte Kanye West ein Sample aus "Sing Swan Song" für seinen Track "Drunk And Hot Girls". Der Experimentalkomponist Karlheinz Essl schuf mit "Father Earth", das 2007 auf seiner Veröffentlichung "Sndtox" erschien, eine Hommage an Can, die sich auf "Mother Sky" von der LP "Soundtracks" bezog. In einem Interview mit The Quietus von 2011 beschrieb Geoff Barrow von Portishead den enormen Einfluss von Can auf sein kreatives Schaffen: "Can are my favourite and most inspirational band ever, I think. I heard this in the early nineties on the radio, thinking they were the best new band ever – and then I found out it was released in the early 70s. Melodically, sonically and rythmically this is experimentation with songs". Stephen Malkmus, der ehemalige Sänger und Gitarrist von Pavement, der mit dieser Band wie auch mit den Jicks eine intensive Can-Rezeption verarbeitete, coverte zusammen mit Mitgliedern der Band Von Spar 2012 das gesamte Can-Album "Ege Bamyasi" auf dem Kölner Weekend-Festival und veröffentlichte die Aufnahme 2013 unter dem Titel "Can's Ege Bamyasi".




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