Jun 11, 2017

HAWKWIND - Doremi Fasol Latido (United Artists Records UAG 29364, 1972)

Ian 'Lemmy' Kilmister, der legendäre, leider inzwischen verstorbene Motörhead, hatte schon vor der einzigartigen Karriere seiner eigenen Band ein recht bewegtes Musikerleben hinter sich. Nach anfänglichen Versuchen auf der Gitarre, danach mit fernöstlich und psychedelisch angehauchten Klängen bei den seltsamen Freaks von Sam Gopal, bei welcher er noch mit bemerkenswert rauchfreier Stimme sang, landete er im Jahre 1972 wohl eher zufällig bei dem britischen Musiker-Kollektiv Hawkwind. Dieses hatte bis zum Einstieg von Lemmy, der dort lieber die Rolle des Bassisten anstatt eines Gitarristen übernahm, schon zwei sehr gute Platten eingespielt, die aber eher noch so klangen, als ob man unter der Einwirkung bestimmter Substanzen nach der richtigen Orientierung suchte. Das reizende und verspielte selbstbetitelte Debüt von 1970 wies noch auf die Herkunft der beteiligten Musiker als Strassenmusiker hin und bot reichlich versponnene akustische Hippie-Klänge samt den dazugehörigen verschlüsselten Texten.

Der Nachfolger "In Search Of Space" baute zwischen wabernd verhallten Sound-Collagen dann schon wesentlich straffere Rock-Strukturen ein und lieferte mit dem musikalischen Urknall "Master Of The Universe" einen Space Rock-Hit für die Ewigkeit ab. Hawkwind hatten den irdischen Hippie-Spielplatz verlassen und starteten ihren Trip in die unendlichen Weiten des Alls, den sie bis zum heutigen Tag mit ständig wechselnder Besetzung noch nicht abgeschlossen haben. Richtig ernst wurde es dann mit ihrem dritten Album "Doremi Fasol Latido", das trotz des komischen, kindisch erscheinenden Titels ein wahrhaftes Monument des Space Rock darstellte, mithin praktisch die Blaupause für dieses Genre und bis heute Inspirationsquelle für unzählige Epigonen. Dazu zählten schliesslich auch die sagenhaften Monster Magnet, die ohne diesen Einfluss kaum denkbar gewesen wären. Im Vorfeld dieser Veröffentlichung landeten Hawkwind ihren ersten und einzigen Single Hit "Silver Machine", den Lemmy mitkomponiert hatte und auf dem er auch den Leadgesang übernahm. Alleine seine Textzeile "I, I just took a ride on a silver machine and I'm still feeling mean" durfte dabei durchaus als Gesamtmotto der Gruppe Hawkwind interpretiert werden. Zusammen mit der hypnotischen und bedrohlich wirkenden, bleischweren B-Seite "Seven By Seven" konnte man hier schon vorausahnen, was einen bei dem bald folgenden Album "Doremi Fasol Latido" erwartete.

Darüber hinaus liess sich bei "Silver Machine" bereits die prägende Handschrift des ernsthaften und stets dominanten Lemmy deutlich erkennen. Und die hatte ganz offensichtlich auch das nachfolgende Space Rock-Monster "Doremi Fasol Latido" zu dem gemacht, was es bis heute darstellt. Rückblickend betrachtet kann man das noch leichter behaupten, ohne es natürlich endgültig beweisen zu können. Aber schon das kalte, sinistre, in Schwarz und Silber gehaltene Cover-Artwork, das sich so radikal von den bunten Hüllen der zwei Vorgängerplatten unterschied, stellte ein erstes Indiz hierfür dar. Und das neue, fett und mittig platzierte Hawkwind-Logo auf der Vorderseite sah mit einiger Phantasie aus wie ein Vorläufer des berühmten Motörhead-Schädels, der weiss auf schwarz auf der ersten richtigen Motörhead-Scheibe prangte.

Viel wichtiger als diese dekorativen Spekulationen aber war Lemmy's Bass, der fast durchgehend den Sound dieser Platte entscheidend mitbestimmte. Schon der überragende, über elf Minuten lange Opener "Brainstorm" machte das klar. Denn der unablässig vorwärts treibende, leicht übersteuerte Viersaiter, der ein vom übrigen Geschehen fast losgelöstes Eigenleben führte, hielt all die darüber schwebenden, verzerrten, durch alle möglichen elektronischen Filter gepressten Instrumente und sonstigen Ton-Erzeuger zusammen und wies ihnen verlässlich den Weg ins Ohren zerfetzende, Nerven zermalmende Ziel. Dies war die konsequente Weiterentwicklung des schon erwähnten "Master Of The Universe". Repetitiver Gesang beschwörte Angst vor der Selbstauflösung. Mit Space-Romantik hatte das nichts mehr zu tun, eher mit Paranoia und entsprechenden Flucht-Phantasien. Ein Monstertrack, den die Gruppe Monster Magnet später auf ihrem Album "Superjudge" gecovert hatten.

Es folgte ein abrupter Stilwechsel nach einem seltsam unfertigen Übergang. "Space Is Deep", eine Hommage an die wesen- und eigenschaftslose Neutralität des Weltalls, startete mit elektrisch aufgebohrten Akustik-Gitarren und oszillierenden Synthesizer-Sounds und entwickelte sich zu einer total verhallten Weltraum-Ballade, in der Lemmy's Bass zwischenzeitlich wieder einmal seine ganz eigenen Geschichten erzählte. Das Stück endete mit einem ausfransenden Teil, das in das kurze, stark verfremdete Klavier-Intermezzo "One Change" überleitete. Das nachfolgende, von stark verzerrten Gitarren dominierte "Lord Of Light" lebte vor allem von drängendem, melodramatischem Gesang, der fast gesprochenen Beschwörungsformel "Flying is trying is dying, flying is trying is dying, flying is trying is dying" und der sich unablässig wiederholenden Bassfigur, über der sich die verzerrten Gitarren immer weiter im rauschenden Nebel verloren. Ein fantastisches Hall-Inferno, das mit knappen sieben Minuten leider etwas zu kurz geriet, um einen komplett in den Wahnsinn zu treiben. Aber der exaltierte musikalische Trip war ja noch nicht zu Ende.

Fast schon ausgesprochen schön wurde es mit dem übergangslos einsetzenden "Down Through The Night", einer akustisch umgesetzten Kälteschlaf-Reise zu einer fernen Galaxis. "Only the rushing is heard, onward flies the bird. Deep, deep and deep must we sink in our sleep. Down down and down, down down and down, round round and round, returning volumes of sound." Das erinnerte seltsamerweise an Filme wie "2001 Odyssee im Weltraum" oder "Alien", wo arglose Astronauten tiefgefroren einem ungewissen Schicksal entgegenflogen. Zurück zu Lemmy. Der hatte im folgenden fast neunminütigen, anstrengend hämmernden Weltflucht-Ritual "Time We Left This World Today" seinen endgültig grössten Auftritt auf diesem Album. Denn hier rezitierte er nicht nur den spärlichen Text, sondern sein monströser, ständig mäandernder Bass schob auch alles andere an Geräuschen vor sich her und letztlich zur Seite. Kein Wunder, dass der zum Ende der Platte vorgetragene Akustik-Track "The Watcher" aus der Feder von Lemmy stammte, der ihn auch selbst mit lakonischer Stimme vortrug. Wenn er schlussendlich über pfeifenden Synthi-Tönen "This is the end now" verkündete, dann duldete das keinen Widerspruch. Der Herr hatte gesprochen.

Man darf dem Album durchaus attestieren, dass ohne Lemmy im Maschinenraum das Werk "Doremi Fasol Latido" niemals zu so ein Monstrum geraten wäre. So ernsthaft und unerbittlich waren Hawkwind später kaum wieder. Dieses Album war der Grundstein für den zeitweiligen Ruhm der Band Hawkwind und natürlich für das legendäre folgende mehrteilige Live-Dokument "Space Ritual" von 1973, das die Band erneut in Hochform präsentierte und auf dem Lemmy auf dem Track "Orgone Accumulator" ein fabelhaftes, geradezu endloses Bass-Solo spielte, das seinesgleichen suchte. Auch die anderen Hawkwind-Alben mit Lemmy's Beteiligung hatten ihre Reize. Sie hiessen "Hall Of The Mountain Grill" und "Warrior On The Edge Of Time" und gehörten zum Stärksten, was die Band geschaffen hatte. Die Stücke "The Watcher" von "Doremi Fasol Latido" und "Lost Johnny" von "Hall Of The Mountain Grill" hatte Lemmy nach seinem Rausschmiss bei Hawkwind im Jahre 1975 mit seiner eigenen Band Motörhead noch einmal aufgenommen. Das Identifikations-Stück "Motörhead" schrieb er damals für Hawkwind, die es auch zuerst veröffentlicht hatten. So eng waren die Verflechtungen. "Doremi Fasol Latido" geriet zu einem ehernen Gedenkpfeiler sowohl für Hawkwind als auch für den ehrenwerten Herrn Kilmister. Nicht nur jeder, der sich Motörhead-Fan schimpft, sollte diese Platte kennen.




No comments:

Post a Comment