Jun 4, 2017


THE RESIDENTS - The Third Reich N' Roll (Ralph Records RR1075, 1976)

The Residents sind eine 1969 gegründete amerikanische Avantgarde-Band aus San Francisco. Markenzeichen der Band sind ihre eigenwilligen Kompositionen und die bizarre Interpretation von Coverversionen sowie die seit Jahrzehnten andauernde Anonymität der Mitglieder. Die Gründung der Residents reicht in die späten 60er Jahre zurück. The Residents bekamen ihren Namen, weil sie 1971 der Firma Warner Brothers ein komplett abgemischtes Album samt Covergrafik schickten. Warner war daran überhaupt nicht interessiert und schickte das Band zurück an die Adresse der ungenannten Bewohner (Residents). Wer auch nur einen Hauch von Ahnung von der Musik der Residents hat, kann das Desinteresse von Warner Brothers verstehen. 1971 erfolgte der erste Auftritt, 1972 die Gründung eines eigenen Plattenlabels, Ralph Records, auf dem noch im Gründungsjahr die erste Single "Santa Dog" erschien. Bereits vor 1972 waren Aufnahmen entstanden, die aber eher dem privaten Vergnügen und dem Studium der Klangmanipulation zuzuordnen sind, einem wichtigen Aspekt im Schaffen der Band.

Die Residents haben in der Folgezeit Bandjubiläen immer an der ersten Veröffentlichung auf Ralph Records beziehungsweise der Jahreszahl 1972 orientiert (zum Beispiel die '33rd Anniversary Tour' im Jahre 2005). 1974 erschien das erste Album "Meet The Residents", dessen grafische Gestaltung der Albenhülle eine dadaistische Persiflage auf das Album "With The Beatles" der Beatles darstellte. Die bizarre Melange aus Blues, Jazz, Rock und Klassik sorgte dafür, dass ihre Coverversionen bekannter Songs wie Nancy Sinatra's "These Boots Were Made For Walking" kaum wiederzuerkennen waren. Bis heute erscheinen die Mitglieder der Band anonym. Bei ihren Live-Konzerten trat und tritt die Gruppe stets maskiert auf, wobei insbesondere eine spezielle Verkleidung mit Frack, Zylinder und Augapfel-förmiger Kopfmaske zu einem der visuellen Markenzeichen der Band wurde. Von 1972 bis 1976 entstand der Film 'Vileness Fats', der aussergewöhnliche Tricktechnik und eine bizarre kubistische Ausstattung enthielt. Der Film wurde jedoch aufgrund der voranschreitenden Technik nicht fertiggestellt.

Danach versandten die Musiker ihre Platten per Post über die Cryptic Corporation, deren Macher Hardy Fox, Jay Clem, John Kennedy und Homer Flynn wahrscheinlich die Residents selbst waren. Es gab die wildesten Gerüchte um die Band, so sollte etwa der Milliardär Howard Hughes seinen Tod nur vorgetäuscht haben, um die Band ins Leben zu rufen. Eine andere Variante, die sich hartnäckig hielt, war die, dass es sich hier um die Beatles handeln sollte, was irgendwo verständlich war, weil das Cover ihrer ersten LP "Meet The Residents" ja dem Cover von "Meet The Beatles" nachempfunden war. Da prangten die Pilzköpfe drauf, allerdings waren ihren Köpfe mit handgemalten Hörnern und Zähnen versehen worden. Da gab es Songs wie "Skratz", "Numb Erone" oder "N-ER-GEE" und so verquer wie die Titel oder das Cover war auch die Musik. Die Residents stürzten sich anscheinend ins Studio, klimperten und sägten auf allem herum, was auch nur annähernd wie ein Musikinstrument aussah, ohne sich auch nur einen Hauch darum zu kümmern, was da für Musik herauskam und das Ergebnis hörte sich entsprechend an.

1976 erschien das zweite Album "The Third Reich N' Roll", dessen Umschlaghülle comicartig den amerikanischen Fernsehmoderator Dick Clark in Nazi-Uniform mit Mohrrübe karikierte, um den mehrere kleine Hitlerfiguren drapiert waren. Musikalisch wurden verfremdete Versatzstücke aus bekannten Rock'n'Roll Nummern aneinandergereiht; als Hauptmotiv fungierte der Refrain aus dem Stück "Land Of A Thousand Dances". Ganz so einfach war es allerdings nicht. Wie modernere Bands wie zum Beispiel Sonic Youth waren die Residents an Tönen interessiert, bzw. was man alles damit anstellen kann. The Residents kümmerten sich keinen Deut um herkömmliche Soundstrukturen, sondern interessierten sich hauptsächlich für Verfremdung. Am konsequentesten taten sie das bei "The Third Reich N' Roll". Am konsequentesten insofern, weil sie hier populäre Popsongs auseinander nahmen, durch den Reisswolf drehten und das Ergebnis wieder neu zusammensetzten, die Stimmen verfremdeten - etwas, das sich durch ihr gesamtes Werk zog, weil schliesslich niemand anhand der Stimmen die Identität der Musiker erkennen sollte. In diesem Zusammenhang kann man noch erzählen, dass der Musiker Philip Charles Lithman eine zeitlang mit den Residents als Gitarrist gearbeitet hatte. Das ist deswegen interessant, weil dieser unter dem Pseudonym 'Snakefinger' auch eigene Platten herausgebracht hatte und damit die Songs bis zur Unkenntlichkeit verstümmelte. Zu der Zeit brachten die Residents auch den Titel "Satisfaction" von den Rolling Stones als Single heraus, das sie in ähnlicher Weise zerlegten.

Wer sich an die Musik der Residents herantasten will, für den ist "The Third Reich N' Roll" vielleicht der beste Einsteiger. Die Platte besteht tatsächlich nur aus zwei Songs, die sich jeweils über eine ganze Plattenseite ziehen, vorausgesetzt, man kennt sich mit der Musik der 60er und frühen 70er Jahre aus. In diesem Fall macht es grossen Spass herauszufinden, welchen Song die Residents da gerade durch die Mangel gedreht haben. Darunter finden sich etwa Versatzstücke aus den Songs "Let's Twist Again", "Land Of 1000 Dances", "Hanky Panky", "Sunshine Of Your Love", "96 Tears", "Light My Fire", "Yummy Yummy Yummy", "Talk Talk", "In A Gadda-Da-Vida", "Telstar", "Wipe Out"und "Let The Good Times Roll". Der genialste Moment kommt am Schluss: Da werfen die Residents den ausleitenden Riff von "Hey Jude" ins Rennen, das anschliessend mit dem "Woo woo"-Chörchen vom Rolling Stones Klassiker "Sympathy For The Devil" unterlegt wird.

Ab 1976 trat das Cryptic Corporation benannte Management-Team der Residents als Sprecher der Band in Erscheinung, das aus Homer Flynn, Hardy Fox, Jay Clem und John Kennedy bestand. Clem und Kennedy, die stets bestritten, Mitglieder der Residents zu sein, sollten jedoch 1983, nach einer finanziell ruinösen ersten Tournee der Residents, der Mole Show und anschliessender Restrukturierung von Ralph Records zu 'New Ralph' wieder von der Bildfläche verschwinden. Musikjournalisten gingen daher davon aus, dass Flynn (als Sänger) und Fox (als Komponist) die massgeblichen Köpfe hinter den Residents waren und sind, wenngleich es seitens der Gruppe keinerlei Bestätigung für diese Annahme gibt. Der einzige Musiker, der seit Anbeginn seine Identität preisgab, war der Gitarrist Philip Lithman, der sich hinter dem Pseudonym 'Snakefinger' verbarg. Lithman wurde, obwohl seit 1969 kontinuierlich am Projekt beteiligt, jedoch meist nur als Gastmusiker aufgeführt. Er starb 1987. Die restlichen festen Mitglieder verzichteten auf Pseudonyme und blieben unbenannt. Lediglich Gastmusiker wurden namentlich erwähnt. Im englischen Sprachraum hatte sich die Bezeichnung 'Rezsinger' für den Sänger der Residents entwickelt, der aufgrund seiner markanten Gesangstechnik und Stimme relativ leicht wiederzuerkennen war.

Seit der Gründung der Residents hat die Gruppe über 40 Alben veröffentlicht. Vielen davon liegen gesamtkünstlerische Konzepte zugrunde. Das Album "Not Available" von 1978 soll schon 1974 mit der Intention aufgenommen worden sein, es erst dann zu veröffentlichen, wenn die Musiker das Album vergessen hatten. Das Album "Eskimo" von 1979 wurde nur mit Perkussionsinstrumenten, Stimmfetzen und Geräuschen eingespielt. Das "Commercial Album" von 1980 enthielt 40 jingle-artige Stücke mit jeweils genau einer Minute Laufzeit. Das Album "George & James" von 1984 umfasste zur Hälfte Songs von George Gershwin, die andere Hälfte war eine Nachvertonung der ersten Seite des James Brown Albums "Live At The Apollo". Das Album "The King & Eye" von 1989 war ein Konzeptalbum mit dem Thema Elvis Presley. Die Residents hatten auch konsequent weiter an Filmmaterial gearbeitet und zählten zu den Pionieren des Video Clip-Formats. Bei der Gründung von MTV zählten die avantgardistischen Trickfilme anfangs zum Standard-Repertoire des Senders. Auf Grund der bizarren Musik und der geringen Anzahl an ausgekoppelten Singles gegenüber den zahlreichen Alben blieb der Gruppe ein bedeutender Hit versagt. Lediglich "Kaw-Liga", eine Hank Williams Coverversion, avancierte Mitte der 80er Jahre zu einem frühen Klassiker der House-Musikszene. Das Arrangement baute auf dem Rhythmus von Michael Jackson's "Billie Jean" auf.

1991 veröffentlichte die Band die Multimedia-CD-ROM "Freak Show", womit sie abermals zu den Pionieren eines Mediums zählten. 1994 folgte das ebenfalls multimediale Album "Gingerbread Man". 1995 kam ein Abenteuerspiel der Residents namens 'Bad Day on the Midway' auf den Markt, dessen Szenerie ein heruntergekommener Jahrmarkt namens Midway war. Neben weiteren neuen Alben folgten seit 2001 sieben DVDs mit altem und neuem Videomaterial der umtriebigen Gruppe. In den letzten Jahren hat die Band das Projekt 'Make the Fans Rich' gegründet. Mit speziellen Veröffentlichungen in Kleinstauflagen, die rasche Preissteigerungen in Sammlerkreisen geradezu herausfordern, bedanken sich die Residents bei ihren Fans für die jahrzehntelange Treue. Die "WB Remix" Doppel-LP gab es 2003 nur 333-mal, das Album "Brumalia" erschien 2004 in einer Auflage von lediglich 1000 Stück. Im Jahr 2005 führte die '33rd Anniversary Tour' unter dem Motto 'The Way We Were' unter anderem nach Australien. Die Band trat dort in gewohnter Augapfel-Maskierung mit drei Instrumentalisten, nämlich einem Gitarristen und zwei Elektronik-Musikern, Sängerin und Sänger sowie mit einem pantomimisch agierenden Bühnendarsteller in Erscheinung. In Deutschland waren die Residents 1999 zu sehen, wo sie einen vielbeachteten Auftritt in der Kunst- und Ausstellungshalle Bonn hatten, der weltweit im Internet per Livestream ausgestrahlt wurde. Am 11. September 2001 gaben sie ein Konzert auf der Icky-Flix-Tour im Hamburger Kulturzentrum Fabrik, 2003 und 2010 jeweils eines in Düsseldorf.

Am 1. September 2008 erschien das Album "The Bunny Boy". Das Album orientierte sich an Frühwerken der Residents wie "Duck Stab" und "The Commercial Album". 2013 tourten die Residents in Dreierbesetzung bestehend aus Charles 'Chuck' Bobuck anden Keyboards, der wohl identisch mit Hardy Fox sein dürfte, dem Sänger Randy Rose alias Homer Flynn alias Mr. Skull und schlicht Bob an der Gitarre durch die USA und Europa. Erstgenannter veröffentlichte unter dem Namen Charles Bobuck auch mehrere Soloalben, gehörte jedoch ab März 2015 nicht mehr zur Tourbesetzung und verabschiedete sich 2016 offiziell ganz von der Band, wobei er angab, einer der Gründer gewesen zu sein.

Zum Gesamtwerk der Band zählen zahlreiche Mythen, die grösstenteils von der Band selbst bei Interviews der Cryptic Corporation in die Welt gesetzt wurden. In den Jahren 1970 und 1971 produzierte die damals noch namenlose Band angeblich Studioaufnahmen, mit denen man sich beim Medienkonzern Warner Brothers um einen Plattenvertrag bewerben wollte. Warner wurde als möglicher Vertragspartner ausgewählt, weil dort auch Captain Beefheart unter Vertrag war, der angeblich die Arbeit der Band beeinflusst haben soll. Da die Gruppe in gewohnt anonymer Art nur eine Antwort-Adresse, aber keinen Absender angegeben hatte, ging die abschlägige Antwort der Plattenfirma an die 'Residents', zu deutsch 'Bewohner' der angegebenen Adresse. Diese sollen diese triviale Bezeichnung künftig als Gruppennamen verwendet haben. Die Band behauptete auch, ein bayerischer Dichter, Denker und Musiker namens N. Senada (das N solle dabei für Nigel stehen), habe sie auf ihre schiefe musikalische Bahn gebracht. Senada sei zwischen 1895 und 1910 geboren. Er sei Entwickler der Theory of Obscurity, die einen massgeblichen Einfluss auf ihr künstlerisches Konzept ausübte. Diese Theorie besage: 'an artist does their purest work when they’re the most obscure, with a minimum of feedback from any kind of audience' ("Künstler arbeiten am authentischsten, wenn sie so weit wie möglich im Verborgenen bleiben; mit einem Minimum an Resonanz jedweder Art vom Publikum"). 1937 habe Senada das Stück für automatische Instrumente "Pollex Christi" komponiert, welches 1997 von den Residents eingespielt und in kleiner Auflage veröffentlicht wurde. Möglicherweise geht der Name auf einen Besuch in Ensenada, Mexiko zurück. "Pollex Christi" enthielt indes Melodiefragmente, die wesentlich jünger waren als das angegebene Entstehungsdatum, so hörte man unter anderem die Grundelemente der Titelmelodie von "Star Trek" heraus.

Von einer Polarexpedition im Zusammenhang mit ihrer LP-Produktion "Eskimo" um 1977/78 sei Senada nicht zurückgekehrt und sei 1993 gestorben. Mit ziemlicher Sicherheit handelt es sich um eine fiktive Person. Zwar ist künstlerisch eine hohe Kontinuität im bisherigen Schaffen der Band zu verzeichnen, aber dass sich unter den Kostümen der Live-Auftritte dieselben Musiker wie bei Gründung der Gruppe vor über 40 Jahren verbergen, wird bezweifelt. Im März 2006 benannte die offizielle Website der Band die Bandmitglieder als 'John, Paul, George and Reingold', womit eine Spekulation aus den 70er Jahren wieder aufgegriffen wurde, der zufolge sich die Beatles hinter den Residents verbergen würden.





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