SPOCK'S BEARD - The Oblivion Particle (Inside Out Music IOMLP 426, 2015)
Spock’s Beard wurden im Jahre 1992 von den Brüdern Neal und Alan Morse in Los Angeles gegründet. Der Keyboarder und Sänger Neal Morse war zunächst Frontmann und Songwriter der Band, die er 2002 zu Gunsten eines neuen Karriereabschnitts mit teilweise religiösem Schwerpunkt verliess. Von 2002 bis 2011 agierte danach der Schlagzeuger Nick D’Virgilio als Sänger und Frontmann der Band. Nach seinem Ausstieg besteht die aktuelle Besetzung aus Gitarrist Alan Morse, Bassist Dave Meros, Keyboarder Ryo Okumoto, Schlagzeuger Jimmy Keegan und Sänger Ted Leonard. Spock’s Beard gelten als Retro Prog-Band, die einen eigenständigen Stilmix aus dem Progressive Rock der 70er Jahre und amerikanischen Pop Rock-Einflüssen verfolgt. Bestimmende musikalische Elemente sind dabei der Klang von Mellotron, Klavier und Hammondorgel, Harmoniegesang und fugenartig versetzter Gesang sowie eine agile Rhythmusgruppe.
Die ersten zehn Jahre wurden sehr stark durch den Hauptsongwriter und Sänger Neal Morse geprägt. Morse, Sohn eines Chorleiters, hatte sich in den 80er und frühen 90er Jahren erfolglos als Pop- und Country-Songwriter in Nashville versucht. Gemeinsam mit seinem Bruder Alan traf er schliesslich im Rahmen einer öffentlichen Jam Session auf den Schlagzeuger Nick D'Virgilio und erkannte die gemeinsame musikalische Vorliebe für den Progressive Rock. Frühe Fassungen der Titel des späteren Debütalbums "The Light" existierten zu diesem Zeitpunkt bereits. Als Bassist konnte man Dave Meros rekrutieren, der zu dieser Zeit als gefragter Livemusiker in der Szene von Los Angeles aktiv war. Der Bandname geht auf eine scherzhaft gemeinte Idee von Alan Morse zurück und bezieht sich auf die Raumschiff Enterprise Episode 'Ein Parallel-Universum' (im Original 'Mirror, Mirror'), in der man einen bärtigen Mr. Spock sehen konnte.
Bereits das Debüt-Album "The Light" traf 1995 bei Kritikern auf äusserst positive Resonanz. Orientierte sich der Stil dieses ersten Albums aus vier längeren Songs noch deutlich an Werken wie Yes' "Close To The Edge" und den Frühwerken von Genesis, gewann die Band auf den folgenden Veröffentlichungen an Eigenständigkeit. Als zusätzlicher Keyboarder wurde Ryo Okumoto in die Band aufgenommen. Neal Morse entdeckte die Ausdrucksmöglichkeit von D'Virgilios Stimme und schrieb vermehrt Stücke mit komplexen Gesangsharmonien und fugenartigen Gesangspassagen. Letztere liessen des öfteren eine stilistische Nähe zur Gruppe Gentle Giant erkennen. Bis zum Jahre 2002 erschienen insgesamt sechs Alben, zuletzt die Doppel-CD "Snow", die im Stile eines Konzeptalbums die Geschichte vom Aufstieg und Fall eines Albinos mit wundersamen Heilkräften erzählte.
Neal Morse, der sich um 2000 zum Christentum bekehrt hatte, verliess die Band im Jahre 2002, um einen neuen Karriereabschnitt mit religiösem Schwerpunkt zu beginnen. Er entschied sich schliesslich für den Beginn einer Solokarriere mit christlichen Texten. Die restlichen Mitglieder der Band veröffentlichten 2003 das Album "Feel Euphoria" mit Nick D'Virgilio als Sänger. Erstmals traten alle Bandmitglieder als Songwriter in Erscheinung, zudem griff man mit John Boegehold und Stan Ausmus auf zusätzliche Songwriter aus dem freundschaftlichen Umfeld der Band zurück. D'Virgilio übernahm bei Konzerten von nun an die Rolle des Frontmanns, seinen Platz am Schlagzeug nahm hingegen Jimmy Keegan als festes Tourneemitglied ein. Diese Besetzung wurde erstmals 2005 auf dem Livealbum "Gluttons For Punishment" dokumentiert. Es enthielt einen Zusammenschnitt mehrerer Konzerte der Tour zum achten Album "Octane", auf das 2006 ein selbstbetiteltes neuntes Studioalbum folgte. Die Alben "Feel Euphoria", "Octane" und "Spock's Beard" waren insgesamt weniger von einem homogenen Stil als von einem Nebeneinander von Progressive Rock-Longtracks, Hardrock Songs und Balladen geprägt.
Nach der Trennung von ihrem langjährigen Label Inside Out Music verfolgte die Band für die Finanzierung des Albums "X" ein Geschäftsmodell, das bereits von Bands wie Marillion erfolgreich umgesetzt wurde: Interessierte Fans beteiligten sich durch eine frühe Vorbestellung an der Finanzierung des Albums und erhielten später im Gegenzug eine spezielle Ausgabe der CD mit diversen Extras. Gegenüber den vorangegangenen drei Alben war dabei stilistisch eine Besinnung auf einen einheitlicheren, stärker am Progressive Rock orientierten Stil festzustellen. Neben den Solowerken von Neal Morse waren eigene Veröffentlichungen von Nick D’Virgilio, Ryo Okumoto und Alan Morse erschienen. Am 18. November 2011 gab Nick D'Virgilio aufgrund seiner anderweitigen Verpflichtungen seinen Ausstieg aus der Band Spock's Beard bekannt. Unmittelbar darauf verkündeten die verbliebenen Mitglieder eine neue Besetzung, nun mit Tourneeschlagzeuger Jimmy Keegan und dem vormaligen Enchant-Sänger Ted Leonard als festen Mitgliedern. Leonard hatte 2011 bereits zwei Festivalauftritte mit der Band Spock's Beard absolviert, für die D'Virgilio wegen seines dauerhaften Engagements als Schlagzeuger für den 'Cirque du Soleil' nicht zur Verfügung stand.
Mein erstes Album von Spock's Beard war "Day For Night" und begleitete mich schon einen recht langen Zeitraum. Wie für wohl viele andere Anhänger der Band war der Weggang von Neal Morse auch für mich anfänglich ein schlechtes Omen, doch mit dem vormaligen Enchant-Frontman Ted Leonard und dem Tour-Schlagzeuger Jimmy Keegan kam spürbar frisches Blut in die Band, und das merkte man auch diesem Album an. Alle Songs verfügten über kleinere und feine neue Nuancen, die man schon auf den beiden Studiowerken zuvor ausmachen konnte. Auf "The Oblivion Particle" schliesslich war eine Band sichtlich gewachsen und auch verändert, aber gerade so, dass es wieder wie die homogene Einheit wirkte, wie das Jahre zuvor schon mit Neal Morse der Fall war: Die Band Spock's Beard hatte sich neu gefestigt und präsentierte neun hervorragende neue Kompositionen. "Tides Of Time" eröffnete das Album und begann sehr vertraut mit einer wundervollen Hammondorgel und weiteren exquisiten Keyboardklängen. Der nachfolgend einsetzende Gesang wirkte konterkarierend irgendwie sperrig, nicht wirklich schön, aber sehr interessant und ungewöhnlich. Er fand im weiteren Verlauf des Stückes auch keinen Höhepunkt oder Refrain. Einerseits ein typisches und irgendwie vertrautes Spock's Beard Stück, was die Melodie, die Instrumente und die Komplexität anbetrifft, andererseits ein äusserst ungewöhnlicher Opener für ein Album, weil der Titel ziemlich unzugänglich und fordernd geriet.
Das zweite Stück "Minion" setzte gleich zu Beginn ein Ausrufezeichen mit mehrsimmigem A Capella-Gesang und das gesamte Stück wirkte eher ruhig, als ausladend progressiv. Es folgte die Nummer "Hell's Not Enough": Die anfänglich sehr melodieslige Keyboard-Spielerei erinnerte phasenweise stark an die holländischen Ayreon von Arjen Lucassen. Im weiteren Verlauf setzte ein eher ruhiger, etwas düsterer Gesang ein, der aber schon bald eine merkbare Steigerung erfuhr. Insgesamt durchaus melodisch, aber vielleicht ein wenig zu nett und nicht abwechslungsreich genug, jedoch für einen Fan von melodiösem Progressive Rock schlicht eine zauberhafte Nummer. "Bennett Built A Time Machine" wäre der ideale Opener für das Werk gewesen, denn bei diesem Stück stimmte einfach alles: Melodie, starker Refrain, perfekte instrumentale Arrangement-Arbeit und überhaupt einer der vielleicht eingängigsten und kommerziellsten Post Neal Morse-Titel von Spock's Beard bis dahin.
Get Out While You Can" überraschte in zweierlei Hinsicht: Erst etwas düster in der Atmospährik, wurde das Stück immer fröhlicher und luftiger. Mit dem Gesang von Ted Leonard wurde es dann auch ruhiger. Die Gruppe präsentierte hier einen eingängigen, aber simplen Refrain, der auch ziemlich schnell im Gehör hängen blieb. Beim nachfolgenden "A Better Way To Fly" hatten Spock's Beard ebenfalls alles richtig gemacht. Einem spannenden ruhigen Anfang folgte ein angenehm rockiger Mittelteil, und zum Schluss noch eine Melodie, die einen aufhorchen liess. Und der Gehalt an frickelnden Gitarren war hier angenehm ausgewogen. Interessant auch "The Centre Line": Nach einem etwas schrägen Klavier-Intro und etwas verhaltendem Schlagzeug startete eine harmonisch-melodische Strophe, die sich dennoch nicht als vermeintlicher Ohrwurm entpuppte, sondern recht interessant und anspruchsvoll klang. Die Rhythmus-Abteilung machte hier einen bemerkenswert versierten Eindruck. "To Be Free Again" präsentierte eine durch Klaviersounds dominierte Melodie, die wiederum ausgewogen arrangiert war und stellenweise an ältere Titel der Band Asia erinnerte. Am anspruchsvollsten geriet für meinen Gusto das finale "Disappear": Ziemlich gemächlich und ruhig in jeder Beziehung, zumindest in den Anfangsminuten. Dann wurde das Stück beinahe unvermittelt hektisch, wofür vor allem das Keyboard sorgte. Es folgte eine weitere bemerkenswerte A Cappella-Gesangseinlage, welche schliesslich in ein durchaus episches Finale mündete, den unbestritten besten Teil des Songs.
Als eine Art Bonustrack präsentierten Spock's Beard anschliessend noch die Black Sabbath-Nummer "Iron Man" (auf der sogenannten 'Limited Edition' der CD). Dieser Song wirkte irgendwie fast wie ein Fremdkörper, wollte so gar nicht zum Rest der Platte passen und dürfte wohl lediglich ein Marketing Gag gewesen sein, zumal diese Version mitnichten an Black Sabbath's Original heranreichen konnte. Wenn man diesen Bonustitel ausser Acht lässt, befand sich allerdings kein einziger Ausfall unter den Songs von "The Oblivion Particle". Im Juli 2016 kam es zu einer einmaligen Wiedervereinigung der Band mit Neal Morse und Nick D'Virgilio, bei der das 2002 erschienene Doppelalbum "Snow" erstmals in voller Länge live gespielt wurde. Die Wiedervereinigung war auf zwei Auftritte beim sogenannten 'Morsefest' in Cross Plains, Tennessee und dem Night of the Prog-Festival an der Lorelei begrenzt. Der Schlagzeuger Jimmy Keegan gab 2016 seinen Abschied aus der Band bekannt. Bei Auftritten während der 'Cruise to the Edge' Anfang 2017 nahm erneut Nick D'Virgilio den Platz am Schlagzeug ein. Im Frühjahr 2017 wurde ebenfalls verkündet, dass D'Virgilio zugestimmt habe, auf dem nächsten Album der Band mitzuwirken.
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