Apr 28, 2016


JOHN & BEVERLEY MARTYN - The Road To Ruin (Island Records ILPS 9133, 1970)

Von all den Musikern, die der britische Folk Music Boom zu Mitte der 60er Jahre hervorgebracht hatte, war John Martyn mit Sicherheit der progressivste und auch einer der einflussreichsten Künstler. In seine Folk Musik liess er Elemente aus dem Jazz, dem Blues und der Rockmusik einfliessen und inspirierte mit diesem überaus innovativen und faszinierenden musikalischen Gebräu ganze Generationen von nachfolgenden Künstlern. Dass Folk Music plötzlich derart anmachend und sexy grooven konnte, war bis dato von keinem Folk Künstler zu hören. Tanzbarer Sound war das zwar nicht wirklich, aber stilistisch enge Grenzen wurden von John Martyn mit einer Leichtigkeit aufgebrochen, dass man schon von einer kleinen Sensation sprechen konnte. Die vielen nachfolgenden Künstler, die gerne John Martyn's offensichtliche Innovation als wesentlichen Einfluss ihrer eigenen Musik nannten, bestätigen die grosse Nachhaltigkeit von Martyn's grenzenüberwindendem Schaffen sehr eindrücklich.

Im Alter von 15 Jahren erlernte John Martyn das Gitarrenspiel autodidaktisch und bereits nach zwei Jahren spielte er regelmässig an Folk Abenden in den Pubs um die Ecke und in den vielen Folk Clubs rund um die Stadt Glasgow, wo er aufgewachsen war. Der bekannte lokale Folkmusiker Hamish Imlach entdeckte und förderte den jungen Musiker, der seinerseits von der klassischen Musik inspiriert war, aber auch vom barocken Folk-Stil eines Davey Graham. Durch Imlach's Kontakte konnte John Martyn zusammen mit der sehr bekannten Incredible String Band als Support Act erste professionelle Auftritte bestreiten, und wurde so einem stetig wachsenden Publikum bekannt, das den aussergewöhnlichen Stil des Künstlers sehr schätzte. Es dauerte nicht lange, da wurde Chris Blackwell, der Besitzer der Plattenfirma Island Records, auf das eigenwillige Talent aufmerksam und er verpflichtete den Künstler für sein Label. Das Resultat war John Martyn's erste LP, betitelt "London Conversations". Es ist überliefert, dass die Einspielung der gesamten Platte lediglich die Summe von 158 englischen Pfund gekostet haben soll. Nicht gerade teuer für ein Album, das trotz seiner spärlich instrumentierten und eher introvertierten musikalischen Auslegung sowohl von Kritikern wie Käufern mit ausgezeichneten Lobeshymnen versehen wurde, was letztlich dazu führte, dass Chris Blackwell dem jungen Talent einen langjährigen Plattenvertrag offerierte. Nach dem Debutalbum im Oktober 1967 folgte im Dezember 1968 das Nachfolge-Album mit dem Titel "The Tumbler", und das stellte einen grossen Schritt vorwärts dar, denn hier baute John Martyn zum erstenmal auch Jazz-Elemente in seine Folkmusik mit ein, was seinen Stil nachhaltig prägen sollte. Zum einen offenbarte diese zweite Platte seine Fähigkeiten als Songschreiber mit weit offenen stilistischen Empfindungen, andererseits war der jazzige Anteil in der Musik auch den Mitstreitern geschuldet, etwa dem Jazz-Flötisten Harold McNair. Diese LP wurde von Al Stewart produziert, einem Künstler, der auch noch selber mit hervorragenden Platten erfolgreich werden würde.

Im Januar 1969 lernte John Martyn die Folksängerin Beverley Kutner kennen, die damalige Freundin von Paul Simon. Nach einem Achtungserfolg durch einen Auftritt am Monterey Pop Festival 1967 war Beverley Kutner auf der Suche nach Begleitmusikern für weitere Konzerte, sowie die Ausarbeitung ihrer eigenen Stücke, auch im Hinblick auf die Veröffentlichung einer Platte. Die beiden lernten sich rasch auch lieben und heirateten schon im Frühsommer 1969 und gingen gemeinsam auf Tournee. Der Plattendeal mit Warner Brothers in den USA, der Beverley Kutner in Aussicht gestellt worden war, wurde nicht erfüllt. Stattdessen spielte das Ehepaar Martyn nun ihre eigene Platte für Island Records ein, das dann in den USA von Warner Brothers vertrieben wurde. Die Platte hiess "Stormbringer" und war ziemlich erfolgreich, weil sie mit ihren Arrangements und ihrer offenen Folk Rock-Attitüde durchaus mit Bob Dylan und The Band vergleichbar war. Bei den Sessions zu dem Album war denn auch der Schlagzeuger Levon Helm von The  Band zu hören, ausserdem einige weitere hochkarätige Musiker. Das Album erhielt jedoch unerwartet nicht die Resonanz wie sein Vorgänger, weshalb sich John und Beverley Martyn schon bald nach der Veröffentlichung im Februar 1970 damit beschäftigten, neue Songs zu schreiben.

Produzent Joe Boyd verpflichtete für die Aufnahmen diesmal gleich zwei weitere Jazz-Musiker, nämlich den Saxophonisten Ray Warleigh, der zuvor für Alexis Korner, die Keef Hartley Band und für John Mayall tätig gewesen war und Lyn Dobson (ebenfalls Keef Hartley Band und Soft Machine) an Querflöte und Saxophon. Auch der Saxophonist Dudu Pukwana von Chris MacGregor's Brotherhood Of Breath und Assagai spielte auf dem Album mit, das den Titel "The Road To Ruin" erhielt. Mit Alan Spenner, Dave Pegg und Danny Thompson spielten auch Rockmusiker auf diesem Album mit. So entstand dann eine einmalige musikalische Mixtur, die im weitesten Sinne den Zweck erfüllte, Folkmusik leicht jazzig und gleichzeitig bodenständig rockig erklingen zu lassen, was zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im November 1970 als durchaus progressiv bezeichnet werden konnte.

Der coole und lockere leicht jazzige Groove von "Primrose Hill", das auch als Single veröffentlicht wurde, eröffnete dieses Album sehr geschmackvoll, gesungen von Beverley Martyn mit sehr viel Feeling. Abwechselnd sangen John und Beverley Martyn die Leadstimmen, was den jeweiligen Songs viel Abwechslung gab und das Werk zu einem äusserst vielschichtigen Charakter verhalf: Immer passten die Songs perfekt auf die jeweilige Leadstimme: Das verträumte "Auntie Aviator", das wohl wundervolle subjektive "Give Us A Ring" und das Titelstück sind die musikalischen Höhepunkte hier, obgleich das ganze Album wie aus einem Guss klingt. Trotz opulenter Besetzung sind die Stücke immer sehr transparent arrangiert, wirken zu keiner Zeit überladen, respektive überproduziert und umschmeicheln jederzeit gekonnt die wundervollen Stimmen der beiden Hauptakteure. Der Anteil an Jazz-, respektive Rockmusik wirkt hier immer unterstützend und gibt den Songs Lebendigkeit und Erdung - ein perfekter Kontrast zu den eher träumerischen Stimmen der beiden.

Leider schaffte es aber auch diese zweite Platte des Ehepaars Martyn nicht in die Charts, weder in Amerika, noch in Europa, weshalb John Martyn später wieder als Solokünstler in Erscheinung trat und auch weiterhin qualitativ hervorragende Alben ablieferte, von denen sein 1973 veröffentlichtes Werk "Solid Air" heute als eines der grossen Meisterwerke des Folkrock gilt. Auch spätere Werke wie "Inside Out" (ebenfalls von 1973) oder "One World" (1977) waren hervorragend. John Martyn starb nach zahlreichen gesundheitlichen Problemen (unter anderem musste ihm ein Bein amputiert werden, weshalb er in den letzten Lebensjahren nur noch im Rollstuhl auftreten konnte) am 29. Januar 2009 60-jährig in Irland, nachdem ihm noch eine ganz besondere Ehre zuteil geworden war: Queen Elizabeth die Zweite ernannte den Künstler zum "Officer Of The Order Of The British Empire".



 

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