Apr 9, 2016


MANFRED MANN CHAPTER THREE - Manfred Mann Chapter Three 
(Vertigo Records VO 3, 1969)
MANFRED MANN CHAPTER THREE - Volume Two (Vertigo Records 6360 012, 1970)

Manfred Sepse Lubowitz aus Südafrika, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Manfred Mann, war in den 60er Jahren mit seiner Band einer der erfolgreichsten Pop Acts, der zahlreiche Top-Hits landen konnte, von denen nicht weniger als 21 die Top Twenty, die Singles "Doo Wah Diddy Diddy", "Pretty Flamingo", "Mighty Quinn" und die EP's "The One In The Middle", "No Living Without Loving" und "Machines" sogar Platz 1 erreichten. Aus der Sicht von Manfred Mann und seinem langjährigen musikalischen Partner Mike Hugg war dies in künstlerischer und kreativer Hinsicht auf Dauer allerdings frustrierend, denn obwohl die Musiker im Laufe der Zeit eigentlich eher anspruchsvollere Musik produzieren wollten, fühlten sie sich in der Falle des kommerziellen Dreiminuten-Songs gefangen.

Ein kreatives Ausbrechen schien lange Zeit nicht möglich, weshalb sich die beiden Musiker nebenher damit beschäftigten, Jingles für das Fernsehen zu produzieren, was ihnen schliesslich auch die Möglichkeit eröffnete, Filmmusik für TV-Serien und Dokumentarfilm-Projekte zu realisieren. In dieser Eigenschaft arbeiteten Mann und Hugg auch mit weiteren Musikern zusammen und gaben dieser Arbeits-Gruppe den Namen EMANON (No Name rückwärts geschrieben). Dieser Gruppe gehörten neben Manfred Mann und Mike Hugg auch der Saxophonist und Flötenspieler Bernie Living, der Bassist Steve York und der Schlagzeuger Craig Collinge an. Noch im April 1969, als Manfred Mann mit einem weiteren seiner Sunshine Pop-Songs bis auf Rang 8 in der britischen Hitparade vorstiess ("Ragamuffin Man"), gab er parallel dazu am 26. April 1969 sein Debutkonzert unter dem Namen EMANON, die Band erweitert um nicht weniger fünf Musikern, die ausschliesslich Blasinstrumente spielten. Die musikalische Ausrichtung hatte nichts mehr mit einfach strukturierter Popmusik zu tun, vielmehr spielte die Gruppe einen Jazz Rock, der sehr viel freies Jammen beinhaltete und oft bis in kakophonische und disharmonische Ebenen vorstiess - etwas, das zumindest Manfred Mann gar nicht so fremd war, studierte er doch ursprünglich klassische Musik mit Ausbildung am Klavier und arbeitete in seiner Heimat Südafrika als Jazzpianist und Musiklehrer.

Als Manfred Mann 1961 nach England übersiedelte, gründete er zusammen mit dem Schlagzeuger Mike Hugg seine erste Band mit dem Namen MANN HUGG BLUES BROTHERS, der am Mikrophon auch der exzellente Sänger Paul Jones angehörte. Bis 1963 spielte diese erste Band, eigentlich Manfred Mann's Chapter One, einen typisch britischen Rock'n'Roll und Rhythm'n'Blues jener Zeit, der sich ab 1963 mit einer Umbesetzung der Band und der Reduktion auf Manfred Mann als alleinige Bezeichnung und der stilistischen Anpassung an den aufkeimenden Beat quasi als Chapter Two in Mann's History als äusserst erfolgreiche Phase erwies. Bis 1969 der erneute Umbruch stattfand. Als Chapter Three nun auch so benannt, spielte die Gruppe keinen massentauglichen Pop mehr, sondern liess ishc inspirieren vom progressiven Rock, der bei Manfred Mann's Chapter Three geprägt war vom vielseitigen Keyboardspiel Manfred Mann's und den teils kruden und bisweilen recht abstrakten Kompositionen von Mike Hugg, der sich als wahrer Fliessband-Komponist erwies. Angeblich sollen in der nur eineinhalb Jahre währenden Chapter Three Phase Hunderte von Songs entstanden sein, von denen sich die wenigsten bis zu einer fixfertigen und an Konzerten spielbaren Version entwickelten. Die abseitigen Brass-Arrangements, die stellenweise nur schwer konsumierbar waren, standen in krasser Opposition zum davor produzierten Fliessband-Pop der 60er Jahre.

Das musikalische Konzept passte ziemlich genau ins Portfolio des neu gegründeten Philips-Ablegers Vertigo Records.  Mit den Free Form Elementen aus der Jazzmusik harmonierten sie gut mit anderen Label Acts wie beispielsweise Affinity oder Ian Carr's Nucleus, allerdings ohne deren nachhaltiger Qualität. Es mag wohl daran gelegen haben, dass kein richtiger Sänger dafür sorgte, dass die Stücke der Gruppe eventuell "singbarer" geworden wären, denn obwohl Mike Hugg die gesungenen Stücke selber sang, waren sie doch eher als instrumentale Musik vorgesehen und konzipiert. Jedenfalls schreckte diese Musik die meisten der alten Fans ab, die sich weiterhin Hit an Hit erhofften. Die Platte war wenig erfolgreich und erst Jahrzehnte später wiederentdeckt worden von Fans, Sammlern und auch von Musikern. Die Band PRODIGY verwendete zum Beispiel Samples des Chapter Three Stücks "One Way Glass" für ihren eigenen Song "Stand Up". Die Gruppe tourte intensiv in Europa und Amerika, um ihr erstes Album zu promoten. Da sich der Aufmarsch der Fans aber in Grenzen hielt, konnte man dieses Unternehmen schon bald als gescheitert abhaken. Die Musik, mit welcher Chapter Three auf Tournee ging, war einfach nicht für die grossen Massen gedacht: Zehn Bandmitglieder, davon 6 teils exaltierte und dem freien Jazz-Spiel beinahe bedingungslos ergebene Bläser waren einfach zuviel des Konsumierbaren für normal Sterbliche.

Im Frühjahr 1970 startete die Band mit den Aufnahmen zum nächsten Album "Chapter Three Volume Two". Die Besetzung hatte sich geringfügig verändert, die Musik allerdings hörbar weiterentwickelt: Der Anteil an teils schwer verdaulichen, fast atonalen Bläser-Attacken hatte sich drastisch reduziert. Schlagzeuger Craig Collinge verliess noch während der Aufnahmen die Band. Er wurde ersetzt durch Conrad Isidore, den späteren Schlagzeuger der Gruppe Hummingbird und Bruder des Robin Trower-Schlagzeugers Reg Isidore. Auisserdem stiess zu den Aufnahmesessions auch Schlagzeuger Andrew McCulloch dazu, jener Drummer, der danach Michael Giles bei King Crimson ersetzte und auch mit Greenslade, Anthony Phillips und der Gruppe Fields zusammenspielte.

"Volume Two" bot als herausragendsten Song einen über eine Viertelstunde laufenden sehr groovenden Jam mit dem Titel "Happy Being Me", der viel Raum bot für Klaviersoli von Manfred Mann und etliche Bläsereinlagen, die nun aber wesentlich mehr dem Groove dienliche Motive zeigten als nur loses, dem Free Jazz entlehntes Spiel zu zeigen. "Volume Two" wartete auch mit einer Ueberraschung auf: Hier konnte man auch plötzlich teils rein akustisch gehaltene, fast verträumt-liebliche, dem britischen Folk entlehnte Stücke hören, beispielsweise das sich wie durch einen düsteren Schleier anzuhörende "I Ain't Laughing", das der relativ hellen Stimmfarbe von Mike Hugg äusserst gerecht wurde. Auch der später als Single erschienene Track "Virginia" - die einzige von Manfred Mann geschriebene Nummer auf dem Album! -  klang wesentlich griffiger, leichter und auch mit einem leicht verträumten Charakter, wobei sich die Band hier zwischendurch eine rigorose Bläserattacke leistete, die vielleicht nicht wirklich in diesen Song passte, jedoch immerhin als originelle Eruption wahrgenommen wurde. Auf dieser zweiten Platte stammten alle Songs mit Ausnahme von "Virginia" aus der Feder von Mike Hugg, was absolut für seine Qualitäten als Songschreiber sprach, wenn man zum Beispiel diese Songs mit denjenigen der ersten Platte verglich. Mike Hugg war sowohl im Pop, wie im Folk, im Rock und im Jazz gleichermassen sattelfest, komponierte wie ein Berserker und die jammige "Lady Ace", der Opener von "Volume Two" vereinte einige seiner kompositorischen Ausrichtungen in einem Song.

Manfred Mann Chapter Three's zweites Album "Volume Two" erschien am 23. Oktober 1970 in England. In den USA wollte sich Polydor nicht auf das Experiment einlassen, das Album zu veröffentlichen, nachdem die Platte zuvor nur sehr schlecht verkauft werden konnte. Im darauffolgenden Jahr vergrösserten sich die Probleme für die Band auch hinsichtlich der Finanzen. Die 10 Musiker umfassende Gruppe bedeutete alleine schon wöchentliche Fix-Kosten für die Musiker in der Höhe von 2400 Pfund - eine horrende Summe für einen kommerziell nicht erfolgreichen Act. Im Frühjahr 1971 zog Manfred Mann deshalb die Reissleine und suchte eine neue musikalische Ausrichtung für seine Musik. Sein treuer Partner Mike Hugg blieb, auch eine Rumpfgruppe spielte weiterhin mit Manfred Mann, und diese reduzierte Gruppe ging anschliessend ins Tonstudio, um eine weitere LP einzuspielen. "Chapter Three / Volume Three" wurde komplett eingespielt, aber nicht veröffentlicht. Erst in den 90er Jahren fanden sich die originalen Mastertapes der Platte im Archiv einer amerikanischen Plattenfirma wieder, wo sie während über 25 Jahren geschlummert hatten. Drei Songs dieses dritten Albums - "Messin' Up The Land", "Fish" und "Turn You Away From My Door" erschienen später auf einer 4 CDs umfassenden Werkschau von Manfred Mann mit dem Titel "Odds & Sods: Mis-Takes & Out-Takes".

Gerade diese Aufnahmen, die zu einem dritten Album hätten führen sollen, beflügelt die Phantasie der Plattensammler, vor allem jener des Vertigo Swirl Labels. Im originalen Katalog des Labels fehlen bis heute Angaben und Informationen zu den Katalognummern 6360 022 (1970) und 6360 057 (1972). Da die Aufnahmen erst 1971 eingespielt worden sind, könnte es durchaus sein, dass von Vertigo Records eine Veröffentlichung vorgesehen war und eine entsprechende Arbeits-Referenznummer vergeben wurde (möglicherweise also 6360 057), das Label später aber von einer Veröffentlichung Abstand nahm.

Manfred Mann indes arbeitete weiter, schrieb vermehrt eigene Stücke, wie er dies schon länger gewünscht hatte, und ging mit einem neuen musikalischen Projekt an den Start: Der Manfred Mann's Earth Band, einer leicht progressiven Pop und Rock Band, die sich als wesentlich erfolgreicher erwies als sein Chapter Three Unternehmen. Das Markenzeichen der Band waren auch nicht mehr fordernde Bläsersätze, sondern Mann's elegante und bisweilen rockige Hammond Orgel, sowie sein äusserst kreatives Klavierspiel. Mit seiner Earth Band ist Manfred Mann bis heute aktiv.






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