Beatnik's Music Corner

AMAZING BLONDEL - Evensong (Island Records ILPS 9136, 1970)

Die Gruppe Amazing Blondel ging aus einer Rockband namens Methuselah hervor, die in der englischen Stadt Lincoln gegründet worden war. Als die beiden Musiker Terry Wincott und John David Gladwin bei einem Konzert akustische, an traditionelle Melodien angelehnte Songs spielten, war das Publikum dermassen begeistert, dass sie beschlossen, nur noch diesen Stil zu pflegen. Sie wählten den Namen Amazing Blondel und nahmen gemeinsam mit Studiomusikern eine Platte für das Label Bell Records auf ("The Amazing Blondel And A Few Faces"). Zwar kam die Gruppe damit nicht über eine regionale Bekanntheit hinaus, aber der darauf enthaltene "Shepherd's Song" blieb jahrelang durch eine humorvolle Live-Version ein Höhepunkt der Konzerte. Durch die Vermittlung des Bassisten der Gruppe Free, Andy Fraser, kam ein Plattenvertrag mit der Firma Island Records zustande. Das kam so: Das Duo Wincott und Gladwin spielte als Support Act an einem Konzert der Gruppe Free in Hull. Damals waren Free noch nicht so populär, ihr grösster Hit "All Right Now" noch nicht geschrieben. Nachdem Amazing Blondel ihren relativ kurzen Gig fertiggespielt hatten, suchte der Free-Bassist Andy Fraser die beiden mittelalterlich kostümierten Musiker in ihrem Umkleideraum auf und fragte sie, ob sie bereits irgendwo unter Vertrag stehen würden. Terry Wincott und John Gladwin antworteten, dass sie zuvor einen Plattenvertrag mit Bell Records hatten, dass dieser aber eigentlich ausgelaufen war, und der Vertrag vorläufig erst einmal die Veröffentlichung eines Albums vorsah ("The Amazing Blondel And A Few Faces"). Ausserdem würden sie gerade nicht an einer neuen Firma Ausschau halten, da sie persönlich wenig Möglichkeitne sahen, eine Plattenfirma mit ihrer eher aussergewöhnlichen Musik begeistern zu können. Die beiden Musiker glaubten auch nicht, dass sich die Firma Island Records ernsthaft für sie interessieren könnte, nachdem ihnen Andy Fraser versprochen hatte, sich bei Island Records-Gründer Chris Blackwell für sie einzusetzen.

Tatsächlich erhielt die Band kurze Zeit später eine Einladung von Chris Blackwell, bei Island Records vorstellig zu werden. Ein Meeting wurde vereinbart bei Island Records Headquarters an der Basing Street in London. Kurze Zeit vor diesem für die Band so wichtigen Termin schloss sich Edward Baird der Gruppe als Dritter im Bunde an. Die musikalischen Arrangements waren durch den Zuwachs eines dritten Musikers ausgefeilter geworden und das Vorspielen bei Island Records trug unerwartet Früchte: Chris Blackwell nahm die Band unter Vertrag. John Gladwin erinnerte sich später an dieses Vorspielen: We played "Spring Season" with all of the enthusiasm we could summon up. We finished, the last chord hung in the air, with it, a silence, an eternity, when Chris Blackwell asked us what advance we wanted! To say our relief was tangible was an understatement. Chris Blackwell negotiated us out of our old recording contract, and with a new van a new PA we were Island Recording artists!" Die Platte "Evensong" wurde kurze Zeit später in Angriff genommen und enthielt zum ersten Mal den typischen pseudo-elisabethanischen Sound. "Evensong" wurde schliesslich das zweite Album von Amazing Blondel und bedeutete einen markanten Schritt vorwärts gegenüber dem noch eher recht rudimentär gehaltenen Debutalbum auf Bell Records, weshalb dieses erste Album auch immer wieder übersehen wurde, bis heute gehen viele Fans der Gruppe davon aus, "Evensong" wäre das erste Album von Amazing Blondel gewesen.

Das Neue und Interessante an der auf "Evensong" präsentierten Musik war, dass Amazing Blondel damit keinerlei stilistische Schubladen bedienen konnte: Für den üblichen britischen Folk waren sie zu mittelalterlich, für den Rock sowieso ungeeignet, was aber trotzdem aufgrund der Labelzugehörigkeit bei Island Records dazu führte, dass die drei Musiker als Support Act für allerlei Bands und Musiker aus dem Island-Stall auftreten konnten. Free waren dabei nur gerade die Populärsten in jenen Tagen. Zu Amazing Blondel's Stil muss man allerdings schreiben, dass sich dieser Inspirationsquelle der mittelalterlichen Musik bereits einige andere ausgewiesene Rockbands ebenfalls bedienten, so etwa Led Zeppelin (nachhörbar auf ihrem Stück "The Battle Of Evermore", aber auch die traditionellen Folkmusiker Bert Jansch und John Renbourn. Insbesondere aber die Bands Pentangle und Fairport Convention in deren Frühphase. Auch die Progressive Folkband Gryphon spielte teilweise mittelalterliche Weisen neu ein und verwendete dafür oftmals ein ähnliches traditionelles Instrumentarium wie Amazing Blondel, wie etwa Krummhorn, Laute oder Spinett. "Evensong" war eine ebenso exzentrische wie unterhaltsame Mischung aus Folkmusik mit elisabethanischem Bezug, der von den drei Musikern auf der Bühne mit manchmal bis zu 40 verschiedenen altertümlichen Instrumenten zum besten gegeben wurde. Auf der Platte waren die prägnantesten Instrumente sicherlich das Spinett, die Laute und verschiedene Holzblasinstrumente, von denen das Krummhorn eine besondere Stellung erhielt. Auch eine Zither und verschiedene Oboen dominierten einzelne Stücke, von denen kein einziges aus der Rolle fiel: Die ganze Platte klang wie aus einem Guss und hoffnungslos aus der Zeit gefallen. Wer sich das Album anhörte, wähnte sich mitten im alten England zu Zeiten der Könige und Königinnen, der Gaukler und der Handwerker.

Schön war auch das aufklappbare Plattencover, das die drei Musiker in den ehrwürdigen Gemäuern der Lincoln Kathedrale zeigte, zeittypische Instrumente in den Händen haltend. Amazing Blondel spielten auf "Evensong" und auch auf ihren späteren Alben ausschliesslich selbstverfasste Songs, die jedoch geschickt auf die traditionelle englische Musik zurückgriffen. Neben Liebesliedern besangen sie ihre Heimat Lincolnshire. Alle drei Musiker waren Multi-Instrumentalisten und spielten mehrere Instrumente, zumeist getragen vom Zusammenspiel zweier akustischer Gitarren und einem ausgefeilten Harmoniegesang. Da es keine Schlaginstrumente gab, hätte man die Gruppe auch dem Folk zuordnen können, aber anders als beispielsweise Steeleye Span spielten Amazing Blondel keine neu arrangierten Traditionals, sondern ausschliesslich eigene Kompositionen. Spektakulär war die zwanzigminütige Suite "Fantasia Lindum" vom gleichnamigen Album, das als Nachfolger von "Evensong" ein Jahr später präsentiert wurde, bei der einzelne Songs durch Tänze und das wiederkehrende Grundthema miteinander verbunden waren. Obwohl die Gruppe erfolgreiche Europa-Tourneen unternahm, gelang ihr nie der grosse Durchbruch, weil ein durchschlagender Hit fehlte.

Nach der Aufnahme eines weiteren Albums ("England") verliess John David Gladwin 1973 die Gruppe, die anschliessend unter dem verkürzten Gruppennamen Blondel einen Stilwechsel vollzog und mit rockigeren Songs zu reüssieren suchte, unterstützt unter anderem von Steve Winwood, Paul Roders und Simon Kirke - LP "Blondel"). Obwohl die verbliebenen Bandmitglieder Edward Baird und Terry Wincott zusammen noch mehrere Alben einspielten, blieb der Erfolg letztlich aus, und die Band löste sich im Jahr 1977 auf. Zwanzig Jahre später erwachte ein neues Interesse bei den Fans, als die Alben der Gruppe von der Plattenfirma Edsel Records auf CD veröffentlicht wurden. Nun entschlossen sich die Musiker zu einer neuen Aufnahme in der ursprünglichen Besetzung. Mit dem Album "Restoration" knüpften Amazing Blondel an die Platten der frühen 70er Jahre an, ohne deren Finesse noch einmal zu erreichen. Sporadisch verzeichnete die Gruppe auch Live-Auftritte, vor allem in England, Skandinavien und Italien. Amazing Blondel machten Musik mit einem unverwechselbaren Stil und setzten im englischen Folkrock der frühen 70er Jahre eigene Akzente, obwohl sie immer im Schatten bekannterer Folkrock-Bands wie Fairport Convention oder Steeleye Span standen.