KEVIN COYNE - Matching Head And Feet (Virgin Records V2033, 1975)
Er war letztlich ein ganz besonderer und durchaus auch sonderbarer Rock Idealist, der vielleicht nicht gut einzuordnen war, mit Sicherheit aber zu den eindruckvollsten, lebendigsten und auch kreativsten Persönlichkeiten gehörte, welche die Rockmusik je hervorgebracht hat. Es war diese ganz spezielle und persönliche Rock-Poesie, die den Künstler Coyne ausmachte. So wie er vergrub sich kein Anderer in seiner Kunst. Er knödelte, forschte, schaute hin und schrieb auf. Danach setzte er seine Eindrücke in musikalische Statements um, die manchmal weit weg vom gängigen Mainstream und den bekannten Songmustern waren. Die stilistische Vielfalt des kauzigen Krauskopfs war bemerkenswert. Der kleinwüchsige Querkopf, fast immer mit ausgebeulten Hosen über die Bühnen der Welt schlurfend, präsentierte sich stets als ein äusserst präziser Beobachter seiner Umgebung, der all seine Erfahrungen und Eindrücke immer authentisch und oftmals kompromisslos in kantigen und sperrigen Songs umsetzte. Dabei blieben seine politischen Beobachtungen undogmatisch, offen, fernab von plakativen Schlagwörtern und modischen Posen. Er beschrieb die hoffnungslose Sehnsucht nach einer besseren Welt, verfasste düster-melancholische Liebeslieder, deutete verwirrende Traum-Phantasien und skizzierte spöttische Bilder des bürgerlichen Alltags. Kevin Coyne verstand sich stets auch als Sprachrohr der Proletarier, der sozial Benachteiligten und der gesellschaftlichen Randgruppen. Dazu befleissigte er sich zumeist einer kargen, auf das Wesentlichste reduzierten, vom Blues inspirierten Musik und einzigartigen, sehr aussergewöhnlichen inhaltlichen Wechselbeziehungen zwischen Gesang, Text und Musik.
Der Sohn einer Arbeiterfamilie studierte Kunst, betätigte sich als Hobbymusiker und begann sich während seines Studiums für therapeutische Kunsterziehung zu interessieren und absolvierte sein Praktikum in einer Nervenheilanstalt. Seine später sehr ambitionierte Songlyrik wurde von dieser Erfahrung und der anschliessenden Tätigkeit als Sozialarbeiter entscheidend mitgeprägt und nachhaltig gekennzeichnet. Während er anfangs noch nebenbei abends in den örtlichen Pubs seine selbstverfassten Songs mit schnarrender Stimme vorführte, begann er im Jahre 1969, verbunden mit einem Umzug nach London, sein Musik-Engagement zu intensivieren. Mit Dave Clague (Bass und Gitarre) gründete er zunächst die Formation Coyne-Clague, aus der bald darauf die bizarre, vom Blues gleichermassen wie vom psychedelischen 60s Sound beeinflusste Band Siren erwuchs.
Zwei weitgehend ignorierte Alben erschienen schliesslich von Siren ("Siren" 1969 und "Strange Locomotion" 1971), beide auf dem Kultlabel Dandelion Records des englischen DJ's John Peel. Siren segneten als Band schon das Zeitliche, noch bevor einige Planungen zu Konzerten in den USA abgeschlossen waren. Im Jahr darauf veröffentlichte Coyne dann sein erstes Soloalbum "Case History" bei Polydor Records, auf welchem der rockende Sozialarbeiter erstmals eindrucksvoll zwischen atonalen Ausbrüchen und simpler Blues-Einsilbigkeit seine Klinik-Erlebnisse verarbeitete. Kevin Coyne zeichnete ein brüchig-radikales Stimmorgan aus, das bestens mit den einfachen Arrangement harmonierte. Er leistete sich auch in Zukunft aussergewöhnliche Stimmeskapaden und verzichtete fast ausnahmslos auf komplizierte Technik-Demonstrationen, Stromlinien-Rock und Hitparaden-Einfallslosigkeit. Er produzierte politisch und sozial stark engagiert am Plattenumsatz vorbei, missachtete sämtliche Markt-Gesetze und übersah kommerzielle Soundmuster. So hielten die Massenmedien, vor allem Radio und Fernsehen, Distanz zu Kevin Coyne, und da selten mehr als ein paar Tausend Stück der regelmässig erscheinenden Alben verkauft wurden, blieb der schrullig wirkende Einzelgänger und Querkopf lange Zeit ein bestgehüteter Geheimtipp.
Das Zusammentreffen mit Richard Branson, einem überzeugten Fan des schrägen Vogels Coyne, war ein Segen für den Künstler. Gleich zu Beginn der Zusammenarbeit mit dem Label Virgin Records lieferte er mit dem Doppelalbum "Marjory Razorblade" ein eindrückliches Statement seiner Kunst ab. Danach folgten weitere Alben für das Label, die sich stilistisch und instrumental teilweise stark voneinander unterschieden. Es gab mal eher folkorientierte Werke, dann wieder recht sperrige Alben, doch 1975 überraschte Kevin Coyne mit einem veritablen Rockalbum mit dem Titel "Matching Head And Feet". Der Musiker war zu diesem Zeitpunkt seit längerem mit einer gut eingespielten Band unterwegs und es schien nur logisch zu sein, dass er mit dieser perfekt funktionierenden Begleitgruppe, mit welcher er live ziemlich losrocken konnte, einmal auch auf Platte in eine wesentlich rockigere Richtung gehen würde. Das Resultat war ebenso überraschend wie überzeugend. Bereits der Opener "Saviour" geriet zum herzhaftesten Rocksong, den Coyne bislang aufgenommen hatte. "Matching Head And Feet" ging um einiges lauter, direkter und aggressiver in Richtung Powerrock, während seine sonst bekannten spärlich von einer Gitarre begleiteten spröden Folksongs hier weitestgehend aussen vor blieben.
Mit den Titeln "Lonely Lovers" und insbesondere "Sunday Morning Sunrise" präsentierte Kevin Coyne indes zwei ganz wunderbare Rockballaden, die ebenfalls akustisches Neuland bedeuteten, denn üblicherweise hatte er solche Songs fast ausschliesslich akustisch und spärlich arrangiert aufgenommen. Hier zeigte eine tolle Rockband, dass sie sich auch im Zurücknehmen und dem Verbreiten einer überaus warmen Grundstimmung absolut versiert war, und trotzdem sich dies neu anhörte, war und blieb es unverkennbar Kevin Coyne. Der Künstler und seine kompetente Begleitband zeigten hier absolute Einfühlsamkeit. Das war bei den beteiligten Musikern allerdings nicht weiter verwunderlich. Mit dem Gitarristen Andy Summers spielte hier der spätere Police-Gitarrist. Ausserdem waren an den Aufnahmen der Bassist Archie Leggett, langjähriges Mitglied von Kevin Ayers' Band, von John Cale und von Daevid Allen ebenso mit von der Partie wie der Schlagzeuger Peter Woolf, der zuvor in der Band von Alex Harvey ("Roman Wall Blues") mitgespielt hatte.
Das bissige "Turpentine", das sich später zu einem fest in Coyne's Repertoire verankerten Standard mauserte, über den sympathisch-hölzernen Rumpler "Rock'n'Roll Hymn" bis zum verstörenden "Tulip" bot Kevin Coyne erneut ein extravagantes Füllhorn voller spritziger Ideen, toller Songs und ungebrochen zynisch-couragierter Songtexte, die seine scharfe Beobachtungsgabe aller möglichen Alltagssituationen einmal mehr trefflich unter Beweis stellten. Zwischen makabrer Persiflage und todernster Umsetzung menschlicher Konflikte manifestierte der Musiker seinen künstlerischen Anspruch, den er im Verlaufe seiner gesamten Karriere niemals aufgab. Diese schonungslose Offenheit vermochte der unbequeme, aufrichtige Entertainer auch in seinen Konzertne umzusetzen, ganz egal ob als Solist im intimen Rahmen oder mit Unterstützung einer krachend lärmigen Rockcombo. Er blieb stets dieser ruppige Gesell und schroffe Eigenbrötler, dessen Gesang zur harschen Musik alles andere als leicht konsumierbar war.
Im Laufe der Jahre, insbesondere während seiner Zeit bei Virgin Records in den 70er Jahren, spielten eine beachtliche Menge ausgewiesener und bekannter Musiker mit Kevin Coyne zusammen. Dazu gehörten etwa der Keyboarder Zoot Money, die deutsche Sängerin Dagmar Krause von The City Preachers oder wie hier auf der "Matching Head And Feet" der Gitarrist Andy Summers. Als sein Plattenvertrag gegen Ende der 70er Jahre auslief, landete Kevin Coyne bei verschiedenen kleineren Plattenlabeln, machte aber weiterhin gute Musik, die sich jedoch nicht mehr allzu grossartig verkaufen liessen, was leider nicht ihren wahren Wert widerspiegelt. Er blieb auch nach seinen eher leicht kommerziellen Jahren bei Virgin Records auch in späteren Zeiten der ewige Geheimtipp. Nach einer eher elektronischen Phase mit zwei sehr reduktiven Alben ("Pointing The Finger", "Politicz") leitete er mit dem 1983 erschienenen Album "Legless In Manila" eine neue stilistische Gangart ein, die immer noch sehr reduziert in seinen Arrangements wirkte, jedoch zunehmends zugänglicher, bisweilen auch mit wesentlich mehr Pop-Appeal ausgestattet war. "Matching Head And Feet" war Kevin Coyne's 'Rockalbum'. Ein weiteres tolles Werk in seinem umfangreichen Schaffen, das wieder eine entdeckenswerte stilistische Facette dieses umtriebigen Künstlers zeigte.
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