BRUCE SPRINGSTEEN - We Shall Overcome / The Seeger Sessions
(Columbia Records 82876 83439 1, 2006)
Mit dem Werk "We Shall Overcome: The Seeger Sessions" huldigte Bruce Springsteen mit der so genannten Seeger Sessions Band der amerikanischen Folk-Legende Pete Seeger. Zu diesem Tributealbum sagte der Boss damals: "Aufgewachsen als Kind des Rock'n'Roll wusste ich nicht viel über Pete Seeger's Musik oder die Grösse seines Einflusses". So kaufte er sich einige Alben und war überwältigt. Durch Soozie Tyrell, der Geigenspielerin in Springsteens E Street Band, lernte er einige Musiker aus New York kennen, darunter auch einige, die bereits auf dem Tributealbum mitmachten und 2005 und 2006 kam es zu zwei jeweils eintägigen Sessions. Man kann die Aufnahmen als Liveaufnahmen bezeichnen, da die Aufnahmen ohne Proben stattfanden und man Springsteen hören konnte, wie er Namen der Musiker oder neue Instrumentengruppen ansagte. Das Album war das erste von Springsteen, das ausschliesslich aus Coversongs bestand und es unterschied sich nicht nur von Springsteens bisherigem Werk, sondern es gab auch Unterschiede zu den Aufnahmen der Songs, die Pete Seeger selbst gemacht hatte. Während Seeger seine Lieder meist einfach instrumentiert spielte, fielen Springsteens Arrangements um einiges üppiger aus. Die Auswahl umfasste Work Songs, Spirituals und Protestlieder, es war möglich, das Album und die Liedauswahl als Springsteens subtilen Kommentar zum Zustand Amerikas zu sehen. In den USA wurde das Album auf 'Dual Disc' veröffentlicht, deren eine Seite die CD enthielt, auf der zweiten den Film über die Aufnahmen und das Album im audiophilen PCM Stereo Format. In Europa enthielt das Album eine CD mit dem Album und eine DVD mit dem Film. Neben der CD Ausgabe gab es das Album auch als Langspielplatte. Dem Album lag ein Booklet mit den Linernotes von Bruce Springsteen bei, ebenso enthielt es die Songtexte und jeweils eigene Anmerkungen zu den einzelnen Songs.
Bereits in früheren Jahren hatte Bruce Springsteen immer wieder auf die Folk-Tradition der USA zurückgegriffen. Etwa mit seinen Alben "Nebraska" (1982) und "The Ghost Of Tom Joad" (1995), aber auch mit Interpretationen von Woody Guthries "This Land Is Your Land" (auf "Live 1975-1985") und schliesslich dann zuerst Pete Seegers "We Shall Overcome", das er 1997 für eine Tribute-Platte aufnahm. Ebendieses Stück bildete dann die Grundlage für das vorliegende Album. 2005 und 2006 trommelte Bruce Springsteen für jeweils einen Tag Musiker der damaligen Session zusammen, um weitere Lieder aus dem Repertoire des zurückgezogenen Sängers einzuspielen. Mit dabei waren neben Ehefrau Patti Scialfa auch Soozie Tyrell, Geigerin der E-Street Band, und eine Riege eher unbekannter Musiker aus New Jersey. Treffpunkt: Das Wohnzimmer von Springsteens Farm. Der lockere Umgang der Beteiligten führte zu einer euphorisierenden Spontaneität. Sie hätten die Stücke nicht eingeübt, liess Springsteen die Hörer des Albums wissen. Er habe einfach den Titel vorgegeben, und alle hätten losgelegt. Die Arrangements fielen dennoch nicht simpel aus: Geigen, Gitarren, Banjos, Perkussionen, Blasinstrumente und allerlei mehr führten zu einem lebendigen, fröhlichen Album. Nicht dem Zufall überlassen war hingegen die Auswahl der Songs. Zwar hatte Pete Seeger sie alle irgendwann aufgenommen, aber "We Shall Overcome" blieb letztlich einer breiteren Masse das einzig bekannte Stück des Folkmusikers. Bei den anderen, für das Album ausgewählten Titeln handelte es sich fast durchgängig um Traditionals, die bis ins 16. Jahrhundert zurückreichten, wie zum Beispiel das abschliessende "Froggie Went A Courtin". Zu Gassenhauern aus vergangenen Jahrhunderten wie "Jesse James", "Old Dan Tucker" oder "John Henry" gesellten sich dabei Spirituals wie "O Mary Don't You Weep", "Jacob's Ladder" und "Eyes On The Prize" sowie Protestlieder wie "My Oklahoma Home" und "Pay Me My Money Down".
Mehr als um ein Pete Seeger-Songbook handelte es sich also um eine Hommage an die Wurzeln US-amerikanischer Musik. Wie wichtig Bruce Springsteen die Geschichten hinter den Liedern waren, zeigte sich an den kurzen Erklärungen im Booklet und an den Aufsätzen auf seiner Homepage, die von akribischer Recherche zeugten. Seine Begeisterung war auch auf der beigefügten DVD zu sehen, die neben einer PCM-Version des Albums eine 30 minütige Video-Dokumentation erhielt. Ganz neu war Springsteens Idee indes nicht, auch kam sie nicht an die Güte verschiedener Vorgänger heran, darunter zum Beispiel Natalie Merchants "The House Carpenter's Daughter" aus dem Jahre 2004 und der Klassiker des Genres "Will The Circle Be Unbroken" der Nitty Gritty Dirt Band von 1972. Dennoch handelte es sich um ein Projekt, das von A bis Z grosse Freude bereitete - auch, weil es Springsteen von seiner entspannten Seite zeigte. Musikalisch besonders interessant war das sehr gelungene Zusammenspiel der zahlreichen akustischen Instrumente. Bei der Kombination von Geigen, Akkordeon und Blasinstrumenten gelang es Bruce Springsteen dabei neben der Folkmusik auch noch Jazz- und Gospelelemente in einige Songs einzuweben. Alle Songs waren auch mit grosser Inbrunst gesungen und die spontane Live-Atmosphäre der Songs wurde sehr gut eingefangen.
Traditionelle amerikanische Folkmusik war ja nicht unbedingt der Musiktstil, den man mit Bruce Springsteen in Verbindung gebracht hätte, deshalb war die Idee, ein komplettes Album mit Pete Seeger Songs zu veröffentlichen natürlich von Anfang an sehr reizvoll. Springsteens Herangehensweise bei den Aufnahmen zu "We Shall Overcome" war eine völlig andere als man sie von seinen bekannten Veröffentlichungen gewohnt war. Das komplette Material wurde an lediglich drei jeweils eintägigen Aufnahme-Sessions eingespielt, wobei der Titelsong bereits 1997, also acht Jahre vor den eigentlichen Sessions, für ein anderes Pete Seeger Tribute-Album aufgenommen worden war. Damals wollte Springsteen unbedingt mehr über den Musiker Pete Seeger und über traditionelle amerikanische Folk Music an sich erfahren, weshalb er sich einige alte Platten besorgte und schon nach kurzer Zeit die Idee für ein eigenes Folk-Album fasste. Dieser Gedanke sollte sich aber erst fast neun Jahre später umsetzten lassen. Die gesamten "Pete Seeger Sessions" fanden in diesem kleinen Farmhaus statt, in welchem die komplette Band inklusive der Streicher und der Bläsergruppe auf mehrere Zimmer verteilt war. Das Album wurde also, von einigen Overdubs einmal abgesehen, komplett "live" und nicht in einem professionellen Studio eingespielt, was den Songs mehr Authentizität verlieh. Der informelle Charakter einer Home-Session wusste enorm zu begeistern, denn beim Folk waren und sind Ecken und Kanten besonders wichtig, eine absolut glatte Produktion hätte in gewisser Weise das Feeling dieser klassischen Songs zerstört. Alle Lieder wurden übrigens ohne Proben eingespielt, die Arrangements entstanden direkt während der Aufnahmen und wurden beim Spielen mit Einbezug der Band weiterentwickelt.
"We Shall Overcome" überzeugte letztlich als ein abwechslungsreiches und stimmungsvolles Album, und bei allen Songs konnte man auch andere Stileinflüsse als Folk- oder Countrymusik heraushören. Ein sehr gutes Beispiel dafür war der Titel "Jacob's Ladder", bei dem Folk mit Gospel und Dixieland Jazz vermischt wurde. Die Bläsergruppe verlieh im Grunde fast allen Liedern einen Sound, der auf jeden Fall an den traditionellen Dixieland Jazz angelehnt war. Bruce Springsteens Stimme passte sehr gut zu den Titeln und teilweise erinnerte sein Gesang sogar an Bob Dylan, wie beispielsweise bei "My Oklahoma Home". Stimmungslieder wie "John Henry" oder "Pay Me My Money Down" wechselten sich ab mit melancholischen Titeln wie "Oh, Mary, Don't You Weep" und Protestliedern ("We Shall Overcome"). Insgesamt geriet dieses Album zu einem sehr empfehlenswerten Werk für Jeden, der sich für die Wurzeln der modernen Musik interessiert und etwas für Folk oder Country übrig hat. Auch gelang das Album sehr informell, es war also nicht durchproduziert wie die meisten aktuellen Alben, was nicht unbedingt jedem gefällt. Ich persönlich mochte aber immer schon handgemachte Musik und bei diesem Album hatte ich sofort das Gefühl, mit Bruce Springsteen in einem Zimmer zu stehen.
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