ROBIN GIBB - Robin's Reign (Polydor Records 583 085, 1970)
Ende 1968 gehörten die Bee Gees, bestehend aus den Brüdern Barry, Maurice und Robin Gibb, dem Gitarristen Vince Melouney sowie dem Schlagzeuger Colin Petersen mit bis zu diesem Zeitpunkt drei veröffentlichten Studioalben und diversen Hitsingles zu den erfolgreichsten Bands der Welt. Alles hätte perfekt sein können, doch das genaue Gegenteil war der Fall. Den drei Brüdern, alle noch unter zwanzig Jahre alt, war der frühe Ruhm zu Kopf gestiegen, sie stritten sich untereinander heftig, und jeder glaubte, er wäre der Star der Band. Der brillante Vince Melouney, der den oftmals orchestralen Songs der Bee Gees das eine oder andere opulente, in jedem Fall aber prägende Arrangement verpasst hatte, störte sich an den zunehmenden menschlichen Problemen innerhalb der Gruppe und stieg in der Folge aus. Zu viert machten sich die Verbliebenen an die Arbeit zu ihrem nächsten Album, das laut Barry und Maurice "Masterpiece" hätte genannt werden sollen, ehe Robin Gibb intervenierte und beschloss, dass der Titel "Odessa" lauten soll. Die internen Reibungen nahmen noch einmal zu.
Als die Plattenfirma entschied, für die A-Seite der ersten Single aus dem neuen Album "Odessa" das aus der Feder von Barry Gibb stammende "First Of May" anstelle von Robins monumentales "Lamplight" zu wählen, das schliesslich auf der B-Seite landete, war der schon länger drohende Augenblick gekommen: Robin Gibb verliess die Band und entschied sich für eine Solokarriere. Und so nahm Robins Rache vorerst seinen geplanten Verlauf. Die von ihm und Bruder Maurice ursprünglich als Bee Gees-Song konzipierte Bombastballade "Saved By The Bell" wurde im Sommer 1969 als erste Single von Robin Gibb veröffentlicht (auch als Mitkomponist wurde Maurice unterschlagen) und geriet prompt zu einem internationalen Hit. Unter anderem Nummer 2 in England und 5 in Deutschland waren die beeindruckenden Platzierungen des sich anbahnenden Erfolges. Die USA verweigerten sich hingegen, denn dort landete der Song lediglich auf Platz 87.
Während seine Brüder zunächst verdrossen, dann aber unverdrossen als Bee Gees weitermachten, begab sich Querkopf Robin an die Arbeit zu seinem ersten eigenen Album, auf dessen Cover er sich in der roten Uniform eines britischen Wachsoldaten vor einem knallblauen Hintergrund präsentierte. Dazu riesengross sein Name und der sehr selbstbewusste Albumtitel "Robin's Reign" ("Robins Regierung"). Musikalisch setzte Robin Gibb genau da an, wo er mit seinen versponnen-romantischen Songs für die Bee Gees aufgehört hatte: grosse Melodien, häufig orchestrale Arrangements und Texte, die erneut Liebesleid und jugendlicher Weltschmerz zum Inhalt hatten. Da kämpfte letztlich auch Jemand mit sich selbst und der Welt. Seine Verletzungen wurden in Zeilen wie "No more room to roam, I have lost my hope. Stars have all gone in. Which way have I been ? I'm too rich to learn, and far too cold to burn" ("Gone Gone Gone") oder "Most of my life, I've had to run away. Life was a game and I just had to play. The friends that I thought I had were never there. You look for love, but you don't know where" ("Most Of My Life") mehr als deutlich.
Das Album war letztlich voll von jenem wunderbaren Kitsch, den der Musiker so liebte, und der seine Songs für die Bee Gees so einmalig und aussergewöhnlich gemacht hatte. Da spukten die Walker Brothers ("The Sun Ain't Gonna Shine Anymore") ebenso herum wie die Beatles, wenn jene ihre klassischen Einflüsse ins Spiel brachten ("Eleanor Rigby", "She's Leaving Home", "A Day In The Life"), oder auch der damals gerade aktuelle Bombast-Grossmeister Barry Ryan ("Eloise", "Love Is Love"). Songs wie der äusserst eingängige Auftakt "August October", der, als Single ausgekoppelt und breit lanciert, seltsamerweise nur mässig erfolgreich war, "The Worst Girl In This Town", "Down Came The Sun", "Most Of My Life" oder das schleppende "One Million Years", das ebenfalls als Single ausgekoppelt wurde, machten mehr als deutlich, wer in den frühen Erfolgsjahren der wichtigste Songschreiber und Sänger der Bee Gees gewesen sein dürfte.
Dazu gab es zur Auflockerung durchaus auch Easy Listening-Pop zu hören, etwa im Song "Mother And Jack", ausserdem die tragische Mär von "Farmer Ferdinand Hudson" oder das reduzierte, aber spannende "Lord Bless All" mit seinem dräuenden Orgelklang. Robin Gibb hatte hier tatsächlich fast alles selbst gemacht: Kompositionen, Texte, Gesang, Chöre, Instrumente, Produktion. Bis auf das Orchester natürlich. Also ein Soloalbum im wahrsten Sinne des Wortes. Interessant war dabei die Verwendung einer Art frühen Drumcomputers, den Robin angeblich selbst entwickelt hatte, wobei ein echtes Schlagzeug dem Album bestimmt noch mehr positive Akzente hätte vermitteln können.
Die Platte "Robin's Reign" wurde nicht besonders erfolgreich. Im Bee Gees-Lieblingsland Deutschland reichte es zwar immerhin zu Platz 19 und das Album konnte sich auch während acht Wochen in den Charts halten, noch wichtigere Märkte wie England und die USA blieben allerdings vollkommen unbeeindruckt. Und so kam es, wie es kommen musste: Robin kehrte schliesslich in den Schoss seiner Brotherhood zurück. Der Rest war dann schlicht Popgeschichte. Ich persönlich mochte dieses Album schon immer sehr, weil es so einzigartig, so wunderbar verblasen und zugleich so voller Bee Gees-Reminiszenzen war.
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