Apr 22, 2017


THE DOORS - Absolutely Live (Elektra Records 62 005 EKS 9002, 1970)

"Absolutely Live" war das erste offizielle Live-Album der Doors. Es wurde im Juli 1970 veröffentlicht und war lediglich eine Sammlung verschiedener Songs ihres Repertoires, die an unterschiedlichen Konzerten mitgeschnitten und zusammengetragen worden waren. Viele Shows der Doors wurden damals aufgezeichnet während der 1970-Tournee, um schlussendlich das originale Doppelalbum "Absolutely Live"-Album zu erstellen. Der Doors Produzent und langjährige Mitarbeiter Paul A. Rothchild behauptete, das Album von vielen verschiedenen Shows zu einem zusammenhängenden Konzert sorgfältig bearbeitet zu haben. Nach Rothchild's Aussage hatte er sogar Teile eines Songs aus einem Konzert in Detroit zusammen mit einem anderen Teil des gleichen Songs aus der Show von Boston, zusammengeschnitten, um das aus seiner Sicht 'ultimative Konzert' zu schaffen, das die Doors auf einer Platte von ihrer perfektesten Seite zeigen sollte. Es entstand schliesslich, wiederum nach Aussage von Paul A. Rothchild, nach über 2000 (!) Bearbeitungen der Songs, ein insgesamt dennoch dramatisch gutes Live-Album. Der einzige Makel bei all der zu hörenden Perfektion: Sie ist ein einziges, riesengrosses Fake und "Absolutely Live" zählt zu den in der Rockgeschichte am meisten bearbeiteten und veränderten Live-Dokumente überhaupt.

Warum sollte man sich als Rockfan also gerade dieses Live-Album der Doors anhören ? Tja, das ist eine gute Frage. Zweifellos dürfte es damals schwierig gewesen sein, ein einziges Konzert als Vorlage für eine offizielle Veröffentlichung zu verwenden, da Jim Morrison doch öfters mal ziemlich weg von der Realität über die Bühnen torkelte, ausrastete, oft den Faden und die Songtexte verlor, sich in Dialogen mit sich selbst und dem Publikum verlor, meist unter der Gürtellinie (und somit des Erträglichen) zu argumentieren, besser gesagt zu lallen, und da hätte man auf keinen Fall ein zusammenhängendes Tondokument auf die Hörer loslassen dürfen. Trotzdem rechtfertigt auch solch ein Umstand nicht die Vorgehensweise, auf Biegen und Brechen ein Live-Album raushauen zu wollen, dass dann aus lauter Stückeleien besteht. Die einzige - und auch schlüssige - Entschuldigung: Paul A. Rothchild kannte sowohl die Doors, als auch deren Sound am allerbesten, und er war sich im klaren darüber, dass viele spätere Käufer auch ohne grosse Information über das Zustandekommen dieses Doppelalbums wussten, dass da ziemlich viel faul war. Letzten Endes gab es wohl zwei gewichtige Gründe für das Veröffentlichen von "Absolutely Live": Man wollte weiterhin Geld scheffeln, und man wollte endlich ein Live-Dokument der Doors präsentieren, das noch mehr Leute an die Konzerte locken sollte.

Fast alle Mastertapes, die noch existierten von jener Tournee, aus welcher "Absolutely Live" zusammengeschipselt worden war, haben es inzwischen auf eine CD-Veröffentlichung geschafft. So wurden beispielsweise von Bright Midnight Records (ein Stamm der Rhino/Elektra/Warner-Gruppe) fast alle Shows der Doors zwischen Juli 1969 und Juni 1970 nachträglich restauriert herausgebracht, von denen Teile für das "Absolutely Live"-Album verwendet worden waren: 8 CDs von den Auftritten der Band im Aquarius Theater 1969, live in New York 1970 6 CDs, aus Boston 1970 3 CDs; von den Auftritten in Philadelphia 1970 2 CDs, von Pittsburgh 1970 1 CD, und von den Konzertabenden in Detroit 1970 ebenfalls 2 CDs. Man brauchte sich nur eine x-beliebige dieser vielen nachträglich veröffentlichten und sorgfältig restaurierten Konzertdokumente anhören, dass man zum Schluss kommen konnte: Paul A. Rothschild hatte unrecht.

Allerdings offenbarten extra angefertigte professionelle Bandanalysen, dass höchstens fünf grosse Einschnitte auf dem "Absolutely Live" Album getätigt worden waren. Diese aufgedeckten Audiobeweise erlaubten es nachträglich, doch von einem quasi live eingespielten Album zu sprechen, zumal der grösste Teil der Aufnahmen auf "Absolutely Live" angeblich doch nur von zwei Konzerten im Felt Forum am 17. und 18. Januar 1970 stammten. Das war eine grosse Ueberraschung, denn es bewies, dass Jim Morrison (seine Band sowieso!) auch hervorragende Performances ablieferten, von denen nun im nachhinein in Form des Doppelalbums "Absolutely Live" vielleicht doch eine der Besten der Doors und eine der Besten der Rockgeschichte überhaupt veröffentlicht worden war. Ob man all den Audiobeweisen letztlich trauen kann, sei dahingestellt. Der beste Beweis für eine grossartige Performance bleibt letztlich dann doch nur das eigene Gehör. Und darum sollte man sich dieses monumentale Doppelalbum doch einmal anhören. Wenn man all die bekannten und weniger bekannten Studioproduktionen der Doors als Richtschnur nimmt, dann stellt "Absolutely Live" in musikalischer und spielerischer Hinsicht eine der Glanzstunden der Band dar. Die Doors, und das ist meine subjektive Meinung, waren live eine viel intensivere, viel experimentierfreudigere Band, und vor allem: Sie war der perfekte akustische Umhang des exaltierten Jim Morrison.

Der Schauspieler und Poet, der Sänger und der grandiose Performer, der er war, liess Jim Morrison immer erst auf der Bühne zu dem werden, was seine Fans am meisten begeisterte: Ein rockmusikalischer Messias, der keineswegs nur auf seinen Drogen- und/oder Alkoholkonsum reduziert werden darf, sondern der vor allem auch ein brillianter Beobachter und ein exzellenter Kenner der klassischen Literatur war. Ausserdem waren seine Auftritte bisweilen magisch bis manisch, er konnte das Publikum anfeuern, aber auch zusammenstauchen, je nach persönlicher Verfassung im Augenblick. Solche dramatische Stimmungswechsel konnte Morrison bisweilen in ein und demselben Konzert vollziehen, was seinen Kultstatus nur zusätzlich befeuerte. Doors-Fans waren Jünger, meist weibliche, die in Jim Morrison ihr Sexsymbol sahen, die Glorifizierung allen Hippietums, die Morrison selbst eher zur Kenntnis nahm. Er selber sah sich eher als leiser Poet, der mit den bewusstseinstrübenden und -verändernden Substanzen versuchte, dem ganzen Hype entgegenzuhalten, der ihm im Grunde zuwider war. Ein gutes Beispiel für diese Haltung war das Plattencover von "Absolutely Live": Als Jim Morrison das Cover zum erstenmal zu sehen bekam, war er ausser sich. Die Platte war indes bereits im Presswerk in der Herstellung und das Cover konnte nicht mehr verändert werden. Morrison hasste dieses Frontcover, das die Doors auf seine Lederhose reduzierte, die Musiker der Gruppe nur im Hintergrund und erst noch von der Kamera abgewandt zeigte. Ausserdem trug er zu dieser Zeit bereits seinen Bart und trat immer seltener in schwarzen Lederhosen auf. 

Jerry Hopkins schrieb dazu im Jahre 1980 in seiner Biographie über die Doors (Buch: "No One Here Gets Out Alive") Folgendes: "Originally the cover was going to be an effective grainy, bluish rear-view photo of the band on stage at the Aquarius Theatre where the included "Celebration of the Lizard" had been recorded. Elektra Records art department decided that photo wasn't eye-catching enough. A color photo of Jim, taken during the Hollywood Bowl concert well over a year before, was superimposed squarely over the existing front-cover photo, and before the Doors office knew anything about it, the album was shipped. Jim was furious".

Auf dem Doppelalbum "Absolutely Live" findet sich zunächst einmal ein Live-Programm der frühen Doors-Jahre, in teils stark unterschiedlichen Live-Interpretationen, die sich weit von den originalen Studioversionen unterschieden. Zu den Höhepunkten gehört sicherlich die bis dato erste komplette Live-Version der Sequenz "Celebration of the Lizard". Die Sequenz wurde ursprünglich für das Studiowerk "Waiting For The Sun" angedacht, aber verworfen. Das Album war für die Fans der Band ausserdem eine willkommene Sache, weil der Konzertmitschnitt auch einige neue Songs präsentierte, die sich bislang auf keinem anderen Werk der Doors fanden, wie zum Beispiel die Stücke "Build Me A Woman" sowie eine Coverversion des Bo Diddley Klassikers "Who Do You Love". Weiteres Glanzlicht war aber insbesondere auch das überlange Stück "When The Music's Over". Interessanterweise wurde das andere überlange und sehr populäre Stück der Doors, nämlich "The End" nicht für das Doppelalbum berücksichtigt. Dafür überzeugte der "Alabama Song" von Kurt Weill und Bertold Brecht ebenso wie die beiden Blues-Cover "Backdoor Man" und "Close To You" von Willie Dixon, welche sehr eindrücklich zeigten, wo die Doors ursprünglich ihre Roots hatten. Und natürlich auch "Celebration Of The Lizard", das auf dem Doppelalbum in eine fabelhafte Variante des Jim Morrison-Songs "Soul Kitchen" mündete.

"Absolutely Live" verkaufte sich zum Zeitpunkt der Veröffentlichung 1970 ausserordentlich schlecht, zumal für Doors-Verhältnisse. Nur 225000 Stück wurden in den ersten Jahren verkauft, das war gerade mal die Hälfte des zuvor veröffentlichten Studioalbums "Morrison Hotel" (mit dem grossen Klassiker "Roadhouse Blues"). Gut möglich, dass das fast vollständig fehlende aktuelle Songmaterial dazu den Ausschlag gab, dass sich die Liveplatte so schlecht verkaufte. Man darf diese Stückzahlen natürlich nicht mit heutigen Verhältnissen vergleichen und in der ganzen langen Zeit seit der Veröffentlichung wurden diese mageren Verkaufszahlen um ein Vielfaches getoppt. Die Doors waren gerade live eine ganz besondere Attraktion, denn die allermeisten ihrer Songs lebten von der unmittelbaren Performance, der ständigen Variation, der grossen Fähigkeit der Musiker im Improvisieren. Diese Eigenschaften kumulierten sich bei "Absolutely Live" auf absolut grossartige Weise. Ich persönlich zähle daher dieses Live-Doppelalbum zu den besten Live-Rockmusik-Werken überhaupt.







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