May 7, 2016


GOLDIE ZELKOWITZ - Goldie Zelkowitz (Janus Records JLS 3060, 1974)

Heute möchte ich Euch von einer unwahrscheinlich tollen Sängerin erzählen, die heute leider fast vergessen ist: Genya Ravan. Genya ist gebürtige Polin, heisst eigentlich Genyusha Zelkowitz und erblickte 1940 das Licht der Welt. Sie kam Ende des zweiten Weltkriegs nach Amerika, ihre Familie gehörte zu den Opfern des Nazi-Regimes. Unter ihrem Kosenamen Goldie spielte sie in einer der ersten „All Girl“ Bands unter dem Namen Goldie & The Gingerbreads, schloss sich später der Band Ten Wheel Drive an, einer zehnköpfigen Jazzrock-Formation, bevor sie nach drei LP’s mit dieser Band im Jahre 1972 ihre erste Soloplatte hinlegte. Genya ist eine Art entkratzbürsteter, weiblicher Steve Marriott, dem aus Rücksicht auf die Präsenz einer „Grand Dame“ die Begleitband Rumpel Pie einen Grossteil des Rockdrecks durch stilvolle Soulbeigaben ersetzt hat. Einen Blow-Job der Extraklasse liefern bei vielen ihrer Songs die aufgebotenen Blechbläser. Die bemerkenswert authentisch herüberkommenden Soulnummern erhalten dadurch neben einer perfekt dosierten Portion Rock auch genau das richtige Häppchen Funk. Trotzdem ist Genya Ravan nicht funky im bekannten Sinne. Genya, deren Stimme sich anhört wie Janis Joplin ohne Schnapszufuhr, windet sich stimmlich in ihren Songs mit so viel Hingabe, dass ich mich ernsthaft fragen muss, warum dieser grossartigen Musikerin nicht der kommerzielle Durchbruch beschieden war.

Soulrock – Hm, das klingt irgendwie wie eine Art Kübel für den Rest, dem man im schlechtesten Fall zu wenig Rock und bestenfalls etwas zu viel Soulanteil attestiert. Aber genau in dieses Raster passt Genya Ravan eigentlich perfekt. Es ist schon erstaunlich, dass mich nach gefühlten und allzu oft leidvoll ertragenen 837 Souffleusen des Herzens eine mir bis dato gänzlich unbekannte Sängerin noch derartige Gänsehaut-Schübe in Serie verpassen kann, aber genau das passierte mir bei Genya Ravan, als ich sie damals zum erstenmal hörte. Ihr gesamtes 70er Jahre Werk ist immer wieder mal neu aufgelegt worden, sodass man die Dame auch heute noch problemlos entdecken kann, sei es auf Nachpressungen der LP oder auch auf CD.

Das Debutalbum von 1972 ist enorm „soulful“ und zeigt eine Sängerin, die sich ausschliesslich durch Coversongs arbeitet. Herausragend für mich die Adaption eines Songs von Leonard Cohen: „Bird On A Wire“. Aber auch der alte Faces-Titel „Flying“ und Ray Charles’ „What Kind Of Man Are You“ sind der Hammer. Steven Stills’ „Sit Yourself Down“ ist praktisch nicht mehr zu erkennen und das altehrwürdige „Turn On Your Love Lights“ wird um eine afrikanische Komponente erweitert zum Doppelstück „Takuta Kalaba/Turn On Your Love Lights“. Klasse! Produziert wurde dieses Debutalbum von Michael Zager, der gegen Ende der 70er Jahre mal mit diesem unsäglich doofen Diskothekenbrechmittel „Let’s All Chant“ genervt hat.

Grossartig dann das zweite Album von 1973 „They Love Me, They Love Me Not“, nicht mehr ganz so soulful, dafür mit etlichen tollen Rhythm’n’Blues- und Rock-Momenten. Nur noch wenige Coversongs singt Genya Ravan hier, wie das ganz tolle „Keep On Growing“ (geschrieben von Eric Clapton für sein Derek & The Dominos-Ablum „Layla“). Wieder ein richtig toller Song, den sich Genya ausgesucht hat, ist auch der Van McCoy Titel „Gotta Tell Somebody (‚Bout My Baby)“. Der Keyboarder Jim Price steuert weitere tolle Songs bei, die alle perfekt auf die soulige und kraftvolle Stimme von Genya zugeschnitten sind. Mit erstklassigen Top-Musikern wie Jay Graydon (12 Grammies!!!), John Uribe (Savage Rose, Harry Nilsson), Ray Cooper, Jim Horn und Bobby Keys und produziert von Jimmy Miller (Stones) ist das für mich die beste ihrer Scheiben, weil sie am abwechslungsreichsten klingt.

Im Folgejahr nimmt Genya unter ihrem bürgerlichen Namen ein knallgeiles Soulrockalbum auf, das für mich echt wie ein Humble Pie Album mit einem weiblichen Steve Marriott klingt. Das Album heisst schlicht „Goldie Zelkowitz“ und lässt mich genauso sprachlos zurück, wenn ich es mir anhöre. Da wäre zum einen mal Gabriel Mekler: Der Produzent von Steppenwolf und Janis Joplin hat die Scheibe produziert und er spielt auch die Keyboards auf der Platte, wie er das auch bei Janis und Steppenwolf gemacht hat. Vor allem die warme Hammondorgel ist einfach toll. Als Gitarristen hören wir hier Danny Kortchmar und es sind diese Songs, die mir so unglaublich gut einfahren. Zum einen mal „Whipping Post“ von den Allman Brothers, oder Isaac Hayes’ „Hold On I’m Coming“ – bei solchen Titeln scheuert sich Genya Ravan die Stimmbänder wund, dass es eine Freude ist. Ich kenne echt nicht viele Sängerinnen, die dermassen elegant und virtuos mit ihrer Stimme spielen, arbeiten, intonieren. Ebenfalls ein absolutes Klassealbum, bei welchem der Rockanteil klar dominiert.

Vier Jahre später, 1978 ein weiteres Lebenszeichen mit der Platte „Urban Desire“. Man kann nachlesen, dass dies so etwas wie Genya’s Meisterwerk sein soll. Nun, die Platte ist gut, vor allem wieder astrein produziert und gespielt, aber irgendwie passt sie für mich nicht so gut zu den anderen Platten, die sie gemacht hat. Zu jener Zeit bewegte sich Genya Ravan im Punkumfeld, und produzierte beispielsweise auch eine LP der Deadboys. So fällt „Urban Desire“ weitaus härter aus als ihre Vorgänger. Es ist eigentlich schon fast eine Hard Rock Platte, und soulige Einflüsse wird man vergeblich suchen. Stimmlich ist Genya natürlich auch hier über jeden Zweifel erhaben. Herausragend das Duett mit Lou Reed im Titel „Aye Co’Lorado“ und der als knallharter Rock arrangierte Soulklassiker „Back In My Arms Again“. „Urban Desire“ verkaufte sich in Amerika recht gut, und nach einer vorherigen Pause von vier Jahren, begann Genya Ravan sogleich mit den Arbeiten zu ihrer letzten Platte in den Siebzigern. 

1979 erschien dann „And I Mean It“, und das ist ein Album, das stilistisch wieder im souligen Bereich ansetzt, und nicht mehr ausschliesslich von grandiosen Coversongs lebt, sondern von Genya’s eigenen Stücken. Grossartig hier die beteiligten Musiker wie Bobby Chen (Mott The Hoople), Lars Hanson oder Ed Stasium. Herausragendstes Stück ist hier aber wohl wiederum ein Coversong, nämlich „Junkman“ von Joe Droukas (The Parlour Band, Mott The Hoople), eingespielt mit Ian Hunter und einem beseelt spielenden Mick Ronson an der Leadgitarre. Ueberhaupt klingt die ganze Scheibe ein bisschen Mott-like, nur um im nächsten Moment wieder mit einem musikalischen Leckerbissen aus der Soulecke zu brillieren: Marvin Gaye’s „Stubborn Kinda Girl“ ist wieder eine dieser „mir-zieht’s-die-Schnürsenkel-aus“ Souladaptionen.

Hier endet der 70er Jahre Output von Genya Ravan. Begeistern tun mich eigentlich all ihre Scheiben, denn ihre Stimme ist wirklich einmalig. Irgendwo zwischen der Blueswärme von Dana Gillespie und der Rockröhre von Janis Joplin ist Genya Ravan anzusiedeln. Was sie aber den beiden Genannten voraus hat, ist ihre Fähigkeit, stilübergreifend zu singen, und immer dann, wenn sich Soul und Rock überschneiden, ist Genya Ravan einfach unschlagbar gut. Da ich im Grunde meines Herzens eher der Rocker bin, würde ich ihr 1974er Werk "Goldie Zelkowitz" empfehlen. Aber natürlich kann man auch bei den unter ihrem Künstlernamen Genya Ravan erschienenen Platten nix falsch machen. Wer gerne noch eine süffige Prise Jazzrock mag, legt sich am besten ihre Platten mit der Band TEN WHEEL DRIVE zu.


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