THE KINKS - Give The People What They Want (Arista Records AL 9567, 1981)
Man kann Raymond Douglas "Ray" Davies durchaus attestieren, zu den grössten Songwritern der Populärmusik zu zählen, schreibt er doch seit über einem halben Jahrhundert Songs mit Geschichten, die manchmal dermassen nahe am Alltag sind, dass sie andere Songschreiber schon gar nicht erst erkennen. Ausserdem können er und seine Gruppe The Kinks durchaus als Miterfinder des Garage Rocks oder gar der modernen Rockmusik überhaupt angesehen werden, denn sie waren härter als die Beatles, aber auch härter als die Rolling Stones, weil sie deren Blues nicht im Gepäck hatten. Die aus dem Londoner Stadtteil Muswell stammende Band spielte eine wesentlich experimentierfreudigere Musik als ihre Kontrahenten, die Musiker trugen die Haare länger, rockten gegen das bürgerliche Spiessertum und schufen mit ihren immer irgendwo zwischen Melancholie und offener Aggression angesiedelten Songs unvergängliche Meisterwerke, die von nachfolgenden Musikergenerationen noch immer zitiert und gespielt werden.
Ray Davies erfand noch lange vor The Who die sogenannte Rock Oper, brachte Rock Musicals auf die Bühne, schuf ebenso verschrobene wie geniale Konzeptalben und unvergängliche Songs, die sich stets mit den Themen Konformismus, Anpassung, Bürgerlichkeit und Realitätsflucht auseinandersetzten. Davies verstand sich und seine Kinks (abgeleitet vom englischen Wort "kinky") auch immer als Chronist der Arbeiterklasse, der in seinen Songs soziale Ungerechtigkeiten anprangerte, sich über die britische Aristokratie lustig machte und banale Alltäglichkeiten skizzierte und diese zu wahren Dramen hochstilisierte (was sie letztlich in den Empfindungen der Menschen auch sind). Das tat die Band stets mit eingängigen und intelligenten Songs, von denen viele bis heute ihre Aktualität bewahrt haben. Eines der auffälligsten Merkmale der Kinks Lieder ist denn auch ihre absolute Zeitlosigkeit: Kaum ein Song von ihnen wirkt heute antiquiert, und dies, obschon einige Titel bereits mehr als 50 Jahre auf dem Buckel haben.
Nachdem Ray Davies mit seiner Band in den 60er und den beginnenden 70er Jahren einige seiner grössten kommerziellen Erfolge feiern konnte, vor allem mit den Single-Hits "Lola", "Apeman", "Dedicated Follower Of Fashion", "A Well Respected Man", "Tired Of Waiting For You", "Sunny Afternoon" oder dem Knaller "You Really Got Me", mit dem Ray Davies die Metamorphose vom Beat zum Rock vollzog, arbeitete er in den 70er Jahren vor allem als Musik-Regisseur: Der Musiker, der eigentlich ursprünglich Regisseur werden wollte, inzenierte geradezu seine Werke, die er mal als Konzeptalbum oder auch als Rock Oper verstand, und die er in Werken mit Titeln wie "Percy" oder "Schoolboys In Disgrace" verpackte. Diese musikalische Arbeitweise gipfelte in einer opulenten LP-Trilogie mit den Namen "Preservation Act 1", "Act 2" und "Soap Opera", realisiert zwischen 1973 und 1975. Es folgten kommerziell recht erfolgreiche Alben wie "Misfits", "Sleepwalker" oder "Low Budget", denen ihre absolute Zeitlosigkeit nichts anhaben konnte, selbst als ab 1976 der Punk in England alles zu überrollen drohte: Die Musik der Kinks trotzte auch diesem Trend erfolgreich, nicht zuletzt wohl auch deshalb, weil auch die Kinks in den 60er Jahren mit provokativ harter Rockmusik gegen die geltenden Gesellschaftsregeln verstiessen und somit von den Punks gerne zitiert und als eine der ihren betrachtet wurden.
Ray Davies verstand es stets, Teile der gerade angesagten musikalischen Neuerungen moderat in seine Musik einzubauen, ohne sich einem gängigen Trend zu unterwerfen. So lieferte er nach einem im Jahr zuvor veröffentlichten grossartigen und äusserst dynamischen Live-Album ("One For The Road") und nach etlichen Jahren wieder mal einem Single-Hit ("Superman") 1981 ein zeitgemässes Rock'n'Roll-Album ab, das den ebenso programmatischen wie zynischen Titel "Give The People What They Want" trug. In absolut grandiosen Rocksongs thematisierte er unter anderem die Tragik des Älterwerdens ("Art Lover"), sinnierte über die Vergeblichkeit, Liebe über die Zeiten zu erhalten ("Yo Yo"), erzählte gar über die Psyche von Attentätern ("Killer's Eyes"). Das Album erntete vor allem in den USA gute Kritiken, weshalb es auch nicht verwunderlich war, dass die Kinks bereits mit einer noch im selben Jahr veröffentlichten, jedoch nicht auf dieser LP vertretenen Single erfolgreich waren: "Come Dancing" leitete definitiv die dritte erfolgreiche Dekade der Band ein, welche mit dem nachfolgenden Album "State Of Confusion", das wieder eher nostalgisch gefärbt war und der intellektuellen Seite von Ray Davies Rechnung trug, bestätigt wurde. Wieder verstand es Davies ausgezeichnet, alltägliche Geschichten gekonnt musikalisch in Szene zu setzen, indem er diesmal beispielsweise im Stück "Property" über zerrüttete Ehen sang oder sich im Titelstück über die Behäbigkeit der Menschen lustig machte ("State Of Confusion").
Aristokraten und Spiessbürger blieben stets Ray Davies' Lieblingszielscheiben, denen er lästernde Gesellschaftskritik mit viel Ueberzeugungskraft entgegenhielt. Dazu schrieb er Songs von zeitloser Güte, die nie auch nur im entferntesten irgendeinen aktuellen Bezug verloren haben. Seine Geschichten sind so aktuell wie vor Jahrzehnten schon, weil sie stets den Mensch mit all seinen Schwächen, seinen Sorgen und Hoffnungen im Fokus hatten und all seine Eigenschaften, im Guten wie im Bösen, reflektierten. Sein Zynismus, seine feinsinnigen gesellschaftsbezogenen Analysen werden auch in Jahrzehnten noch ihre Legitimität nicht verlieren. Ray Davies ist einer der beeindruckendsten Songschreiber unserer Zeit, nicht weniger.
Give the people what they want, you gotta give the people what they want.
The more they get, the more they need and every time they get harder and harder to please.
Give 'em lots of sex, perversion and rape, Give 'em lots of violence, and plenty to hate.
Blow out your brains and do it right, make sure it's prime time and on a Saturday night.
You gotta give the people what they want, you gotta give the people what they want.
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