KEVIN COYNE - Millionaires And Teddy Bears (Virgin Records V2110, 1979)
Man darf es durchaus als Glücksfall bezeichnen, dass Kevin Coyne nach seinem Debut-Soloalbum "Case History" beim jungen und gerade lancierten Label Virgin Records unter Vertrag genommen wurde, und sein dort veröffentlichtes Label-Debut "Marjory Razorblade" auch noch so einige Käufer fand. Dies bescherte dem ehemaligen Sozialarbeiter und Streetworker mit der eigenwilligen Stimme und dem scharfen gesellschaftskritischen Blick ein musikalisches Zuhause, das es ihm fast eine Dekade lang ermöglichte, in teils brillianten, teils aber auch recht verschrobenen akustischen Kleinodien unter die Tische der Seelen zu schauen. Virgin Records war wie kaum ein anderes Plattenlabel in der bemerkenswerten Ausgangslage, dass sich schon ihre erste Veröffentlichung millionenfach verkaufte (Mike Oldfield's "Tubular Bells"). Dies bot dem Independent Label, das aus einem erfolgreichen Mail Order hervorgegangen war und von Richard Branson, Simon Draper und Simon Heyworth geleitet wurde, die Möglichkeit und die finanziellen Mittel, auch Künstler und Bands unter Vertrag zu nehmen, die anderswo vielleicht kaum eine Chance gehabt hätten, ihre Musik zu veröffentlichen. Unter ihnen waren etwa die deutschen Krautrock Gruppen FAUST und CAN, die Vertreter des sogenannten Canterbury-Stils DAVID BEDFORD, TOM NEWMAN, HATFIELD & THE NORTH, SLAPP HAPPY, GONG und HENRY COW, aber auch amerikanische Acts, die in England ihren Vertrieb bei Virgin Records fanden, wie LINK WRAY oder CAPTAIN BEEFHEART.
Das als eines seiner bestverkauften Alben bei Virgin Records Anfang 1979 erschienene Studiowerk "Millionaires And Teddy Bears" erwies sich als überraschend zugängliches und äusserst melodieseliges Werk, ganz im Gegensatz zum im selben Jahr veröffentlichten "Babble", das er zusammen mit der Avantgarde-Künstlerin und ehemaligen Art Bears-Sängerin Dagmar Krause eingespielt hatte, und das viele dadaistische Züge aufwies. "Millionaires & Teddy Bears" indes war verständlich und direkt, lyrisch wie immer eine Ohrenweide und musikalisch sehr vital, sehr spärlich intrumentiet, spröde, dunkel, manchmal fast bedrohlich, doch dann auch wieder ergreifend schön. Und es fanden sich die seit langer Zeit nachhaltigst in den Gehörgängen sich festklebenden Melodien. Vielleicht ist das Album sein nachvollziehbarstes, selbst wenn man die Kauzigkeit von Kevin Coyne nicht in den Vordergrund stellt. Jedenfalls bietet der Musiker hier so einige akustische Perlen mit Tiefgang, die trotzdem fast leicht und fröhlich klingen. Aber Vorsicht: Auch in den meisten Horrorfilmen kommt das wahre Monster oft in schöner Aufmachung.
Die Platte beginnt mit dem Stück "People", das einen beängstigend auf- und abschwellenden Wall of Sound bietet, hypnotisch und nur mit effektreicher Gitarre arrangiert ist, zu welcher sich langsam und stetig aus dem Nichts ein treibender digital erzeugter Drum-Beat gesellt, der sehr fremd anmutet und die Story des Liedes in seiner Mystik perfekt unterstützt. Der Song ist eine Art Liebeserklärung an die gesamte Menschheit, oder vielmehr an das Gute im Menschen. Kevin Coyne war zeitlebens ein grosser Idealist, was womöglich schon ein zentrales Indiz dafür war, dass er zeitlebens kommerziell scheiterte. "People" ist ein verstörend schöner Song. Mit dem nachfolgenden "Having A Party" redet Coyne Klartext. Hier rumpelt und poltert es, wie man das bei ihm oft hört: Dieser rauhe, unpolierte Bluesrock mit dieser ganz eigenen Note und fernab jeglichen Wohlfühl-Grooves. Rock ohne Roll. Und eine bitterböse Abrechnung mit der Schallplattenindustrie, die nur Künstler unterstützt, die geschmeidig, biegsam, fröhlich lächelnd und hochglanzpoliert gefönt und gebürstelt zu wandelnden Geldbörsen mit dümmlichem Blabla macht. Beeindruckend hier Coyne's Textzeile, als er von einem Traum erzählt, in welchem er sich in einem Raum gefangen sieht, in dem lauter goldene Schallplatten an den Wänden hängen und er gestehen muss, dass er keine einzige besitzt.
Mit dem leichtfüssigen, fröhlich-unbeschwerten und von einer wundervoll säuselnden Orgel getragenen "I'll Go Too" lenkt Kevin Coyne dreieinhalb zauberhafte Minuten lang mit einer Wohlfühl-Melodie ab, die man an dieser Stelle des Albums nicht erwarten würde, die man auch ein Leben lang nicht mehr aus dem Kopf kriegt, und die in so zauberhaften Textzeilen wie "Little white hands in the atomic night. The face of the future so clear and bright" oder "You can dance on the tables and fire your guns. They're just rubber bullets, won't cause no pain" an die hässliche Kreatur Mensch in diesem fluffig-schönen Gewand gemahnt. Als bis zu fast gänzlicher Nacktheit herunterarrangierter Liebessong präsentiert sich "I'm Just A Man" mit vermeintlich banalen Orgeltönen und gewollt belanglosen Gitarrentupfern als ein gefühlvoller Lovesong, der so sehr auf die genuschelte Liebesgeschichte reduziert ist, dass man sich wünschte, alle Lovesongs dieser Welt würden so eindrücklich, innig und instrumentalistisch minimal klingen. Mit dem die erste LP-Seite beschliessenden "Pretty Park" bietet Kevin Coyne dann wieder einen seiner bekannten Akustik-Rocker, die ihre gesamte Dynamik aus dem hämmernden Gerumpel der Drums beziehen, und von seiner Stimme getragen werden.
Mit dem bekannten Gepolter rumpelt "Let Me Be With You" die zweite Plattenseite los. Hier präsentiert sich der Kümnstler schonfast im Stile eines Captain Beefheart, His Royal Schrägness kommt hier am besten auf der ganzen Platte zu tragen. Das nachfolgende "Marigold" wiederum ist das pure Gegenteil. Wieder eine verstörend schöne Melodie, ein abgrundtiefer Text, irritierend und geheimnisvoll, mit Querverweisen an ein nicht vorhandenes Matriarchat, das dennoch real ist, aber der Männerwelt nicht unter die Nase gerieben wird ("Marigold was dreaming, she wasn't screaming. Her high-heeled foot was pressed upon the chest of a man. All men are fools she said and most of them would be better if they were dead. I wish they'd all get out of my well-permed head and leave women to rule the world, leave it to the girls") verpackt und vorgetragen in einer an das Werk von Tom Waits gemahnende akustische Kanonenkugel.
In "Don't blame Mandy" klingt Kevin Coyne schon fast wie der gute alte Donovan, wenn er träumerisch über Jemanden sinniert, der nicht in dieser realen Welt zuhause zu sein scheint, und nur fliegen will ("Don't blame Mandy. Leave her alone. Don't laugh at her, don't sneer. She needs something better than this locked life. You give her nothing, you make her cry. Leave her alone, she's flying on her own, flying on her own. Mandy - die Liebeserklärung an eine Autistin ? Ein weiterer, sehr düster wirkender Song ist das nachfolgende "Little Miss Portobello", ein verkappter - oder missglückter ? - Boogie, aus dem tiefsten Seelenkeller hinauf grollend. Auch hier klingt Kevin Coyne wieder ähnlich wie Captain Beefheart. Wirklich gut zu vergleichen, denn auch Herr van Vliet verstand es stets grossartig, seinen mitunter sehr verschrobenen Songtexten akustische Transportmittel zu verpassen, die den Eindruck der Exaltiertheit noch um ein Vielfaches zu verstärken wussten.
"Wendy's Dream" klingt wieder versöhnlich mit einer unglaublich schönen Melodie, einer wundervollen Hommage an Irland und gleichzeitig ein waschechter Folksong, wie er zehn Jahre zuvor auch etwa von John Martyn, Nick Drake oder Keith Christmas hätte vorgetragen werden können. Eine der besten Nummern von Kevin Coyne insgesamt findet sich schliesslich am Ende dieses exzellenten Albums. "The World Is Full Of Fools" beschreibt den Zustand, hinausgehen zu wollen in die Welt, aber ausgebremst zu werden von der inneren Nacktheit, die nicht will, dass sie erkannt wird. "The big bookcase it hides the window. It means I cannot see out. No ragged heads, no ragged minds are going to mess me, mess me about. Going to keep it right, don't mention the night. Down by the lakeside, I'm sitting with pamphlets strewn all over me. White squares of paper full of ideas. I throw them all in into the sea. They sail away, sail away, because the world is full of fools. But it doesn't make them bad people". Die grossen Rockballaden fallen mir spontan ein. Procol Harum, Moody Blues etwa. Die wirken jedoch gegenüber diesem traumhaft traurig-schönen Stück von Kevin Coyne wie hohles Zeug ohne wirkliche Aussage, ohne Tiefgang:
Just another whiter shade of pale in a night of white satin.
The world is full of fools, but it doesn't make them bad people.
No comments:
Post a Comment