LAURIE ANDERSON - Big Science (Warner Brothers Records BSK 3674, 1982)
Dada ? Vielleicht ist es das, wenn man bedenkt, dass wir hier zum Beispiel von Sinfonien für Autohupen und Neonviolinen sprechen. Laurie Anderson hat vielleicht gar nie Musik gemacht. Was sie mir immer wieder auf ihren grandiosen Platten herüberbringen konnte, würde ich im weitesten Sinne als Kunst Performance bezeichnen. Für ihre aussergewöhnlichen Aufführungen bediente sich Laurie Anderson allem, dem man auf irgendeine Art und Weise Töne entlocken konnte: Sprache, Filme, Diavorführungen, einzelne musikalische Fetzen, meist zusammenhangslos (auf den ersten Höreindruck!), sogar mit Pantomime und auf die Bühne projizierten Schattenspielereien arbeitete sie. Dass sie auch eine hochbegabte Kommunikatorin ist, lässt sich aus ihrer Ausbildung herauslesen: Hochschule, Elite-College, Studium als Kunsthistorikerin (mit Diplom). Eines ihrer bevorzugten Instrumente (oder besser gesagt Klangerzeugungs-Gerät) war eine sogenannte Neonvioline, bei welcher die Saiten durcheinen Magnetknopf, und die Bogenaare durch ein Tonband ersetzt worden waren. Dazu band sie sich einen Schlips um mit eingebauter Klaviatur. Wikipedia dazu:
The tape-bow violin is an instrument created by Laurie Anderson in 1977. It uses recorded magnetic tape in place of the traditional horsehair in the bow, and a magnetic tape head in the bridge. Anderson has updated and modified this device over the years. She can be seen using a later generation of this device in her film Home of the Brave during the "Late Show" segment in which she manipulates a sentence recorded by William S. Burroughs. This version of the violin discarded magnetic tape and actually used MIDI-based audio samples, triggered by contact with the bow.
Ein andermal band sie sich ein selbst entworfenes Schlagzeug-Kleid um, baute darin mehrere Kontaktmikrophone ein. Diesem Gewand entlockte sie dann die verschiedensten perkussiven Schläge, indem sie sich an verschiedenen Körperstellen schlug (eine Art Elektronik-Plattler im weitesten Sinne).
Laurie Anderson war Mitglied einer Theatergruppe, genannt TALENTED TEENS. Dort entwarf sie einen sogenannten "Handphone Table" - einen Tisch, der durch ein in der Tischplatte eingebautes Tonbandgerät über die aufgestützen Arme des am Tisch Sitzenden Musik und Schwingungen auf die Hände und in den Kopf übertrug. Oder sie schrieb eine Sinfonie für Autohupen und spielte Geige, während sie auf der Bühne umherging, und zwar in Rollschuhen, die in Eisblöcke eingefroren waren. Das Konzert dauerte dann jeweils so lange, bis die Eisblöcke aufgetaut und geschmolzen waren. Solche Aufführungen fanden in den teils drastisch radikalen Werken von John Cage und Philip Glass ihren Ursprung als Inspiration.
Trotz ihres intellektuellen Habitus konnte sie im Jahre 1981 einen Hit landen, und zwar mit einem Stück, genannt "Oh Superman". Ihre Aufführungen erreichten nicht selten eine Länge von 5 Stunden oder mehr. Legendär sind Auftritte bis zu 7 Stunden, in denen sie Monologe führte, abstruse Klangcollagen lieferte und dabei mit Multimedia-Einspielungen und -Effekten arbeitete. Laurie Anderson nutzte alles, was die Technik hergab und verstand sich als Science Fiction Musikerin. Zentrales Thema in vielen ihrer Performances war die Technisierung der Menschheit mit all ihren Nachteilen.
Daneben hat sie aber auch Rockmusik gemacht, wenngleich auch immer auf intellektuellem Gesamtniveau, und nie einfach konsumierbar. Künstlerische Freiheit, der Einbezug verschiedenster technischer Möglichkeiten und ein avantgardistisches Weltbild prägten all ihre Projekte.
Das zugänglichste Werk dieser aussergewöhnlichen Künstlerin wird "Big Science" aus dem Jahre 1982 bleiben. Weitaus interessanter, aber sehr anstrengend anzuhören ist die LP "You're The Guy I Want To Share My Money With", die sie im Jahre 1981 mit John Giorno und William Burroughs gemacht hat.
Auch Filme hat Laurie Anderson gemacht. Einer der radikalsten, gleichwohl aber besten Filme war der 1986 entstandene Film "Home Of The Brave"" mit Laurie Anderson, Joy Askew, Adrian Belew, William S. Burroughs, Richard Landry, Paula Mazur und David Van Tieghem.
Laurie Anderson ist eine ganz aussergewöhnliche Künstlerin, die es verdient, einmal entdeckt zu werden, wenngleich man keine Berührungsängste haben darf, und sich auch sonst ein bisschen sehr weit von seinen liebgewonnenen Hörgewohnheiten entfernen muss. Kriegt man das hin, eröffnet sich einem eine ganz fantastische Welt ausserhalb jeglicher musikalischer Standards.
Ihr 1982er Album "Big Science" eignet sich dazu recht gut, zeigt sie sich hier doch von ihrer offenen und zugänglichen Seite. Der einzige Hit "Oh Superman" ist hier in seiner Langfassung von knapp 8 1/2 Minuten zu hören, noch einmal ein grosses Plus für Jeden, der auch diesen Song von ihr mag. Laurie Anderson mag in den Ohren vieler Ersthörer sogenannt "sperrig" wirken. Hat man sich aber erst einmal in ihren aussergewöhnlichen musikalischen Kosmos begeben, lauscht man fasziniert diesen fremdartig wirkenden Klängen und wird am Ende eine beeindruckende Künstlerin erfahren haben. Eine Reise in diesen Kosmos anzutreten, lohnt sich sehr.
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