May 24, 2016


GYPSY - Antithesis (RCA Records LSP-4775, 1972)

Als die amerikanische Rockband Gypsy 1972 ihr drittes Album veröffentlichte, war die Band um den Sänger und Gitarristen Enrico Rosenbaum bei der Plattenfirma RCA Records gelandet, die versuchte, die Band in eine zeitgemässe, soulige Poprock Richtung zu schicken, ähnlich den Doobie Brothers oder Chicago, die ebenfalls diesen leichtverdaulichen, auch Westcoast-inspirierten Sound sehr erfolgreich spielten. Enrico Rosenbaum führte bereits in den 60er Jahren seine erste Band The Escapades, mit denen er auch schon mal für Chuck Berry den Support Act bestreiten konnte. Seine nächste Band nannte sich The Underbeats, aus denen dann später nach einem Namenswechsel die Gruppe Gypsy entstand. Enrico Rosenbaum, 1944 in Italien geboren, war das Kind von jüdischen Eltern, die den Holocaust in einem Konzentrationslager überlebt hatten und nach dem Krieg nach Amerika übersiedelten. Die Familie lebte hauptsächlich vom Einkommen der Mutter, die als Näherin beschäftigt war, in ihrer freien Zeit aber auch als Sängerin in kleineren und grösseren Clubs auftrat. Enrico's Vater verlor im Krieg sein gesamtes Vermögen an die Nazis und konnte in Amerika aufgrund seiner angeschlagenen Gesundheit nicht mehr Fuss fassen. Während seiner Zeit in der Highschool lernte Enrico Rosenbaum Gitarre zu spielen und formierte auch die eine oder andere Schülerband, bevor er mit den Underbeats als Leadsänger im Grossraum Minneapolis bekannt wurde und zwei lokal sehr erfolgreiche Singles veröffentlichte.

Als die Gruppe sich in Gypsy umbenannt hatte, war sie gleichzeitig auch nach Los Angeles umgezogen, wo sie schon bald als sogenannte Hausband im legendären Club The Whiskey-A-Go-Go als Dauergäste angestellt wurden. Dort spielten sie unter anderem als Einheizer oder manchmal auch als Begleit-Combo etwa für Jimi Hendrix, The Guess Who oder Steppenwolf. Ausserdem waren sie freundschaftlich verbunden mit der Gruppe Chicago, deren Bläser-Sektion auch auf den Alben von Gypsy zu hören war. Die Band unterschrieb einen ersten Plattenvertrag beim Label Metromedia Records und veröffentlichte 1970 ihr erstes Album mit dem Titel "Gypsy". Aussergewöhnlich war, dass es sich bei ihrem Debutalbum um ein Doppelalbum handelte, das später zu einer sehr gesuchten Rarität unter Sammlern mutierte. Es gilt bis heute unter Kritikern als ihr bestes Album, wohl auch, weil es noch viele stilistische Seiten einer Gruppe zeigte, die ihren eigenen Souind noch nicht gefunden hatte und noch auf der Suche war. Entsprechend experimentell und vielseitig präsentierte sich ihre Musik. Ein Jahr später erschien mit "In The Garden" das zweite Werk der Gruppe, das mit dem Longtrack "As Far As You Can See (As Much As You Can Feel)" einen Jam präsentierte, der auch Elemente des Progressive Rock aufwies. Leider verfügte das Plattenlabel Metromedia nur über sehr beschränkte finanzielle Mittel, weshalb beide Platten, sowohl das hervorragende Debutalbum wie auch das zweite Werk "In The Garden" letztlich viel zu wenig promotet werden konnte, sodass der Band ein breiteres Airplay beschieden war.

Die Band wechselte kurz nach der Veröffentlichung von "In The Garden" zum grossen und renommierten Label RCA Records und präsentierte auf der dritten Platte "Antithesis" eine stark veränderte und kompositorisch spürbar straffer gehaltene Mixtur, die sich noch stärker am souligen und leicht funkigen Poprock des Westcoast Stils orientierte. Die kompekten Songs wirkten sehr gut auskomponiert und waren perfekt arrangiert, was angesichts des relativ eng bemessenen Produktions-Budgets erstaunlich ist. Das Jam-Element in den Kompositionen war gänzlich verschwunden. Die Platte überzeugte mit kompaktem Songformat zwischen 3 und 4 Minuten und zeigte eine Band, die homogener und auch geschlossener wirkte als auf den beiden zuvor veröffentlichten Alben.

Beim das Album eröffnenden Titel "Crusader" und dem nachfolgenden "Day After Day" klang die Gruppe ebenso wie frühe Doobie Brothers wie beispielsweise auch bei den Stücken "The Creeper" oder "So Many Promises". Mit dem "Travelin' Minnesota Blues" verneigte sich die Band vor ihrer Heimatstadt Minneapolis, wo ihre Wurzeln lagen und mit dem Track "Money" prangerten sie die Knauserigkeit der Plattenfirmen an, die ungern genügend flüssige Mittel aufbrachten, um die Gruppe zu unterstützen. Ausserdem äusserten sich Enrico Rosenbaum und seine Mitmusiker auch politisch, wie etwa im Titel "Edgar (Don't Hoover Over Me)", einem unmisverständlichen Fingerzeig an die Adresse von J. Edgar Hoover, dem Gründer des FBI und überzeugten Kämpfer gegen den Kommunismus und der späteren Bürgerrechtsbewegung.

Enrico Rosenbaum geriet nach der Veröffentlichung des dritten Gypsy Albums, zusammen mit weiteren Mitgliedern der Band in die Drogenfalle, wurde heroinabhängig und konnte sich von seiner Sucht nicht mehr befreien. Nach einem wenig erfolgreichen Comeback-Versuch verlor er aufgrund seiner Heroinsucht jeglichen Besitz, lebte auf der Strasse und setzte seinem Leben am 10. Dezember 1979 selber ein Ende. Seine künstlerische Hinterlassenschaft ist nicht gross, doch sehr hörenswert, denn sie zeigt eindrücklich den Weg einer Band, die innerhalb von drei Alben einen eigenen Sound definiert hatte, der sich während der gesamten 70er Jahre für andere Vertreter dieser musikalischen Richtung als wahre Goldgrube erwies. Während andere Musiker und Bands mit dieser Soundmixtur das grosse Geld verdienten, blieben Enrico Rosenbaum und seine Truppe aber leider auf der Strecke, ein Schicksal, das sie mit vielen anderen Bands in den 70er Jahren teilten.



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