THE NECKS - Sex (Spiral Scratch Records 0002, 1989)
THE NECKS sind ein australisches, rein instrumental ausgelegtes Trio mit drei erfahrenen Jazz-Musikern: Chris Abrahams (Klavier), Tony Buck (Schlagzeug) und Lloyd Swanton (Bass). Ihre Musik grundsätzlich zu beschreiben, ist sehr schwierig. Das Trio vermeidet es als ihr spannendstes und charakteristischstes Merkmal, dass es Wiederholungen konsequent vermeidet. Das heisst, ihre Musik, die jeglichen Kompositions-Rahmen sprengt, erfährt keine repetativen Elemente, sondern konsequentes Variationsspiel, wie man es von der freien Improvisation zahlreicher Free Jazz-Musiker kennt. Das Besondere in der Musik von THE NECKS ist allerdings, dass das Trio eine Vielzahl verschiedenster musikalischer Einflüsse in ihre freien Improvisationen einbaut, die man auch ausserhalb des Jazz findet, wie etwa typische Avantgarde-Elemente, aber auch Versatzstücke etwa aus dem Krautrock-, sowie dem Ambient-Bereich.
Die zahlreichen Alben der Band enthalten lange, oftmals Trance-artige Jams mit einfachen melodischen Linien, oft geheimnisvoll und magisch-entrückt angetrieben durch einen sphärisch schwingenden funky Groove. Die harmonischen Elemente erinnern dabei an den klassischen Minimal Sound, während das atmosphärische instrumentale Zusammenspiel durchaus auch dem klassischen Jazzrock, resp. dem typischen Fusionsound der 70er Jahre seine Reminiszenz erweist. Die drei Musiker hatten schon lange bevor sie die NECKS gründeten, eine lange musikalische Karriere in Australien hinter sich. Pianist Chris Abrahams, der auch drei Soloalben veröffentlicht hatte, auf denen er reine Klaviermusik spielte, hatte mit etlichen Musikern vor allem aus dem Jazz Avantgarde-Bereich zusammengearbeitet, so etwa mit John Zorn, Tom Cora, Phil Minton, Peter Brötzmann, Hans Reichel, Han Bennink, Shelley Hirsch und Wayne Horvitz. Lloyd Swanton führte seine Band THE CATHOLICS, eine Jazz-Combo, mit welcher er vier Alben herausgebracht hatte, sowie die Band SIMPLE.
Das Trio veröffentlichte 1989 als ihr erstes Projekt eine 56 Minuten lange Komposition, die das Album "Sex" komplett füllte. Die smoothe Rhythmik und das leicht synkopierte Tempo bildete eine zarte Textur für die intermittierenden Muster des neoklassischen Klaviers und bot eine herrliche Plattform für die fast schon sinnlich stöhnende Trompete. Die kaskadierenden Klaviernoten verschmolzen sich in einem einzigartigen, da und dort recht spaceig-psychedelischen und bisweilen auch absolut hypnotischen Strom fremd und geheimnisvoll anmutender Grooves, die manchmal federleicht, dann aber auch wieder recht disharmonisch und anspruchsvoll wirkten. Die permanente Steigerung innerhalb der Komposition, die nicht retrospektiv bereits abgebildete Texturen wiederholte, baute dadurch über die gesamte Laufzeit eine unglaubliche Spannung auf und forderte vom Zuhörer die volle Aufmerksamkeit. Die Art, wie Abrahams hier das Klavier spielte, war einzigartig: Abstrakt, exotisch, romantisch, aber immer voller Hingabe.
Diesem aussergewöhnlichen Album folgten bis heute zahlreiche weitere, denen stets gemeinsam war, dass es sich um lange Improvisationen handelte, von denen keine wie die andere klang und die oft den Rahmen von einer Stunde Lauflänge sprengten. Herausragend ausser dem Debutalbum "Sex" sind die folgenden Werke, die ich ebenfalls wärmstens empfehlen kann:
"Hanging Gardens" (1999) war eine 60-minütige Komposition, welche die minimalistische Technik der instrumentalen Interaktionen erneut bestens ins Szene setzte. Rasend zu nennende Schlagzeug Loops und ominöse Basslinien tanzten völlig losgelöst und frei um die teils abstrakten Klavierpassagen. Das Album verbreitete eine beinahe kryptische Grundstimmung. Die Musik klang hier noch hektischer, stürmischer und psychedelischer als noch einige Jahre zuvor. Ein zehn Minuten währendes Intro zeigte Pianoisounds, das eine Atmosphäre der Spannung schuf, wie sie etwa an "The End Of The Game" von Peter Green erinnerte. Danach erlebte das Stück eine lange, sich über 20 Minuten erstreckende Jazz-Improvisation, die sich ekstatisch aufbäumte und immer wieder in sich zusammenbrach. Wenn das Trio nach einer solchen Phase der Ruhe abstrakte Kontrapunkte setzte, und danach sich wieder dynamisch einem hällischen Spielrausch verfiel, die pure Energie wieder freisetzte, hörte sich dies bisweilen an wie der Orgel-gesteuerte Tumult beispielsweise von THE NICE oder COLOSSEUM.
Den Zenit ihres minimalistischen Jazzrocks erreichten The Necks 2001 mit ihrem Album "Aether", auf welchem ein einfacher Akkord einem Mantra gleich konstante Schwingungen erzeugte, die von den Instrumenten nach und nach als subtile Farbklecks zu einem bunten Ganzen führten. Es geriet zum im wahrsten Sinne ätherischsten ihrer Werke. Mehr am klassischen Ambient Sound angelehnt war beispielsweise ihr Werk "Open" von 2013, auf welchem ihre Musik durchaus Ähnlichkeiten etwa zu Brian Eno's "Music For Airports" oder Harold Budd's "Pavilion Of Dreams" aufwies. Um in die äusserst spannende musikalische Welt der Necks einzutauchen, empfiehlt es sich aber, mit ihrem Debutalbum anzufangen, denn auf "Sex" wirkten ihre spannenden und raffiniert aufgebauten Improvisationen noch relativ zugänglich. Abstrakter und fordernder gestalteten sich ihre Werke erst mit den Jahren. Das Trio veröffentlichte zuletzt das Werk "Vertigo", welches 2015 erschien.
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