BE BOP DELUXE - Modern Music (Harvest Records SHSP 4058, 1976)
Dieses, an der Schwelle zur Punkbewegung veröffentlichte Art Rock Meisterwerk gehört zu den besten, sträflich unterbewerteten Highlights der Rockmusik der 70er Jahre.
Als 1971 der damals 22-jährige Sänger, Songwriter und Gitarrist William (Bill) Nelson aus Wakefield, West Yorkshire / England, ein recht ungelenkes und eher halbherzig produziertes Album namens "Northern Dream" veröffentlichte, war noch nicht abzusehen, dass er nur fünf Jahre später als Leader der faszinierenden Rockband Be Bop Deluxe auf dem Sprung zu einer Weltkarriere sein würde. Nelson gründete die Gruppe im August 1972 mit ein paar alten Schulkumpels, doch erst knapp zwei Jahre später erschien ihr Debütalbum mit dem martialischen, aber völlig irreführenden Titel "Axe Victim". Und plötzlich war da eine Art von Magie. Viel fokussierter und konzentrierter klangen seine neuen Songs, und das Gerüst einer richtigen Band war für die Präsentation seiner vielfältigen Ideen genau die richtige Grundlage.
Bill Nelson wurde zwar vorschnell entweder als Kopie oder als legitimer Nachfolger des damaligen Glam Rock Superstars David Bowie bezeichnet, doch seine künstlerischen Vorstellungen wiesen über derartige journalistische Simplifzierungen weit hinaus. Mit dem Song "Jet Silver And Ahe Dolls Of Venus" machte er sich gar ein wenig über Bowie's Erfolgsalbum "The Rise And Fall Of Ziggy Stardust And The Spiders From Mars" lustig.
1975 folgte das Album "Futurama" in neuer Besetzung als überzeugender Zweitling, bevor die Karriere von Be Bop Deluxe so richtig in die Gänge zu kommen schien. Mit dem Quartett Bill Nelson, Andrew Clark (Keyboards), Charles Tumahai (Bass) und Simon Fox (Drums) war schliesslich die Idealbesetzung gefunden. Prompt stieg diese im Februar 1976 mit dem Album "Sunburst Finish" erstmals in die englischen Charts ein und kletterte bis in die Top 20, während die Single "Ships In The Night" immerhin den respektablen Platz 23 erreichte. Auch in Amerika war man inzwischen auf die Band aufmerksam geworden (Platz 72 in den Billboard-Charts für das Album). Also wurden die Jungs sogleich für eine US-Tournee verpflichtet. Seine Eindrücke von dem riesigen, technikgläubigen, aber menschlich oberflächlichen Land und sein bis ins Mark schmerzendes Heimweh nach England und seiner dort lebenden Freundin inspirierten Bill Nelson zu vielen Songs und Texten für das bereits im September 1976 folgende vierte Studioalbum "Modern Music", mit dem Be Bop Deluxe der weltweite Durchbruch gelingen sollte.
Auf dieses Ziel wies schon das ikonenhafte Cover-Artwork hin: die vier Musiker verkleidet wie Geschäftsleute in Anzug und Krawatte mit für die 70er-Jahre sehr ordentlichen Frisuren. Und hinter ihnen die Erdkugel, umkreist von einem grellen roten Neon-Schriftzug mit dem Namen Be Bop Deluxe. Musikalisch bot Nelson ganz bewusst bereits eine Menge ironischer Selbstzitate auf und führte damit sein Werk zur frühen Vollendung. Dazu mannigfaltige musikalische Einflüsse von Hendrix über Bowie, T.Rex, Queen und 10cc bis hin zum Electric Light Orchestra. Glam Rock, Art Rock, Folk Rock, Hard Rock, sogar eine Prise Reggae, alles wurde zu einer leckeren Gourmetsuppe miteinander verkocht. Die Songs gingen wie bei einem Konzeptalbum fast alle nahtlos ineinander über, sie sprudelten vor Ideen, blieben dabei aber stets eingängig und immer hoch melodisch; Nelsons Musik war voller Emotionen und doch britisch-trocken bis ins Herz. Und wie nebenbei wurden eine geniale Fake-Radiocollage aus Songs der bisherigen Alben, eine Wettervorhersage, Geräusche aus amerikanischen Ballerkrimis oder Stimmen wie von ausserirdischen Wesen in das musikalische Konzept eingefügt und machten das Ganze damit noch spannender.
Textlich war dies eine abenteuerliche Mischung aus den von Nelson geliebten Science-Fiction-Themen, unverstellt romantischen Lovesongs und der bereits erwähnten Auseinandersetzung mit den Vereinigten Staaten von Amerika. "And nothing here is certain, and nothing is the truth. A peep behind the curtain will rob you of your youth" dichtete Nelson für den Eröffnungssong "Orphans Of Babylon". In "Lost In The Neon World" heisst es: "I left my home some time ago, to fight the creatures of the USA". Und das nachfolgende Instrumental-Stück nannte er gar "Dance Of The Uncle Sam Humanoids". So machte man sich bestimmt wenig neue Freunde in God's own country. Man könnte ellenlang über das Gesamtwerk "Modern Music" räsonieren und hätte wahrscheinlich trotzdem noch nicht alle interessanten Details besprochen. Kommerziell wurde "Modern Music" entgegen allen Hoffnungen und Erwartungen aus bis heute unerfindlichen Gründen zu einem Flop. Zwar erreichte das Album Platz 25 in England und - trotz aller textlichen Häme - Platz 84 in den USA, aber das war für ein Album dieser herausragenden Qualität bei weitem zu wenig. Und der Rest der Welt, Deutschland inklusive, zeigte der Band wie schon bei den vorherigen Platten die kalte Schulter.
Für die letzte Be-Bop-Deluxe-Platte "Drastic Plastic", die 1978 erschien, wandten sich Bill Nelson und seine Mitmusiker von ihrem bewährten Sound ab, um sich (seinerzeit stark angesagten) New Wave- und Elektronik-Klängen zu widmen. Das war leider nicht nur musikalisch recht fade, sondern ging auch verkaufsmässig eher nach hinten los, und so löste sich die Band kurze Zeit später ziemlich sang- und klanglos auf. Bill Nelson verabschiedete sich in der Folge aus der Glitzerwelt der Rockmusik und produzierte in seinem Heimstudio in der englischen Provinz einige weitgehend unbeachtete, aber teils tolle Soloalben, auf welchen er mit seinem mittlerweile gut gemixten Sound aus Art Rock- und Elektronik-Elementen überzeugen konnte.
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