THE FLOWER KINGS - Unfold The Future (Inside Out Music IOMACD 2047, 2002)
Das Universum des Roine Stolt ist eine äusserst kreative Welt für sich. Kaum einer der grossen Musiker aus dem Bereich des progressiven Rocks (auser vielleicht Neal Morse) hat sich in mehr als zwei Jahrzehnten einen so exzellenten Ruf erarbeitet wie der schwedische Gitarrist, Sänger, Textautor und Komponist, der in fast allen denkbaren Stilrichtungen zeitgenössischer Musik von Rock, Pop bis Jazz zuhause ist. Von Ausnahmekünstlern wie ihm braucht man inzwischen nicht einmal mehr Meisterwerke zu erwarten, denn die liefert er seit vielen Jahren schon mit schöner Regelmässigkeit ab und man kann sich durchaus fragen: Woher nimmt dieser Musiker immer wieder diese endlosen neuen Ideen ? Sogenannte Meisterwerke werden in unserer schnellebigen Zeit ja mindestens alle zwei Wochen einmal proklamiert. Umso überraschter ist man dann, wenn sich innerhalb dieser ganzen superlativen Massenware völlig unverhofft tatsächlich ein Juwel findet, das wirklich fast alle Kriterien erfüllt, um als eines dieser Meisterwerke der Rockmusik bezeichnet werden zu können. Das Album "Unfold The Future" der Flower Kings ist zweifelsfrei eines dieser seltenen Werke, denen man auch nach vielen Jahren und unzähligen Hördurchgängen immer noch mit grosser Faszination lauschen kann und immer wieder begeistert ist. Das Album bietet eine endlose Stil- und Klangvielfalt, dargeboten von überragenden Musikern. Das Songwriting ist ebenfalls exzellent, eine unmittelbare emotionale Kraft und ein exorbitantes kompositorisches Niveau gehen Hand in Hand, was dazu führt, dass sowohl Bauch wie Intellekt gleichermassen auf allerhöchstem Level angeregt werden.
Was dieses Werk schon mal als zentrales Element auszeichnet, ist seine enorme stilistische Vielfalt, die von musikalischen Einflüssen etwa von Emerson Lake & Palmer, aber auch Yes oder King Crimson dominiert wird. Allerdings handelt es sich bei "Unfold The Future" keineswegs um ein Album, das dem Retro Rock im weitesten Sinne frönt, denn musikalische Einflüsse sind fast in jedem musikalischen Werk spür-, hör- und fühlbar. Im Falle der Flower Kings sind dies jedoch stets nur Eckpfeiler, denn wie andere Platten dieser Band auch, ist auch "Unfold The Future" ein absolut modernes Progressive Rock Album. Elemente praktisch aller erdenklichen Stilrichtungen von Chanson über Blues bis hin zum Heavy Rock spielt die Band kompetent und immer auch sehr enthusiastisch und entsprechend einnehmend für den Zuhörer. Es ist die Tonsprache der Fusion-Musik, die dem Album ihren Stempel aufdrückt. Man könnte "Unfold the Future" durchaus auch als gelungene Synthese zwischen Jazz und klassischem Progressive Rock bezeichnen. Die Stücke des originalen Doppelalbums rocken, groovt, swingen, driften auch mal in Richtung sphärische Klänge ab. Die Palette der dadurch erzeugten Stimmungen reicht von nordischem Schwermut bis hin zu überdrehtem Humor. Trotz oder gerade wegen dieser ständigen Stilbrüche wirkt das ganze Werk von vorne bis hinten wie aus einem Guss, alles fügt sich harmonisch zu einem wundervollen Gesamtkunstwerk zusammen.
Die Flower Kings bestechen wie auch auf anderen Werken hier vor allem auch durch ihre soundtechnische Bandbreite. Neben den unendlich differenzierten, mal solistischen, mal orchestralen Keyboards kommen reichlich perkussive Instrumente inklusive Marimba, sowie Bläser in Form von Trompeten und Saxophonen zum Einsatz. Die Musik bleibt dabei stets transparent. Trotz der schieren Detailflut vermittelt das Album fast so etwas wie eine Live-Atmosphäre. Die Musiker sprühen vor Spielfreude. Roine Stolt gehört zu den besten Gitarristen überhaupt, nicht weil er durch technische Eskapaden glänzt, sondern weil er wirklich alles spielen kann. Oft klingt er ähnlich wie der Yes-Gitarrist Steve Howe, aber genauso gut beherrscht er die Sprache beispielsweise des Jazz-Fusion Gitarristen Scott Henderson oder gar die Jazz Vibes von John Abercrombie. Jonas Reingold ist dazu der kongeniale Gegenpart am Bass, sein stilistisches und kreatives Spektrum reicht von Chris Squire über Tony Levin bis hin zu Jaco Pastorious. Am Schlagzeug kann der zu diesem Album neu in die Band gekommene Zoltan Csorsz mit seinem fesselnden, stets sehr perkussiv-verspielten Schlagzeugspiel überzeugen.
Der Keyboarder Thomas Bodin gehört ebenfalls zu den ganz grossen Musikern im progressiven Rock. Seine Vorlagen an den verschiedensten Keyboards passen immer hundertprozentig und sind mal verspielt, mal nur erdig, aber stets kreativ und von exquisitem Spiel. Fehlt noch der Sänger Hasse Fröberg, der ebenfalls über ein enormes stimmliches Spektrum verfügt und jedem Stück den individuellen Stempel aufzudrücken vermag. Stellenweise erinnert sein Gesang durchaus an den Gesang von Yes-Sänger Jon Anderson. Er teilt sich den Gesang mit Roine Stolt. Beide Gesangspoeten bestechen durch ihren unter die Haut gehenden, gehaltvoll-erzählerischen Stil der stimmlichen Darbietungen. Und obschon mit Stolt und Fröberg zwei exzellente Sänger in der Gruppe vorhanden sind, leistet die Band sich noch zusätzlich den Luxus, auf die prominente Unterstützung von Gastsänger Daniel Gildenlöw zurückzugreifen.
Einzelne Songs herauszugreifen, hiesse an diesem Gesamtkunstwerk vorbeizureden. Die Flower Kings überfluten den Hörer streckenweise mit den betörendsten Melodien und Harmonien. Die entrückte Schönheit und die unmittelbare Eingängigkeit der Stücke wird aber niemals mit dem Abdriften in banal-belanglose Beliebigkeit oder Sentimentalität erkauft. Und die Jazz-Stücke sind kein Beiwerk, sondern auch an Genre-Masstäben gemessen absolute Weltklasse. Intellektuell veranlagte Hörer können sicher Nächte damit verbringen, zu versuchen, die thematischen Querbezüge und andere kompositorische Finessen zu erfassen. So taucht das Material aus dem ersten Titel, dem über 30 Minuten langen "The Truth Will Set You Free" über die gesamte Platte verstreut immer wieder mal auf, wird variiert, verarbeitet, dient als Grundlage für die eingestreuten Jazzimprovisationen. Was innerhalb der klassischen Musik durchaus gang und gäbe ist, darf in der Rockmusik aufgrund des extrem hohen kompositorischen Niveaus durchaus als exzeptional bezeichnet werden. Das Wichtigste dabei ist, das dies in keinster Weise gezwungen oder gekünstelt wirkt, sondern stets wie selbstverständlich vorgetragen wird.
"Unfold The Future" bedeutet die pure Magie. Auf zwei CDs verteilt findet sich hier kein einziger Song, respektive kein einziger Werk-Teil, der nicht hundertprozentig zu überzeugen vermag. Es ist eines dieser seltenen Werke der Rockmusik, die man auch nach vielen Jahren immer wieder auflegen kann und stets aufs Neue fasziniert ist ob der schieren Flut von Eindrücken, die diese Musik dem Zuhörer vermittelt und hinterlässt. Es ist durchaus möglich, dass Roine Stolt das gemeinsame Projekt TRANSATLANTIC gut genutzt hat, um sich von Neal Morse inspirieren zu lassen und so haben sich die Flower Kings der Klangsprache von Spock's Beard durchaus angenähert. Zusammen mit den Genannten dürfen die Flower Kings auf jeden Fall zur absoluten Elite des modernen Progressive Rock gezählt werden. Sehr empfehlenswert sind ausser diesem Doppelalbum auch ihre Werke "Retropolis", "Stardust We Are", "Paradox Hotel", "The Sum Of No Evil" und besonders auch das bärenstarke "Banks Of Eden" mit dem über 25 Minuten langen Epos "Numbers".
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