THE CARS - The Cars (Elektra Records 6E-135, 1978)
Es mutet durchaus etwas seltsam an, dass in den autoverrückten USA erst Mitte der 70er Jahre überhaupt eine Band auf die Idee kam, sich The Cars zu nennen. Die Gruppe um den charismatischen Leadsänger und Rhythmusgitarristen Ric Ocasek wurde 1976 in Boston gegründet. Als zwei Jahre später ihr Debutalbum erschien, waren Ocasek, Greg Hawkes (Keyboards), Elliot Easton (Leadgitarre), Benjamin Orr (Bass) und David Robinson (Schlagzeug) bereits Mitte zwanzig bis Anfang dreissig, also schon fast so etwas wie musikalische Spätzünder. Das fiel aber eigentlich nicht weiter auf, denn vom optischen Erscheinungsbild her hätte man sie fast alle durchwegs fünf Jahre jünger eingeschätzt. The Cars orientierten sich vordergründig am US-orientierten Rock'n'Roll ihrer Kindheit und Jugend, können aber auch zur aufkeimenden Punk- und New-Wave-Bewegung gezählt werden, die in den USA von Formationen wie den Ramones, Television, den Talking Heads oder auch Blondie geprägt wurde. Was die Gruppe The Cars aber von den Genannten wesentlich unterschied und mit ein Grund für ihren schnellen kommerziellen Erfolg war, liess sich ganz einfach mit dem Namen ihres Produzenten begründen.
Die Manager ihrer Plattenfirma Elektra Records kamen auf die Idee, die fünf Musiker in ein Fluigzeug nach London zu stecken und ihr Debutalbum von der britischen Studiokoryphäe Roy Thomas Baker produzieren zu lassen. Baker hatte sich 1975 mit seiner Arbeit für das erfolgreiche Album "A Night At The Opera" der Gruppe Queen und deren grossen Hit "Bohemian Rhapsody" unsterblich gemacht.
The Cars, die live damals sehr direkt, ja geradezu simpel aufspielten, wirkten auf ihrem Debütalbum teilweise wie eine amerikanische Ausgabe von Queen: Mehrstimmige Chöre und ein wuchtiger Schlagzeug-Sound, der seinerzeit selbst über billige Lautsprecher phantastisch in den Bauch rollte. Gleichzeitig gelang es Baker aber auf sehr einfühlsame Weise, die Wurzeln der Band in das musikalische Gesamtbild zu integrieren: The Cars klangen nicht britisch, sondern sehr amerikanisch. Das Ergebnis dieser transatlantischen Zusammenarbeit war schliesslich so brillant wie verblüffend. Und es garantierte auch einen sofortigen Erfolg: Das Album stieg im August 1978 in die US-Charts ein, erreichte Platz 19 und hielt sich während insgesamt 116 Wochen in den Top 100. Das entspricht unter anderem 35 Wochen mehr als das erfolgreichste Album des Jahres 1978 in den USA, dem legendären Filmsoundtrack zu "Saturday Night Fever" mit den damals toperfolgreichen Bee Gees.
Drei Songs (alle mit der exakt gleichen Lauflänge von 3:44 Minuten) wurden als Singles ausgekoppelt und erreichten Charts-Positionen zwischen Rang 28 und 70: "Just What I Needed", "My Best Friend's Girl" und das unglaublich coole Eröffnungsstück "Good Times Roll". Ric Ocaseks faszinierend einfacher und direkter Gesang krallte sich wohlklingend in den Gehörgängen fest, während bei einigen Songs auch der Bassist Benjamin Orr mit einer wesentlich sanfteren Tonart einen reizvollen Kontrast herbeizuzaubern wusste.
The Cars klangen wie die pulsierende Grosstadt, aus der sie stammten, wiesen in ihrer Spielart allerdings wesentlich weniger der zappeligen Überspanntheit beispielsweise ihrer New Yorker Kollegen Talking Heads auf. Angefangen bei der Simplizität von "I'm In Touch With Your World" (das dem typischen Sound der frühen Talking Heads noch am ehesten entsprach), "Don't Cha Stop" oder "Bye Bye Love" über die erwähnten Single-Hits bis zu den fast episch ausgelegten und toll arrangierten Titeln "You're All I've Got Tonight", "Moving In Stereo" und dem finalen, sich kontinuierlich steigernden "All Mixed Up" darf hier jeder einzelne Song als absolutes Juwel bezeichnet werden.
Das zweite Studioalbum mit dem Titel "Candy-O" erreichte ein Jahr später bereits Platz 3, und in den nächsten Jahren konnte die Band auch mehrere Top-Ten-Platzierungen in den Singlecharts erreichen, auch dank der massiven Unterstützung des 1981 gegründeten Musiksenders MTV. 1984 erreichten die Cars mit ihrem Album "Heartbeat City" und den fünf aus diesem Album ausgekoppelten Singles, von denen vier alleine die Top 20 erreichten, ihren kommerziellen Höhepunkt. Am erfolgreichsten waren die Titel "Drive" (Platz 3 in den USA) sowie "You Might Think" (Platz 7), dessen Video-Clip viel Anerkennung erntete. Wie alle Alben zuvor erhielt auch "Heartbeat City" in den USA den Platin Award Status. Am 13. Juli 1985 traten The Cars beim Live-Aid-Konzert im John-F.-Kennedy-Stadium in Philadelphia auf.
Hierzulande registrierte man eine der intelligentesten amerikanischen Bands leider erst Jahre später, als ihr inzwischen fünftes Album ("Heartbreak City") aufgrund des weltweiten Charts-Erfolges ihrer Single "Drive" bis auf Rang 15 vorstiess. Dass sie zuvor bereits vier exzellente LP's veröffentlicht und in den USA längst Kultstatus besass, war den meisten Musikfans gar nicht bewusst. Ebensowenig wurden bis dato auch Ric Ocasek's absolut empfehlenswerte Soloalben beachtet, denen er seit 1982 etliche weitere folgen liess.
Im Jahre 2006 gründeten Elliot Easton und Greg Hawkes zusammen mit Todd Rundgren (als Sänger und Gitarrist), dem Bassisten Kasim Sulton und dem Schlagzeuger Prairie Prince eine neue Formation unter dem Namen "The New Cars". Es wurde eine Livealbum mit dem Titel "It's Alive" veröffentlicht, das während einer US-Tour der neuen Gruppe aufgenommen wurde und alte Songs mit neuem Klang sowie drei neue Kompositionen präsentierte. 2010 gaben The Cars dann ihre Wiedervereinigung bekannt - mit Ausnahme des inzwischen verstorbenen Benjamin Orr in Originalbesetzung mit Ric Ocasek am Mikrophon. Die Single "Sad Song" wurde im März 2011 veröffentlicht, und am 6. Mai 2011 erschien ein neues Studioalbum mit dem Titel "Move Like This", dem ersten Album seit 24 Jahren. Ihr Debutalbum von 1978 blieb aber bis heute ihr Faszinierendstes, auch, weil es aufgrund seiner perfekten Produktion von Roy Thomas Baker und dem eleganten, in gewisser Weise schon mitten in der Blütezeit des Punk den sich erst später etablierenden New Wave in der Spielart etwa von Ultravox vorwegnahm.
No comments:
Post a Comment