Apr 17, 2017


SNAFU - Situation Normal (WWA Records WWA 013, 1974)

Die britische Rockband Snafu verband den Rhythm'n'Blues britischer Ausprägung mit amerikanischem Westcoast- und Country-Rock. Die Gruppe wurde von Bobby Harrison, der 1967 zur ersten Besetzung von Procol Harum gehörte, und Micky Moody, dem Gitarristen von Juicy Lucy, zusammen mit Terry Popple, dem früheren Schlagzeuger von Van Morrison, Colin Gibson, dem Bassisten von Ginger Baker's Air Force und dem Keyboarder Pete Solley im Herbst 1972 gegründet. Alleine vom Band Line-Up her hatte man da durchaus von einer neuen Supergroup sprechen können. Ihr erstes, selbstbetiteltes Album nahmen die Musiker in Richard Branson's Manor Studio zur gleichen Zeit auf, zu der auch der damals noch unbekannte Mike Oldfield gerade an dessen Debutalbum "Tubular Bells" arbeitete. Nach der Aufnahme ihres zweiten Albums "Situation Normal" mit deutlichem Country-Einfluss tourte die Gruppe als Support Act für Emerson Lake And Palmer durch Amerika. Dies wurde im Nachhinein jedoch als Fehler angesehen. Während der Aufnahmen zum dritten Album "All Funked Up" verliess Pete Solley die Band, um sich Procol Harum anzuschliessen. Er wurde ersetzt durch Brian Chatton und kurz darauf durch Tim Hinkley. Micky Moody wechselte zu David Coverdale und nach einem kurzen Gastspiel von Clem Clempson löste sich die Band schon nach knapp drei Jahren wieder auf. Was bei Snafu stets ohrenfällig war: Die Gruppe wollte wahrscheinlich einfach zuviel: Ihr stilistischer Gemischtwarenladen konnte leider kein grösseres Publikum erreichen. Dabei war doch gerade auch diese beeindruckende stilistische Vielfalt einer der grössten Trümpfe, den diese Band hat ausspielen können.

Als der singende und Schlagzeug spielende Musiker Bobby Harrison im Jahre 1972 die wenig erfolgreiche Bluesrock-Gruppe Freedom verlassen hatte, begann er schon kurz darauf damit, Songs für sein erstes Soloalbum mit dem Titel "Funkist" aufzunehmen. Unter den Top-Musikern, die ihm dabei zur Seite standen, war auch der Juicy Lucy-Gitarrist Micky Moody. Die Zusammenarbeit der beiden Musiker war so erfolgreich, dass sich die beiden Musiker dazu entschlossen, eine gemeinsame neue Band zu gründen.Grob umschrieben wollten sie amerikanisch-inspirierten Funkrock und Rhythm'n'Blues spielen. Das war die Geburtsstunde von Snafu, einer der herausragenden Bands im Bereich Funkrock und insbesondere des sogenannten White Funk der 70er Jahre in England. Bobby Harrison war das letzte Originalmitglied, das der Band Procol Harum im Frühling 1967 beitrat, bevor die Gruppe wenig später im Studio ihren Welthit "A Whiter Shade Of Pale" einspielen sollte. Die Single wurde über Nacht ein Riesen-Hit, doch kurz darauf musste Bobby Harrison, zusammen mit dem Gitarristen Ray Royer die Gruppe Procol Harum verlassen, angeblich wegen musikalischen Differenzen.

Es ist bis heute wirklich schade, dass der Name Bobby Harrison meist nur im Zusammenhang mit dem Procol Harum-Hit genannt wird, denn Harrison gehört zu den wichtigsten und kraftvollsten Soul-, Rhythm'n'Blues- und Funk-Sängern, die aus England stammen. Und Procol Harum war auch nicht die erste musikalische Station des Musikers, Komponisten und Sängers. Schon zu Ende der 50er Jahre gehörte er der legendären Southend-Gruppe The Rockefellas an. In den 60er Jahren war er bei der Band Golden Apples Of The Sun mit dabei, welche im Jahre 1965 auf Immediate Records die Single "Monkey Time" veröffenlichte. Die nächste Station war die Gruppe Powerpack, mit welcher er in den folgenden zwei Jahren zwei Singles für CBS Records einspielte. Danach nahm er auf dem Schlagzeug-Stuhl der Vorgängerband von Procol Harum Platz. Die Band nannte sich The Paramounts, welche er an Konzerten am Schlagzeug begleitete, und es soll auch eine Solo-Single von Bobby Harrison geben, die er unter dem Titel "Sunny" für CBS aufgenommen hat. Mit seiner nächsten Band Freedom war Bobby Harrison dann bislang am erfolgreichsten. Ursprünglich als eine Auftragarbeit für einen italienischen Film gedacht ("Nerosubianco, 1969 veröffentlicht), wurde aus der Musik, von Bobby Harrison komponiert, bald schon ein interessantes Konzept für eine weitere Band, die er dann gemeinsam mit dem Gitarristen Roger Saunders und dem Bassisten Walter Monagham gründete. Freedom schufen sich eine breite Hörerschaft mit ihrem Stilmix aus Rhythm'n'Blues, Bluesrock und leichten progressiven Einflüssen. Freedom waren zuletzt auch auf dem Vertigo Label unter Vertrag, veröffentlichten dort ihre beiden bekanntesten Alben "Through The Years" (1971) und "Freedom Is More Than A Word" (1972).

Es war dann letztlich wiederum der mangelnde Erfolg, weshalb auch Freedom das Handtuch warfen. Danach gründete Bobby Harrison also Snafu, und mit dieser neuen Band schuf Harrison eine wirklich fabelhafte neue Gruppe, die nicht nur spielerisch hervorragend, sondern auch stilistisch absolut breit gefächert war. Auch wenn es einige Zeit lang so aussah, als würde Harrison jetzt zu einer Solokarriere starten, so legte er diese kurze Zeit nach der Veröffentlichung seines Albums "Funkist" wieder auf Eis und widmete sich ausschliesslich der neuen Gruppe Snafu. Noch bevor die Band allerdings loslegte, spielte Micky Moody noch bei Juicy Lucy, und für diese Gruppe sprang Harrison zeitweilig als Sänger für Konzerte ein, als Ersatz für deren Sänger Paul Williams, der ausgestiegen war bei Juicy Lucy und eine entsprechende Lücke hinterliess. Dadurch freundeten sich Moody aund Harrison an und schon bald war die gemeinsame Gründung von Snafu beschlossene Sache.

1950 in einer Familie der nordenglischen Arbeiterklasse geboren, begann Micky Moody schon von Kindsbeinen an, sich mit dem Studium der elektrischen Gitarre zu befassen. Seine Eltern besassen zwar keinen musikalischen Background, doch unterstützten sie den Sohnemann, wo es nur ging. So kaufte ihm sein Vater schon früh eine erste elektrische Gitarre, ein billiges Modell, mit welchem der kleine Micky Moody jedoch schnell gut zurecht kam. Nachdem er die Schule verlassen hatte, agierte Moody's Vater auch als Bandmanager, als sein Filius seine erste Band gründete. Dank Papa's Beziehungen konnte der Junge mit seinen Bandkumpels in allerlei Clubs und Kneipen auftreten. Diese erste Band nannte sich The Roadrunners, und ausser Micky Moody gehörte dieser Formation auch ein Musiker an, der später zu einer Weltkarriere ausholte: Am Mikrophon der Band war nämlich kein Geringerer als Paul Rodgers, der spätere Sänger von Free und Bad Company. Als die Jungs immer professioneller geworden und auch nunmehr erwachsen waren, wechselten sie nach London, wo sie sich Chancen für eine professionelle Musikkarriere erhofften. Kaum in London angekommen, entschloss sich Paul Rodgers dafür, sich auf seinen Gesang und auf eine entsprechende Ausbildung zu konzentrieren. Da Paul Rodgers zu der Zeit auch Bass spielte, wurde er von Micky Moody ersetzt durch den Bassisten Bruce Thomas aus Mioddlesbrough, welcher später ebenfalls Karriere machte in den Bands Quiver und der Begleitband von Elvis Costello, den Attractions. Das alles passierte im Jahre 1967, und die Gruppe taufte sich selber um, wollte dem Hippie-Zeitgeist eher entsprechen, indem sie sich fortan The Wildflowers nannte.

Als The Wildflowers nahm die Band vier Songs auf, als Toningenieur wirkte der spätere Free-Gitarrist Paul Kossoff. Die Songs wurden jedoch nicht veröffentlicht. Schon nach nur drei Monaten lösten sich The Wallflowers wieder auf und Micky Moody ging zurück nach Middlesbrough, um sich dem Studium der klassischen Gitarre zu widmen. Dort lernte er die Musiker einer lokalen Bluesband kennen, und trat dieser Gruppe, die sich Tramline nannte, als Gitarrist bei. Der britische Bluesboom verhalf der Band Tramline zu einiger Bekanntheit, sodass Moody schon bald wieder zurück nach London ging, um dort die verschiedensten Jobs anzunehmen, unter anderem als Gitarrist der Band The Mike Cotton Sound, aber auch als Begleitmusiker etwa für Gene Pitney oder Zoot Money. Danach folgte sein Engagement bei Juicy Lucy und Freedom, und dort beschloss er dann mit Bobby Harrison, die Band Snafu zu gründen.

Die beiden Musiker begannen, gemeinsam viele neue Songs zu schreiben, und als die Band Snafu Gestalt angenommen hatte, waren in der Zwischenzeit der ehemalige Tramline-Schlagzeuger Terry Popple, der Bassist Colin Gibson und der Keyboarder Pete Solley, der von der Band Paladin kam, hinzugekommen. Den Bandnamen Snafu hatte sich Colin Gibson ausgedacht, der sich dafür wiederum bei Captain Beefheart bediente. Tatsächlich war der Begriff abgeleitet vom Spruch "Situation Normal All Fucked Up", den Kampfpiloten als Codewort für die Bestätigung des Abschusses eines feindlichen Flugzeugs im zweiten Weltkrieg verwendeten. Die ersten und wichtigsten musikalischen Einflüsse kamen hingegen von Bobby Harrison, der mit seiner Liebe zu den Allman Brothers und insbesondere zu Little Feat, deren glühender Verehrer er war, eine Symbiose aus beiden Musikstilen verfolgte, also den Roots-inspirierten amerikanischen Countryrock und Jam-Sound der Allman Brothers mit dem groovigen Funkrock der Gruppe Little Feat zu vereinen. Es dürfte bis heute einer der Gründe sein, warum die Band nicht so erfolgreich war, denn die Band war keine amerikanische, sondern eine englische und als solche versuchte sie natürlich auch, den typisch britischen Rock und insbesondere den Rhythm'n'Blues der Marke Brisith Blues Boom (etwa jener von Juicy Lucy) miteinzubeziehen, was wiederum das amerikanische Publikum nicht wirklich goûtierte.

Das erste Album der Band, schlicht "Snafu" betitelt, überraschte mit einem wahrhaft genialen Funkrock-Song mit dem Titel "Long Gone". Das Stück wurde auch als Single veröffentlicht, blieb allerdings eher erfolglos, obwohl es sehr gute Kritiken einheimsen konnte. Auch das Album verkaufte sich eher moderat, und dies wahrscheinlich aus zweierlei Gründen: Was die einen Musikkritiker und Hörer als ausgesprochen vielseitig wahrgenommen hatten, befanden die anderen vielmehr als konzept- und stilloses Durcheinander, an der die Band nicht festzumachen war. Warum dies so sehr polarisiert hat bei Snafu, und bei anderen Bands, die ähnlich breitgefächert musizierten nicht so kritisiert wurde, kann man nicht nachvollziehen, denn an dem Debutalbum stimmte eigentlich alles: Tolle und absolut überzeugende Songs, zumeist aus der Feder von Bobby Harrison in Gemeinschaft mit Micky Moody, hervorragende musikalische Darbietungen auf sehr hohem Niveau und eine glasklare Produktion, die überdies noch in einer wundervollen Hülle, gemalt von Top-Designer Roger Dean, verpackt war. Neben dem Opener "Long Gone" waren es vor allem auch der Coversong "Drowning In The Sea Of Love", der alte Soulklassiker von Joe Simon, sowie der von Keyboarder Pete Solley komponierte Wegschmeisser "That's The Song", auf welchem Bobby Harrison seine beste und kraftvollste Gesangsdarbietung präsentierte, die zu überzeugen wussten.

Das zweite Album "Situation Normal" erschien dann ein knappes Jahr später und präsentierte eigentlich dieselbe stilistische Vielfalt, allerdings mit einem hörbar grösseren Anteil an Country Rock Elementen, was das Werk etwas näher an die Doobie Brothers und die Allman Brothers brachte. Alelrdings zeigte die Band hier mit dem lockeren Jam-Stück "Playboy Blues" einen Jazz-inspirierten Jam der Marke Allman Brothers, der zum Besten gehört, was Snafu abgeliefert haben. Hier war der Einfluss von Keyboarder Pete Solley besonders stark spürbar, denn er verpasste diesem Jam mit seinem Moog Synthesizer die entscheidenden solistischen Höhepunkte. Allerdings war es auch Pete Solley, der auf das gesamte Album wesentlich grösseren Einfluss nahm, was sich auch im erhöhten Anteil an Countryness bemerkbar machte. Produziert von Steve Rowland präsentierte sich die Band erneut als ausgesprochen vielfältig, sowohl in den Kompositionen, wie auch den musikalischen Arrangements. "Lock And Key" beispielsweise war ein harter Brocken rhythmischen Bluesrocks vom allerfeinsten, getragen von der brillianten Slidegitarre von Micky Moody. Der Opener "No More" war wieder grosse Funkrock-Kunst, hier aber herrlich laidback vorgetragen und mit einigem mehr an Verve als das zuvor auf dem Debutalbum noch gehämmert wurde. Ausserdem packte die Band hier auch einen Tempowechsel ein, der den ganzen Song mittig kippte und in einen veritablen Rock mit viel Drive verwandelte. "No Bitter Taste" zeigte eine gefühlvolle Country-Pop Nummer, in welcher der schöne mehrstimmig Gesang zum Tragen kam, ebenso wie die Steel Gitarre von Micky Moody, der sich hier sehr countryesk zeigte. 

Das hüpfende "Big Dog Lusty" und vor allem das wiederum sehr countryesk arrangierte Stück "Jessie Lee", ein Schunkler zum mitsingen, klangen wesentlich ausgereifter und besser produziert als so mancher Song noch auf dem Debutalbum. "Ragtime Roll" als letztes Stück brachte dann sogar noch eine gute Portion Humor in diese überschwängliche Mixtur, indem hier beispielsweise tolle Bläsersätze eingebaut wurden, gespielt von den bekannten Musikern Bud Beadle (Bariton Saxophone), Steve Gregory (Tenmor Saxophone) und last but not least Mel Collins (Alto und Tenor Saxophone), der Meister, der zu der Zeit bei King Crimson spielte. Das Album war in der Tat noch wesentlich vielfältiger ausgefallen als das Debutalbum, was dazu führte, dass man es entweder liebte oder hasste. Es fehlte auf jeden Fall der sogenannte rote Faden, der sich durch das Album zieht, und die Kritiken mögen nicht ganz ungerechtfertigt sein, dass dem Album inhaltlich ein entscheidendes Grundkonzept fehlte, an dem man es hätte festmachen können. Auf der anderen Seite darf man getrost die Frage stellen, ob das Album dann heute, über vierzig Jahre nach seinem Erscheinen, noch immer so interessant anzuhören wäre, wenn es stilistisch nicht so eine grosse Bandbreite präsentiert hätte.

Das Ende für Snafu kam nach der Veröffentlichung einer weiteren, ebenso erfolglosen dritten Platte. Hier schloss sich gewissermassen dann der Kreis, indem etwa als Opener der hervorragende Song "Don't Keep Me Wonderin'" der Allman Brothers eingespielt wurde, mit einer weiteren, härteren Variante des Songs "Lock And Key" und dem Coversong "Keep On Running" aus der Feder von Stevie Wonder wieder verstärkt auf den Funk- und Soul-Groove der ersten LP gesetzt wurde. Ein permanentes Mismanagement förderte jedoch das Aus der Band zusätzlich, indem für Snafu etwa Konzerte gebucht wurden als Opener für Emerson Lake And Palmer, was natürlich überhaupt nicht zusammenpasste, oder im Schlepptau der Eagles in den USA, wo ihr Sound wiederum zu britisch herüberkam. Also eigentlich blieben Snafu letztlich vor allem eine Band, die es kaum Jemandem recht machen konnte, dies bei maximalem Talent und hervorragenden Songschreiber-Qualitäten der beiden Hauptakteure Bobby Harrison und Micky Moody. Während einer Deutschland-Tournee erhielt Micky Moody die Offerte, bei David Coverdale in dessen Begleitband einzusteigen. Er sagte zu und wurde später tragendes Mitglied der weltweit erfolgreichen Rockband Whitesnake.

Bobby Harrison sah seine Felle davonschwimmen, versuchte alles, um Snafu noch am Leben zu erhalten und holte sich mit dem bekannten Gitarristen Clem Clemson ein ehemaliges stilprägendes Mitglied der Gruppe Humble Pie in seine Band. Clemson spielte auch bei Colosseum mit. Doch das Zusammenspiel klappte nicht und so war die Band Snafu bald darauf Geschichte. Harrison spielte in der Folge eine zeitlang mit dem ehemaligen Weggefährten von Robin Trower, dem Schlagzeuger Reg Isadore zusammen, sowie mit Joe Jammer, doch ergab sich leider nichts Zählbares aus dieser Kollaboration. Harrison lernte eine Isländerin kennen, ging mit ihr nach Reykjavik und gründete dort eine Familie. Er trat dort der Formation Mezzoforte bei, mit welcher er im Jahre 1987 nach über zwölf Jahren sein zweites Soloalbum, die hervorragende Platte "Solid Silver" einspielte. Er zog schliesslich wieder zurück nach England, wo er versuchte, die Band Snafu noch einmal neu zu formieren, was jedoch nicht gelang. Zu einer erneuten Auffrischung der Band meinte er im nachhinein: "I tried to reform Snafu with a group of local musicians but found it was impossible, at least for me. The original band was a unique combination, which can never be recreated".



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