Apr 14, 2017


GENERATION X - Valley Of The Dolls (Chrysalis Records CHR 1193, 1979)

Generation X dient seit den frühen 50er-Jahren als schlagwortartige Bezeichnung für eine Reihe unterschiedlicher Generationen oder Bevölkerungskohorten, denen von den jeweiligen Autoren jeweils unterschiedliche Charakterisierungen zugeschrieben werden. Im aktuellen Sprachgebrauch bezieht sich die Bezeichnung Generation X, auch als Gen X abgekürzt, meist auf die den Baby-Boomern folgende Generation. Sie wird vor allem im anglo-amerikanischen Sprachraum für eine Generation benutzt, die von den frühen 60er bis in die frühen 80er Jahre geboren wurde. Der Begriff Generation X wurde in den frühen 50er-Jahren von dem amerikanischen Fotografen Robert Capa geprägt. Er verwendete das Schlagwort als Titel für eine Foto-Reportage über junge Leute, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs herangewachsen sind. Die Reportage erschien erstmals 1953 in der renommierten britischen Zeitschrift Picture Post. Ebenfalls in den frühen 50er-Jahren veröffentlichte das amerikanische Holiday Magazine eine Serie von Artikeln unter der Überschrift Generation X über die amerikanische Jugend dieser Zeit. Mitte der 60er-Jahre führten die beiden britischen Soziologen Charles Hamblett und Jane Deverson eine Studie durch, in der es um die Mods und Rocker in Grossbritannien ging und die unter dem Titel Generation X veröffentlicht wurde. 1976 wurde die britische Punkband Generation X gegründet.

Generation X war eine waschechte Punkband, die 1976 von Billy Idol gegründet wurde, im selben Jahr ihr Debüt feierte, 1977 ihre erste Single und 1978 ihr erstes Album herausbrachte. 1981 löste sie sich noch vor dem Erscheinen ihres dritten Albums auf. Im August 1976 suchte Gene October mit einer Anzeige im Melody Maker nach Musikern für eine Band. Es meldeten sich William Broad, der später als Billy Idol berühmt wurde, Tony James und John Towe. Sie gründeten eine Band namens Chelsea. Nach drei Monaten und ebenso vielen Konzerten trennte sich die Gruppe wieder. Während October nach neuen Mitglieder suchte, gründeten Broad, James und Towe mit dem Gitarristen Bob Andrews Generation X, in der sich Billy Idol als Sänger versuchte. Im Dezember feierten sie ihr Debüt im Roxy Club in London. Kurz darauf wurde John Towe durch Mark Laff ersetzt. Im Juli 1977 unterschrieb Generation X einen Vertrag bei Chrysalis und ihre erste Single "Your Generation" erschien. Es folgten die weiteren Singles "Wild Youth" (1977) und "Ready Steady Go". 1978 erschienen zwei Alben, nämlich das Debutwerk, schlicht "Generation X" betitelt und noch stark vom Punk geprägt, sowie "Valley Of The Dolls", das einen gigantischen Sprung vorwärts bedeutete und innert kürzester Zeit den Abstand zum Punk fand, wie das kaum je eine andere Band geschafft hatte damals.. Die Singleauskopplung "King Rocker" erreichte den respektablen Platz 11 in den britischen Charts.

Generation X galten zwar als eine der ersten Punkbands überhaupt, tendierten später aber eher zum melodiösen Rock ’n’ Roll und Pop, der unter dem Begriff Power Pop vielleicht dem Stil am nähesten kam, den die Band schon kurze Zeit nach ihrem ersten Album spielte. Die Rückkehr des wilden, echten und romantischen Outlaw-, Beatnik- und Tramp-Rock konnte man das bezeichnen, was auf dem zweiten Album "Valley Of The Dolls" zu hören war. Unbekümmert nahm die Gruppe zum Teil musikalische Ideen, Einflüsse und Gefühle der abgeschlafften, ehemaligen Rock-Abenteuer Amerikas (Bob Seger, Bruce Springsteen, Bob Dylan und andere) auf köchelte etwas Neues damit, und das klang so frisch, dass man das Gefühl hatte, so etwas zum allererstenmal zu hören. Der andere, vielleicht wesentlich gewichtigere Einfluss jedoch blieb und war der Mod Rock von The Who und The Kinks. Gewiss hatte das mit Punk im Sinne er klassischen 77er Bewegung kaum mehr etwas zu tun. Der Kopf der Gruppe, Billy Idol, gehörte zum sogenannten Bromley Contingent, ein paar Fans, welche Freunde der Sex Pistols waren und diese von allem Anfang an begleitet hatten. Somit war Billy Idol vielleicht in ungefähr der fünfte Punk Englands. Aber ohne die grundlegende Punk-Erfahrung hätte die Gruppe Generation X niemals die Fähigkeit besessen, diese Amerikanismen und Traditionalismen dermassen bewegt und aufgekratzt-frisch zu präsentieren. Ein Amerika-Aufenthalt im Jahre 1979hatte bestimmt seinen Einfluss, wie er in ähnlicher Weise auch die Musik des zweiten Albums der Band The Clash beeinflusst hatte. Es gab jedenfalls etliche gefühlsmässige, allerdings fast nur musikalische Aehnlichkeiten zwischen den beiden Platten. Eine andere Gemeinsamkeit war übrigens auch, dass beide Bands einen zur Expansion neigenden Gitarristen besassen: Mick Jones bei The Clash und Tony James bei Generation X.

Es gelang der Gruppe Generation X, ihren wahrhaft romantischen Stil auszubauen, und die auf der ersten LP meist fehlende Prägnanz der Songs war jetzt voll da. Es ging gitarrenhymnisch los mit dem Opener "Running With The Box Sound", und sofort war da Billy Idol's Stimme und verlieh dem Stück die Magie, den fesselnden Ausdruck, ob flüsternd, lachend oder sprechend. Billy war einer der wichtigsten neuen Vokalisten. Der Song kam furios daher als ein einziges grosses Rock-Gewitter. "Night Of The Cadillacs" nahm das Gewitter voll auf, beide Songs waren mit unruhiger Spannung geladen, durchsetzt von Tony James' Gitarrengeheule. Der Drive wurde höchstens einmal mit "Night" von einem schönen überraschenden Akustik-Gitarrenbreak unterbrochen. Es war sehr überraschend, dass eine Band mit klarem Punk-Hintergrund  auf solch unverbrauchte Weise Songs wie "Paradise" oder "Kenny Silver" aufnehmen konnte: Gefühlsechte Balladen von enormer Schönheit. Wie überzeugend war beispielsweise das tolle Sprechgesang-Intro von "Paradise" zu leise wiegenden Gitarrenakkorden. Womöglich noch eindrucksvoller war die Geschichte vom verschwundenen Kenny Silver, eine äusserst melodiöse Angelegenheit, die jeder konventionellen Rockgruppe garantiert zur Schnulze geraten wäre, bei Generation X durch eine griffige Interpretation aber nie diesen Eindruck aufkommen liess.

Die übrigen Songs dieses ganz tollen Rock-Albums waren eigentlich alles aufgedrehte Rocker, man bediente sich unterschiedlicher Formen, so war "King Rocker" ein gutes Beispiel dafür, wie man nostalgiefrei und kreativ Mod-Rock'n'Roll-Einflüsse der 60er Jahre im Stile etwa der Kinks oder The Who verarbeiten konnte. "Friday Angels" bezog sich dabei am stärksten auf The Who, es wurden fast originalgetreu die Eingangsriffs des Who-Titels "Substitute" zitiert. Geradezu heavy geriet die Power auf dem Song "Love Like Fire". Produziert hatte das Album der grossartige Ex-Mott The Hoople-Musiker Ian Hunter, selber ein Afficionado des guten alten Rock'n'Rolls, schon immer gewesen. Die Kombination aus einer Punk-Band, die mehr wollte als drei hässliche Akkorde runterdreschen und Ian Hunter, dem überzeugten Rock'n'Roller mit viel Herz und noch mehr Gefühl für tolle Melodien und Arrangements, passte perfekt. Es muss Ian Hunter viel Spass gemacht haben, diese Platte zu produzieren. Letztlich konnte er gerade mitdiesem Werk eindrücklich beweisen, dass seine Auffassung von Rock und speziell dem härteren Rock'n'Roll vital und kraftvoll wie eh und je, genau richtig war. Hunter produzierte ein Werk, das genauso gut auch die alten Mott The Hoople hätten hinkrachen können.

Es folgte später dann die Umbenennung in Gen X. In der Band gab es Streit und mit Terry Chimes und Chelsea-Mitglied James Stephenson kamen neue Leute in die Band. Als Gitarristen dienten Steve Jones von den Sex Pistols und John McGeoch von Magazine. Als 1981 das dritte Album erschien, existierte die Band allerdings schon nicht mehr. Billy Idol startete in den USA eine sehr erfolgreiche Solokarriere, Tony James gründete die Band Sigue Sigue Sputnik und später zusammen mit Mick Jones die Band Carbon/Silicon. Terry Chimes ersetzte den Schlagzeuger von The Clash. Generation X waren Geschichte. "Valley Of The Dolls" ist ein grossartiges, leider vergessenes Rockalbum, das tragischerweise das Etikett Punk aufgedrückt bekam, obwohl es das überhaupt nicht war. Es war viel mehr als bloss drei schmutzige Akkorde.







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