KURSAAL FLYERS - Golden Mile (CBS Records S 81622, 1976)
Mit ihrer humorvollen, persiflierenden Mixtur aus Country, Soul, Blues, Folk und Rock'n'Roll gehörten die Kursaal Flyers Mitte der 70er Jahre zu den wichtigsten Exponenten der englischen Pubrock-Szene. Das Quintett profilierte sich durch hervorragene Kompositionen und eine eindrückliche Bühnenpräsenz. Die Live-Erfahrungen erarbeiteten sich die Musiker seit dem Okober 1973 in den Kneipen von Southend. Damals gehörte noch Bassist David Hatfield dazu, der jedoch einen bürgerlichen Beruf vorzog als sich die Band zum Profi-Geschäft entschloss. Fortan wechselten sich Vic Collins und Richie Bull am Bass ab. Die Band benötigte keine Elektronik und aufwändige Klangmalerei, sondern kombinierte die verschiedensten Musikstile miteinander, wie beispielsweise Reggae und nostalgische Schmachtfetzen, klassischen Rock'n'Roll und jede Menge Gute Laune-Musik.
Bekannt wurden die Kursaal Flyers vor allem durch ihren Top 20 Hit "Little Does She Know". Sie wurden Ende 1973 in Southend-On-Sea, England, von Paul Shuttleworth, Richie Bull, Will Birch, Vic Collins, Graeme Douglas und Dave Hatfield gegründet. Ihre Erfahrungen in diversen örtlichen Bands, unter anderem den Surly Birds, den Thomahawks, sowie Saints'n'Sinners sorgten dafür, dass sie als Gruppe ihren eigenen Stil aus diversen musikalischen Richtungen zusammentrugen: von Rock bis Bluegrass, von Pop bis Country mixten die Kursaal Flyers so ziemlich alles miteinander, und ihr Cocktail ging durchaus auf. Live klangen die Kursaal Flyers dann allerdings doch bisweilen recht rockig, eine Art countryeske Variante des Dr. Feelgood Rock'n'Rolls, nachzuhören etwa auf der Live-Veröffentlichung "Five Live Kursaals" von 1977. Richie Bull hatte für verschiedene Country & Western Stars auf Tourneen gespielt, weshalb sein Einfluss in die Band vielleicht am augenfälligsten war, wobei die Mischung aus Country und Rock'n'Roll eigentlich immer schon eine recht Erfolg garantierende Mixtur war.
Die Kursaal Flyers studierten im Winter 1973/1974 etwa 25 Songs ein, und ab Februar 1974 trat die Band zweimal die Woche in der Gaststätte Blue Boar in Southend auf. Ihren Namen gaben sie sich nach einem Karussell in einem Vergnügungspark ihrer Heimatstadt. Mehrere Bandmitglieder kannten Musiker von Dr. Feelgood, und durch diesen Kontakt kamen sie zu ihren ersten Auftritten in London, weshalb sich auch eine stilistische Verwandtheit zu dieser Gruppe ergab. Die Band sah sich hauptsächlich beeinflusst von Pete Townshend, Ray Davies und dem 50er Jahre Popstil etwa der Coasters. Eine Tour durch Westeuropa als Vorgruppe der Flying Burrito Brothers brachte ihnen die erste wichtige Aufmerksamkeit für das Weiterkommen im Musikbusiness. In London hatte schliesslich ein Bekannter von Jonathan King die Kursaal Flyers gesehen und die Gruppe sogleich weiterempfohlen. King gab ihnen Anfang 1975 einen Schallplattenvertrag auf seinem Plattenlabel UK Records.
Der Bassist David Hatfield hatte zu dem Zeitpunkt die Band bereits verlassen, und Richie Bull übernahm den Bass nunmehr als sein Hauptinstrument. Will Birch, der für die allermeisten Songtexte zuständig war und Graeme Douglas und Richie Bull, die als Komponisten der Songs in Erscheinung traten, schrieben nach der Vertragsunterzeichnung etliche neue Titel. Drei Singles und zwei LPs veröffentlichten die Kursaal Flyers auf UK Records, nämlich "Chocs Away" und "The Great Artiste", beide im Jahre 1975 veröffentlicht, bevor sie zum renommierten Label CBS Records wechselten. Dort wurde der kommerziell bereits sehr erfolgreiche Musiker und Produzent Mike Batt ihr neuer Betreuer. Batt war zu dieser Zeit vor allem als Mastermind des Projekts der Wombles mit Trickfiguren einer TV-Serie, die für den Umweltschutz warb, aber auch unter diesem Namen Schallplatten veröffentlichte und sich in der britischen Hitparade platzierte, bekannt.
Durch Mike Batt als Produzent rückten die Kursaal Flyers markant von ihrem parodistischen Image ab und entwickelten sich noch stärker zu einer vielseitigen Poprock-Band, die jedoch weiterhin hörbar im Pubrock und im Rock'n'Roll verwurzelt blieb, Durch Mike Batt erhielten manche Stücke der Band jedoch einen etwas bombastischen Anstrich, der meist durch die Zugabe eines manchmal vielleicht schon fast etwas zu üppig ausgefallenen Orchester-Arrangements erzielt wurde. Aus kommerzieller Sicht war dies jedoch eine durchaus gewinnbringende Idee. Die erste Single unter der Obhut von Mike Batt erhielt ein üppiges, fast überproduziertes Arrangement, trug den Titel "Little Does She Know" und erreichte in England die Top 20. Die in der Folge produzierte dritte LP, betitelt "Golden Mile" erwies sich ebenfalls als kommerzieller Erfolg, auch wenn es das Album nicht bis ganz nach oben schaffte. Auf dem Album konnte sich Mike Batt als Produzent allerdings richtig austoben, und er gab dank seiner vielseitigen Arrangement-Arbeit auch eher gewöhnlichen Nummern wie etwa "Drinking Socially", "Ready To Go" oder "Radio Romance" noch einen Hauch wohlklingende Eleganz, welche die Songs am Ende überdurchschnittlich klingen liessen.
Trotz des Hits "Little Does She Know" und dem enorm vielseitigen und alle stilistischen Richtungen offen lassenden Album "Golden Mile" gab es Streit innerhalbder Band. Graeme Douglas war der Meinung, Mike Batt habe die Band zu kommerziell gemacht und auf eine Weichspül-Schiene bringen wollen. Er verliess deshalb konsequenterweise die Kursaal Flyers und tauchte wenige Wochen später bei den Früh-Punkern Eddie & The Hot Rods wieder auf, für die er auch deren Hit "Do Anything You Wanna Do" komponierte. Barry Martin ersetzte Graeme Douglas. Eine Europatournee folgte, um den Hit zu promoten, doch war das Ende schon zu spüren. Alle Bemühungen, einen weiteren Hit zu landen, schlugen fehl. Ihr Manager nahm schliesslich einen festen Job bei Stiff Records an, weshalb sich die Gruppe nunmehr selber um alle Belange kümmern mussten und dabei leider scheiterten. Vic Collins war dann der Nächste, der die Band verliess. Er wurde durch John Wicks ersetzt. Die Aufnahmesessions für ein weiteres Album wurden abgebrochen, stattdessen ein Live-Album veröffentlicht. Während einer Tour im Herbst 1977, bei welcher für die Kursaal Flyers die wirklich nicht passende Punkband The Cortinas als Vorgruppe spielte, hatte auch Sänger Paul Shuttleworth die Nase voll. Er kündigte an, er wolle solo weitermachen. Der Rest der Band stimmte in der Folge der Auflösung der Kursaal Flyers zu.
Die Kursaal Flyers waren über fast vier Jahre hinweg eine hervorragende und beliebte Liveband, und ein grosser Liebling der Musikkritiker. Die britische Musikpresse, die ihnen immer sehr zugetan war, betrauerte das Ende der Gruppe. Das "Best Of"-Album "In For A Spin, das 1985 nachgelegt wurde zeigt, warum. Die Kursaal Flyers verkauften lediglich zu wenig Platten, waren aber erfolgreicher, als sie selbst es sich vorher je vorgestellt hatten. Paul Shuttleworth brachte eine Reihe von Soloplatten auf CBS Records heraus. Will Birch und John Wicks machten mit anderen Musikern als The Records weiter und hatten damit in den USA einigen Erfolg zu verzeichnen. Will Birch wurde später Hausproduzent für die Labels Stiff Records und Demon Records. Barry Martin schliesslich gründete das Label Making Waves. 1985 formierten sich die Kursaal Flyers neu für eine Tournee zur Promotion des "Best Of"-Albums "In For A Spin", und drei Jahre später nahmen sie auch ein neues Studioalbum auf. 2001 gingen sie erneut auf Tournee, gemeinsam mit John Otway, Dr. Feelgood und Canned Heat. Danach verabschiedeten sich die Kursaal Flyers endgültig von der Musikbühne.
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